COP29 in Baku: Dauerstreit um den globalen Klimafinanzausgleich
Die Klimakrise ist teuer. Wer über Klimafinanzierung spricht, fühlt sich schnell wie ein Kindergartenkind, das sich gerade eine größtmögliche Zahl ausdenken will: »100 Milliarden, nein 1000 Milliarden! Und noch mal mehr!«
30 Milliarden Euro kostet der Wiederaufbau nach der Ahrtalflut, nach dem Hurrikan Milton in den USA rechnet die Versicherungsbranche dort allein mit bis zu 60 Milliarden US-Dollar versicherter Schäden. Zu solchen einzelnen Ereignissen kommen die viel höheren Kosten, um sich an verändertes Wetter anzupassen, und schließlich noch Investitionen in erneuerbare Energien. Geld, das viele der von der Klimakrise am stärksten gefährdeten Staaten im Globalen Süden nicht haben. Und das sie nun von den Industriestaaten fordern.
Einen finanziellen Ausgleich zu schaffen, das gilt als das große Ziel der diesjährigen Klimaverhandlungen in Baku. In der aserbaidschanischen Hauptstadt findet die nun 29. »Conference of the Parties« statt, kurz COP. Sie könnte als größter Klimafinanzgipfel in die Geschichte eingehen.
Doch Klimafinanzierung hat ihre Tücken, das lehren die Geschichte und auch die erbitterten Verhandlungen im Vorfeld. Kurz vor dem Treffen in Baku stand weder fest, wer zahlen soll, noch, wer Geld empfangen darf. Die Staaten haben sich weder auf Summen einigen können noch darauf, welche Arten von Zahlungen angerechnet werden dürfen oder für welche Zwecke überhaupt Geld fließen soll. Als gesichert gilt nur der Name des neuen Ausgleichsmechanismus: »New Collective Quantified Goal« oder kurz »NCQG«. Ein Zungenbrecher, der angesichts der Komplexität eines Klimafinanzausgleichs angemessen scheint.
Der NCQG ist nicht der erste Finanzausgleich, den die Staaten im Rahmen der Klimakonferenzen beschlossen haben. Bereits 2009 einigten sich die Verhandlungsparteien auf 100 Milliarden Dollar, die Industriestaaten ab dem Jahr 2020 jährlich an Entwicklungsländer zahlen sollten. Wie die Vereinbarung umgesetzt wurde, ist ein Negativbeispiel, aus dem sich viel Verbesserungspotenzial ableiten lässt.
Lehren aus dem 100-Milliarden-Ziel
Etwa, was die Summe angeht: 100 Milliarden Dollar reichen nicht aus, um Klimaschäden und Klimawende im Globalen Süden zu finanzieren, darin sind sich Umweltorganisationen heute einig. »Diese Summe war nie ein an die Bedürfnisse oder an wissenschaftliche Erkenntnisse angepasstes Ziel, das war ein politischer Kompromiss«, urteilt Liane Schalatek, stellvertretende Direktorin bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington D.C., wo sie die Arbeit im Bereich Klimafinanzierung leitet.
»Diese Summe war nie ein an die Bedürfnisse oder an wissenschaftliche Erkenntnisse angepasstes Ziel, das war ein politischer Kompromiss«Liane Schalatek, Heinrich-Böll-Stiftung
Oder der Zeitplan: Sich auf ein Datum zu einigen, das ein Jahrzehnt entfernt liegt, zeugte nicht von Mut. Und trotzdem rissen die Staaten diese Frist. Nach einer Auswertung der OECD überschritten die Zahlungen die angepeilten 100 Milliarden erstmals im Jahr 2022, zwei Jahre später als ursprünglich geplant. Immerhin: Mit knapp 116 Milliarden US-Dollar erreichten die Klimafinanzzahlungen einen Wert, den die OECD »nicht vor 2025 erwartet« hatte.
Fragwürdig war auch die Wahl der Finanzmittel: Die OECD-Auswertung zeigt, dass 69 Prozent der in den 100 Milliarden Dollar eingerechneten Zahlungen Kredite waren. Die Entwicklungsländer müssen die Klimagelder also zurückzahlen – und das nicht immer mit vergünstigten Zinsen. Dabei kämpfen viele der gefährdeten Staaten im Globalen Süden ohnehin schon mit Überschuldung. In den 26 ärmsten Ländern der Welt liege der Schuldenstand im Schnitt bei 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, warnte die Weltbank im Oktober 2024 in einem Bericht – der höchste Wert seit 2006.
Von einer gerechten Verteilung der 100 Milliarden Dollar kann heute ebenfalls keine Rede sein: Welche Staaten Geldgeber sind und welche als Empfänger gelten, beruht noch auf einer Abmachung von 1992. In der Klimarahmenkonvention teilte die Staatengemeinschaft die Welt in entwickelte und Entwicklungsländer auf. Die Liste gilt als veraltet und ungerecht. So steht etwa China auf der Liste der Entwicklungsländer und damit der Empfänger – obwohl die Volksrepublik heute einer der größten Emittenten von Treibhausgasen wie CO2 ist. »Das Prinzip muss angekratzt werden«, sagt deshalb Niklas Höhne vom NewClimate Institute.
Wird den Delegierten in Baku das gelingen? Können sie sich auf höhere Summen, einen besseren Zeitplan und eine gerechte Verteilung von geeigneten Finanzmitteln einigen? Nach dem offiziellen Mandat jedenfalls soll es um einen »Mindestbetrag von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Prioritäten der Entwicklungsländer« gehen.
Eine Billion oder 100 Milliarden?
Die Bedürfnisse und die Prioritäten der Entwicklungsländer sind klar. Sie wollen vor allem: mehr Geld. Schließlich haben sie historisch gesehen weniger zur Erderwärmung beigetragen und erleiden nun den Schaden. Also sollen die Industriestaaten doch bitte zahlen, lautet ihre Argumentation. Indien und auch die Arabische Gruppe verlangen deshalb mehr als eine Billion US-Dollar – pro Jahr. Eine Gruppe der afrikanischen Verhandler forderte sogar 1,3 Billionen US-Dollar.
Ob die Industriestaaten diese Bedürfnisse berücksichtigen werden, ist eine andere Frage. »Die schwierige Geopolitik bestimmt die Verhandlungen der Klimakonferenz mit«, erklärte Jennifer Morgan. Die Ex-Greenpeace-Aktivistin ist Staatssekretärin im Außenamt und in Baku Verhandlungsführerin für Deutschland.
Dass nun Donald Trump zum zweiten Mal US-Präsident wird, macht die Gespräche nicht einfacher. Die USA sind im historischen Vergleich mit Abstand der größte Emittent. Trump verließ in seiner letzten Präsidentschaft trotzdem das Pariser Abkommen. Dass seine Regierung zukünftig noch für das Klima finanziell einstehen will, ist unwahrscheinlich.
Auch in der EU will man von Billionen nichts hören. »Wenn es über 100 Milliarden geht, dann wollen wir Beiträge von neuen Ländern sehen«, sagte etwa die deutsche Verhandlungsführerin Morgan. »Wir erwarten, dass reiche Länder, die im Moment keinen Betrag leisten, mitzahlen.« Übersetzt heißt das: Ohne China ist wenig zu machen.
Chinas Sonderrolle
Nach der Klimarahmenkonvention von 1992 zählt China noch als Entwicklungsland und damit zu den Geldempfängern. Die Volksrepublik verweist gerne auf die historische Schuld anderer Staaten, selbst wenn sie heute größter Emittent ist. Immerhin: Gemessen an der Bevölkerungszahl liegen Chinas Emissionen noch heute hinter Russland oder auch Malaysia. Und das Land investiert durchaus in den Globalen Süden, etwa im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative.
»In der Realität ist China heute schon ein Geldgeber«, sagt Niklas Höhne. Das World Ressources Institute schätzt Chinas historischen Beitrag an der internationalen Klimafinanzierung bereits auf sechs Prozent – ähnlich viel wie Deutschland. Trotzdem ist es laut Höhne unwahrscheinlich, dass China sich eine Pflicht aufbürden lässt, Klimagelder zu zahlen.
Möglich wäre, dass stattdessen zwei Summen auf dem Gipfel verkündet werden. Ein Betrag, welchen die traditionellen Industrieländer verpflichtend ausgeben sollen. Und einen zweiten Topf, in den die finanz- und emissionsstarken Schwellenländer wie China einzahlen.
Einig scheinen sich die Delegationen immerhin in einem Punkt zu sein: »Wir müssen von einer engen Diskussion über die Quantität wegkommen und über die Qualität der Klimafinanzierung sprechen«, sagt Liane Schalatek vom Heinrich-Böll-Institut. Das heißt: Die Verhandlungen um den NCQG dürften sich nicht nur um eine möglichst hohe Zahl drehen. Es muss auch darum gehen, was die geeigneten Mittel sind. Und ob das Geld effektiv zu Klimawende, Anpassung und Schadensbewältigung beitragen kann.
»Es muss genauer definiert werden, was als Klimafinanzierung zählt«, unterstreicht deshalb Carsten Elsner, Experte für Klimafinanzierung am Wuppertal Institut. Es brauche mehr öffentliche Finanzierung, auch damit mehr privates Geld mobilisiert werden könne. Und generell effektivere Maßnahmen. Etwa »Debt for Climate Swaps«: »Die Industriestaaten könnten den Entwicklungsländern die Schulden erlassen, wenn dieses Geld in klimarelevante Projekte fließt«, sagt Elsner. Das würde das Problem der überbordenden Kredite abmildern.
Doch egal, was die Delegierten in Baku beschließen – dass es ausreicht, um auf den Pfad zu 1,5 Grad Celsius zurückzukehren, ist unwahrscheinlich. Sogar wenn sich die Industriestaaten wirklich ab morgen zu den geforderten 1,3 Billionen US-Dollar verpflichten würden. »Selbst diese Summe liegt unter dem eigentlichen Bedarf«, erklärt Schalatek. Die vom Welklimarat zur Beratung eingesetzte Independent High-Level Expert Group on Climate Finance etwa schätzt, dass die Entwicklungsländer ohne China bis 2030 pro Jahr 2,4 Billionen US-Dollar investieren müssten. »Egal, was am Ende rauskommen wird, es wird suboptimal sein und nicht dem entsprechen, was eigentlich passieren müsste«, erwartet Niklas Höhne.
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