Madagaskar: Der letzte Schlussverkauf
Politische Wirren, Umstürze und blutige Massenproteste: Madagaskar hat unruhige Monate hinter sich. Als Kollateralschaden litt die einzigartige Natur der Insel - die Anarchie erlaubte ihre Plünderung.
Es gibt nur wenige Orte auf Erden, die eine solche Fülle an einmaligen Tier- und Pflanzenarten aufbieten wie die Vanilleinsel vor Afrikas Ostküste. Madagaskar gilt daher auch als einer der heißesten unter den außergewöhnlich artenreichen Hotspots der Artenvielfalt: Über 80 Prozent der madagassischen Tiere und Pflanzen kommen ausschließlich hier vor – vom ringelschwänzigen Katta und dem langfingrigen Aye-Ayes über die igel- oder spitzmausähnlichen Tenreks und den Fossa bis hin zu den 340 , meist einzigartigen Arten an Amphibien und Reptilien, darunter allein knapp 80 verschiedene Chamäleons.
Ökotouristen oder Neokolonialismus?
Dabei könnte die Natur vielleicht das größte Kapital Madagaskars sein: Der 2001 demokratisch – wenn auch nicht ohne Betrugsvorwürfe – gewählte Präsident Marc Ravalomanana identifizierte daher den Ökotourismus als wichtige Devisenquelle für Madagaskar. Er entwickelte einen ambitionierten Plan, demzufolge innerhalb von fünf Jahren viele der verbliebenen Waldgebiete unter Schutz gestellt werden sollten. Ein Teil dieses Planes wurde in den vergangenen Jahren mit ausländischer Hilfe umgesetzt, die Zahl der Reservate im Land verdreifacht.
Vielen Madagassen habe durch die Wirtschaftskrise plötzlich das Geld für Lebensmittel gefehlt, die Touristen blieben aus, und die organisierte Kriminalität nahm zu, charakterisiert Steven Goodman, Wissenschaftler am Field Museum in Chicago und seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Madagaskarforscher weltweit, die Ausgangslage für den verzweifelten Staatsstreich. Ravalomanana – mit Milchprodukten zum Millionär geworden – unternahm nicht viel, um das Leid der Menschen zu lindern, sondern machte Schlagzeilen mit dem Kauf eines Präsidentenflugzeugs für sechzig Millionen Dollar und Steuersenkungen für Güter, die hauptsächlich in seinem privaten Firmenimperium weiterverarbeitet wurden.
Selbstbedienung und internationale Gier
Trotz der übereilten Installation Rajoelinas als neuer Präsident haben die Unruhen ein Machtvakuum hinterlassen, das sich bis in kleinste lokale Strukturen erstreckt. Zudem wurden internationale Hilfsgelder – die bis zu 70 Prozent des madagassischen Haushalts ausmachten – für die als unrechtmäßig eingestufte Regierung eingefroren. Und auch der Ökotourismus kam nahezu völlig zum Erliegen. So wurde der Marojejy-Nationalpark im Nordosten Madagaskars – einziger verbliebener Lebensraum der Seidensifakas (eine Lemurenart) – geschlossen, weil an Stelle der Touristen bewaffnete, oftmals von ausländischen Geldgebern angeführte Banden und Wilderer auftauchten und begannen, den Wald zu plündern. "Das Geld für Wächter oder Parkranger fehlt ganz einfach. Es ist eine schlimme Situation, es gibt keinerlei Kontrolle mehr", so Madame Rasamy, Biologieprofessorin an der Universität in Antananarivo. Neben Marojejy ist auch der auf einer Halbinsel im Osten gelegene Masoala-Nationalpark stark betroffen. Auch hier haben es die Plünderer wie in Marojejy vor allem auf teure Harthölzer abgesehen, die zum Möbelbau nach Amerika und Europa verschifft werden.
Mittlerweile wurden zwar Festnahmen in dem Fall gemeldet, doch handelt es sich dabei nur um Bewohner der extrem armen Region, die für eine minimale Bezahlung die Tiere entwendet hatten. Von den Vermittlern und Hintermännern sowie den gestohlenen Schildkröten fehlt bislang jede Spur.
Doch es gibt auch nicht viele Gebiete auf unserem Planeten, deren natürlicher Reichtum so unmittelbar gefährdet ist wie der Madagaskars. Die exklusive Flora und Fauna weckt seit jeher die Gier vermögender Tierhalter und Sammler in anderen Erdteilen und fördert entsprechend die Wilderei auf der Insel. Einige besonders seltene Chamäleon- und Schildkrötenarten werden nach Angaben von Tierschutzorganisationen zu Preisen bis zu mehreren zehntausend Euro auf dem Schwarzmarkt gehandelt – ein Vermögen nach madagassischen Maßstäben.
Doch das ist nicht das einzige Naturschutzproblem der Insel: Die Armut zwingt viele Madagassen in den ländlichen Gebieten, in den wenigen verbliebenen Waldresten – seit Beginn der Besiedlung vor etwa 2000 Jahren verschwanden bereits 90 Prozent der Wälder – Feuer- und Bauholz zu suchen, Honig und Wurzeln zu sammeln oder auf die Jagd zu gehen. "Die Leute in den kleinen Dörfern fragen mich oft: Wieso gebt Ihr das Geld, das ihr in Eure biologischen Projekte und Naturschutzbemühungen steckt, nicht direkt an uns? Dann müssten wir auch nicht in den Wald gehen und jagen", sagt Léon Razafimanantsoa, Manager der Biologischen Station des Deutschen Primatenzentrums nahe der Stadt Morondava in Westmadagaskar. "Das ist natürlich zu einfach gedacht, aber es spiegelt die Not der Menschen wider. Wenn Grundbedürfnisse nicht gestillt sind, bleibt im Kopf kein Platz für den Schutz der Umwelt."
Ökotouristen oder Neokolonialismus?
Dabei könnte die Natur vielleicht das größte Kapital Madagaskars sein: Der 2001 demokratisch – wenn auch nicht ohne Betrugsvorwürfe – gewählte Präsident Marc Ravalomanana identifizierte daher den Ökotourismus als wichtige Devisenquelle für Madagaskar. Er entwickelte einen ambitionierten Plan, demzufolge innerhalb von fünf Jahren viele der verbliebenen Waldgebiete unter Schutz gestellt werden sollten. Ein Teil dieses Planes wurde in den vergangenen Jahren mit ausländischer Hilfe umgesetzt, die Zahl der Reservate im Land verdreifacht.
Allerdings sorgte Ravalomanana auch für internationale Irritation und anhaltende Proteste der eigenen Bevölkerung durch Verhandlungen mit dem südkoreanischen Logistikkonzern Daewoo, der in Madagaskar für 99 Jahre die Kontrolle über eine Fläche von annähernd 13 000 Quadratkilometern erhalten sollte. Die Südkoreaner planten, auf dem riesigen Gebiet Mais und Palmöl zur Gewinnung von Biokraftstoff anzubauen und die Erträge in ihr Heimatland zu verschiffen. Die Welternährungsorganisation FAO warnte aber bald, dass Madagaskar seine landwirtschaftlich nutzbaren Flächen dringend zur eigenen Nahrungsmittelversorgung benötige. Zudem schlugen Tierschützer Alarm: Einer unbeschränkten südkoreanischen Industrie-Landwirtschaft würden sicher hunderte der einmaligen Tier- und Pflanzenarten zum Opfer fallen.
Die Debatte um den vielfach kritisierten, als neokolonial bezeichneten Daewoo-Deal führte – befeuert von der globalen Wirtschaftskrise und den Korruptionsvorwürfen gegen Ravalomanana – schließlich zum Eklat: Politische Unruhen stürzten Madagaskar ab Januar in ein monatelanges Chaos, das auch die Naturschutzgebiete schwer in Mitleidenschaft zog.
Vielen Madagassen habe durch die Wirtschaftskrise plötzlich das Geld für Lebensmittel gefehlt, die Touristen blieben aus, und die organisierte Kriminalität nahm zu, charakterisiert Steven Goodman, Wissenschaftler am Field Museum in Chicago und seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Madagaskarforscher weltweit, die Ausgangslage für den verzweifelten Staatsstreich. Ravalomanana – mit Milchprodukten zum Millionär geworden – unternahm nicht viel, um das Leid der Menschen zu lindern, sondern machte Schlagzeilen mit dem Kauf eines Präsidentenflugzeugs für sechzig Millionen Dollar und Steuersenkungen für Güter, die hauptsächlich in seinem privaten Firmenimperium weiterverarbeitet wurden.
Als er versuchte, die gegen ihn gerichteten Proteste durch das Abschalten regierungskritischer Fernseh- und Radiosendern zu entkräften, mobilisierte Andry Nirina Rajoelina – 34-jähriger Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, der vor seiner politischen Karriere unter anderem als DJ in Erscheinung getreten war – immer wieder Massen von Demonstranten. Es kam zu Straßenschlachten und Schießereien mit der Polizei; mehr als 200 Menschen starben. Mitte März wechselte schließlich das Militär auf die Seite der Demonstranten, und Ravalomanana floh nach Swasiland. Am 21. März erklärte der Oberste Gerichtshof Madagaskars Rajoelina zum rechtmäßigen neuen Landesoberhaupt; international wird die neue Regierung allerdings bis heute einhellig als nicht verfassungsgemäß abgelehnt.
Selbstbedienung und internationale Gier
Trotz der übereilten Installation Rajoelinas als neuer Präsident haben die Unruhen ein Machtvakuum hinterlassen, das sich bis in kleinste lokale Strukturen erstreckt. Zudem wurden internationale Hilfsgelder – die bis zu 70 Prozent des madagassischen Haushalts ausmachten – für die als unrechtmäßig eingestufte Regierung eingefroren. Und auch der Ökotourismus kam nahezu völlig zum Erliegen. So wurde der Marojejy-Nationalpark im Nordosten Madagaskars – einziger verbliebener Lebensraum der Seidensifakas (eine Lemurenart) – geschlossen, weil an Stelle der Touristen bewaffnete, oftmals von ausländischen Geldgebern angeführte Banden und Wilderer auftauchten und begannen, den Wald zu plündern. "Das Geld für Wächter oder Parkranger fehlt ganz einfach. Es ist eine schlimme Situation, es gibt keinerlei Kontrolle mehr", so Madame Rasamy, Biologieprofessorin an der Universität in Antananarivo. Neben Marojejy ist auch der auf einer Halbinsel im Osten gelegene Masoala-Nationalpark stark betroffen. Auch hier haben es die Plünderer wie in Marojejy vor allem auf teure Harthölzer abgesehen, die zum Möbelbau nach Amerika und Europa verschifft werden.
Im Baly-Bay-Nationalpark wiederum stahlen Unbekannte Anfang Mai sogar vier der vom Aussterben bedrohten Madagassische Schnabelbrustschildkröte aus einer der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Auswilderungsanlage des britischen Durrell Wildlife Conservation Trust. Nach Schätzungen der US-amerikanischen Organisation Conservation International gibt es lediglich noch 100 bis 400 frei lebende Tiere dieser Art, was sie zu einer der seltensten Schildkrötenarten der Welt macht. Neben dem Raritätenstatus sind die Reptilien besonders wegen des auffälligen schnabelartigen Fortsatzes an der Stirnseite ihrer Bauchpanzer bei reichen Sammlern beliebt.
Mittlerweile wurden zwar Festnahmen in dem Fall gemeldet, doch handelt es sich dabei nur um Bewohner der extrem armen Region, die für eine minimale Bezahlung die Tiere entwendet hatten. Von den Vermittlern und Hintermännern sowie den gestohlenen Schildkröten fehlt bislang jede Spur.
Wie lange es dauert, bis sich die politischen Verhältnisse und mit ihnen die Situation der Nationalparks in Madagaskar wieder stabilisieren, ist ungewiss. Ohne internationale Hilfsgelder dürfte im madagassischen Haushalt jedenfalls kein Geld für den Schutz der Natur zur Verfügung stehen. Nicht gerade ermutigend ist zudem die Tatsache, dass der neu ernannte Umweltminister vormals für eine große Nickel-Kobalt-Minengesellschaft der Insel arbeitete.
Dabei könnte Ökotourismus in Zukunft wirklich eine entscheidende Devisenquelle und damit ein Ansporn zum Erhalt der letzten Wälder sein: Denn tanzende Lemuren, farbwechselnde Chamäleons oder die urigen Fossas kommen nun einmal nur hier vor. Doch dieses Versprechen erfüllt sich nur, wenn die Menschen vor Ort endlich etwas von diesem Geld haben.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen