Gravitationswellen: Einsteins Wellen – der Stand der Dinge
Im Jahr 1917 hatte Albert Einstein Gravitationswellen auf der Grundlage seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt. Sie breiten sich immer dann aus, wenn Massen beschleunigt werden sowie eine Abweichung von der Kugelsymmetrie vorliegt. Gravitationswellen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit. Damit ähneln sie elektromagnetischen Wellen, die von beschleunigten elektrischen Ladungen ausgehen. In Einsteins Wellengleichung steckt allerdings eine ungünstige Kombination von Naturkonstanten, die dazu führt, dass Gravitationswellen grundsätzlich immer extrem schwach sind. Nur sehr kompakte Massen wie Neutronensterne und Schwarze Löcher, die auch äußerst stark beschleunigt werden müssen, erzeugen Gravitationswellen an der Nachweisschwelle. Deshalb dauerte es fast 100 Jahre, bis die von Einstein vorhergesagten Raumzeitwellen tatsächlich experimentell gemessen wurden.
Premiere im Jahr 2015
Der Durchbruch gelang mit den Gravitationswellendetektoren von LIGO in den USA. Im Ereignis GW150914, gemessen am 14. September 2015 und der Öffentlichkeit bekannt gegeben im Februar 2016, wurden Gravitationswellen aufgespürt, die von zwei weit entfernten stellaren Schwarzen Löchern erzeugt wurden, als sie sich rasant umkreisten und schließlich kollidierten (siehe »Gravitationswellensignal aus einer Kollision«). Dieser kosmische Zusammenstoß erschütterte die Raumzeit, in der sich die Störungen der Gravitation wellenförmig mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiteten. Jahrzehntelang hatten Teams auf diesen fulminanten Erfolg hingearbeitet, der für die US-Forscher und Pioniere der ersten Stunde, Kip Thorne, Rainer Weiss und Barry Barish, mit dem Physik-Nobelpreis des Jahres 2017 belohnt wurde.
Nicht nur Schwarze Löcher
Zunächst wurden Dutzende solcher verschmelzenden Paare von Schwarzen Löchern entdeckt. Die Wellenform sah immer aus wie ein Chirp-Signal. Die Gravitationswellen machten sich in den Laserinterferometern, welche die winzigen Erschütterungen der Raumzeit auf der Erde präzise messen können, bemerkbar. Die Analyse des abklingenden Signalteils – des so genannten Ring-Downs – legt dabei nahe, dass die kollidierenden Objekte tatsächlich klassische Schwarze Löcher sind, die Krümmungssingularitäten enthalten. Alles passt zu den Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie.
Ein weiterer Durchbruch war die erste nachgewiesene Kollision zweier Neutronensterne im Ereignis GW170817 im August 2017. Das Neue an diesem stellaren Unfall war, dass erstmals ein begleitendes kosmisches Feuerwerk im Bereich der elektromagnetischen Wellen gemessen werden konnte. Es folgte unmittelbar auf das Gravitationswellensignal. Im Unterschied zu materielosen Schwarzen Löchern gibt es im Inneren von Neutronensternen ultrakompakte Materie. Bei der Kollision der Neutronensterne leuchtet sie als Kilonova auf, was im Fall von GW170817 mit Hunderten von Teleskopen in verschiedenen Spektralbereichen detektiert werden konnte.
Ein Duo, das in den Weiten des Alls seltener auftritt, besteht aus einem Neutronenstern und einem Schwarzen Loch. In den bisherigen Beobachtungsläufen wurde etwa eine Hand voll Ereignisse beobachtet, bei denen diese beiden Exoten miteinander verschmolzen. Hierbei verformen die heftigen Gezeitenkräfte des Schwarzen Lochs den kugelförmigen kompakten Sternüberrest in eine längliche Banane und zerreißen ihn schließlich. Übrig bleibt ein Schwarzes Loch, das etwas an Masse gewonnen hat, weil es sich Teile des Neutronensterns einverleibt hat.
An den Beobachtungsläufen sind weltweit inzwischen vier große Laserinterferometer beteiligt: die beiden US-amerikanischen LIGO-Detektoren in Hanford und Livingston, Virgo in Italien und der unterirdisch platzierte Detektor KAGRA in Japan (siehe »Beobachtungsläufe von LIGO, Virgo und KAGRA«). Die Armlänge dieser L-förmigen Interferometer liegt zwischen drei und vier Kilometern. Nur dann ist gewährleistet, dass das aberwitzig kleine Signal, das relativen Längenänderungen im Bereich von einem zehntausendstel Protonendurchmesser entspricht, überhaupt nachgewiesen werden kann. Die Messmethode beruht darauf, dass bei einer durchlaufenden kosmischen Gravitationswelle die beiden Arme des Interferometers unterschiedlich stark gedehnt und gestaucht werden. Das beeinflusst die Wegstrecke der Laserstrahlen, die sich im Interferometer ausbreiten, und verrät schlussendlich die Raumzeitwelle.
An der Beobachtungskampagne O1 waren nur die beiden LIGO-Detektoren beteiligt. Bei O2 kam Virgo dazu und bei O3 das japanische Interferometer KAGRA. Alle Detektoren weisen eine maximale Empfindlichkeit für Gravitationswellen mit Frequenzen von 100 bis 200 Hertz auf. Für kleinere und größere Frequenzen überlagern Störungen die Messungen, zum Beispiel natürliche Schwingungen der Erdoberfläche, Schwingungen oder Temperaturschwankungen in den Apparaturen oder – bei höheren Frequenzen – Quanteneffekte. Der Beobachtungslauf O3 endete im Frühjahr 2020 mit seinerzeit 91 entdeckten Gravitationswellensignalen (siehe »Gemessene Gravitationswellen von 2015 bis 2020«). Der Beobachtungslauf O4 startete am 24. Mai 2023, wurde für ein Upgrade der Detektoren und Analysewerkzeuge unterbrochen und startete erneut am 10. April 2024. Die derzeit laufende Fortsetzung, auch O4b genannt, soll im Februar 2025 enden. Der japanische Detektor KAGRA wurde im Januar 2024 bei einem Erdbeben beschädigt und wird voraussichtlich erst im Januar 2025 wieder Messungen aufnehmen.
GW230529, ein neues Signal
Unter den Gravitationswellensignalen der jüngeren Zeit sind auch solche, die den Forschenden Rätsel aufgeben. Dazu gehört das Ereignis GW230529, das am 29. Mai 2023 – nur fünf Tage nach Beginn von O4 – gemessen wurde. Unklar ist nämlich, von welchem Typ die beiden kompakten Objekte waren, die hier kollidierten. Eines der beiden war auf jeden Fall ein Neutronenstern, weil das Objekt 1,4 Sonnenmassen aufweist. Für ein Schwarzes Loch ist das nach aktuellen Erkenntnissen der Stellarphysik zu leicht. Das zweite Objekt hat eine Masse zwischen 2,5 und 4,5 Sonnenmassen. Es ist seit Jahrzehnten eine kontrovers geführte und bislang nicht geklärte Debatte, welche Masse ein Neutronenstern höchstens und ein stellares Schwarzes Loch mindestens aufweisen kann. Nach wie vor ist die physikalische Beschreibung der kompakten und hochverdichteten Materie im Inneren von Neutronensternen nicht eindeutig verstanden. Astronomische Messungen können zum Beispiel durch präzise bestimmte Massen von Neutronensternen und stellaren Schwarzen Löchern helfen, dieses Rätsel der Zustandsgleichung zu lösen. So nehmen etwa Beimischungen von exotischen Elementarteilchen wie den Strange-Quarks Einfluss darauf, wie klein und wie massereich ein Neutronenstern sein kann. Auch die mit dem Astrometriesatelliten Gaia neu entdeckten stellaren Schwarzen Löcher in unserer Galaxis stecken den erlaubten Massebereich ab.
Beim Gravitationswellensignal GW230529 ist auf Grund der Stärke der auf der Erde gemessenen Welle nur klar, dass die Quelle 650 Millionen Lichtjahre entfernt sein muss. Leider registrierte zum Zeitpunkt der Messung lediglich ein LIGO-Detektor das Signal, so dass die Richtung zur Quelle nicht ermittelt werden konnte. Bis auf Weiteres muss daher leider offenbleiben, was genau da zusammengestoßen ist. Ein ähnlicher Fall ist übrigens das Gravitationswellensignal GW190814.
Das fehlt noch auf der Wunschliste
Bislang ist es nicht gelungen, die Gravitationswellen von Kernkollaps-Supernovae nachzuweisen, also wenn ein massereicher Stern am Ende seiner Entwicklung im Gravitationskollaps in sich zusammenstürzt. Natürlich werden bei einem so katastrophalen Ereignis Massen enorm beschleunigt. Das geschieht, wie Computersimulationen zeigen, auf nicht kugelsymmetrische Art und Weise, so dass dabei Gravitationswellen abgestrahlt werden. Es wurde bereits vor Jahrzehnten zunächst mit einfachen, später mit komplexeren Modellen berechnet, wie die Gravitationswellen solcher Sternexplosionen aussehen. Schnell war klar, dass sie eine völlig andere Wellenform haben als das Chirp-Signal verschmelzender kompakter Objekte (siehe »Einsteins Wellen aus einer Supernova«). Die Vorgänge im kollabierenden Stern sind recht komplex. Sein Kern fällt innerhalb von etwa 0,3 Sekunden schlagartig in sich zusammen. Wenn bei diesem Zusammensturz Kernmateriedichte erreicht wird, stoppt der Kollaps abrupt, und es kommt zu einem Rückprall: Eine Stoßwelle (»Schock«) läuft nach außen und trifft die nach wie vor von außen einstürzende Materie. Eigentlich sollte die Stoßwelle nun zum Stillstand kommen, aber das geschieht nicht. Nach gängigen Modellen wird die Stoßwelle durch Neutrinos, die als Nebenprodukt im Kollaps entstehen und in Myriaden nach außen strömen, »wiederbelebt«. Sie treiben die eigentliche Supernova-Explosion an.
Ein solches Ereignis steht noch auf der Wunschliste der Gravitationswellenforscher. Der Sternriese Beteigeuze, der etwa 650 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Orion strahlt, ist ein sehr guter Kandidat für eine Sternexplosion, von der auch ein starkes Gravitationswellensignal ausgehen muss. Mit ungefähr 20 Sonnenmassen bringt der Gigant genug auf die Waage, dass seine Explosionen nicht nur elektromagnetische Wellen, sondern auch Gravitationswellen emittieren müssen. Es bleibt zu hoffen, dass, wenn dies geschieht, auch einige Gravitationswellendetektoren eingeschaltet sein werden. Nahe Supernovae sind nämlich relativ selten. In den letzten 400 Jahren ist in unserer Galaxis kein solches Ereignis aufgetreten! Wahrscheinlich werden erst Gravitationswellendetektoren der dritten Generation, wie das geplante Einstein-Teleskop, empfindlich genug sein, um verlässlich eine Supernova in unserer Galaxis nachweisen zu können.
Niederfrequente Gravitationswellen
Elektromagnetische Wellen treten über einen breiten Frequenzbereich auf. Licht ist dabei nur ein schmales Band im Spektrum. Am kurzwelligen Ende gibt es Ultraviolett-, Röntgen-, Gamma- und Teraelektronenvolt-Strahlung. Am langwelligen Ende kennen wir Infrarotstrahlung und Radiowellen. Bei Gravitationswellen ist das nicht anders. Es hängt vom Mechanismus ab, der die einsteinschen Wellen erzeugt, wie stark sie sind und welche Frequenzen sie abdecken. Darüber hinaus beeinflussen Dopplereffekt, Gravitationsrotverschiebung und kosmologische Rotverschiebung die Gravitationswellen genauso wie die elektromagnetischen Wellen.
Im Rahmen der aktuellen Erkenntnisse sind Fachleute überzeugt, dass es zwei Quellen für besonders niederfrequente Gravitationswellen geben muss: Duos von Weißen Zwergen und Paare von extrem massereichen Schwarzen Löchern. Die Theorie der Gravitationswellen lässt sich auf solche Systeme übertragen, so dass die erwarteten Signale berechnet werden können. Im Buch »10 Dinge, die Sie über Gravitationswellen wissen wollen« finden Sie einfache Gleichungen, mit denen Sie selbst die Stärken von Gravitationswellen berechnen können, die aus Doppelsystemen kommen. Die Frequenzen der Gravitationswellen von Paaren extrem massereicher Schwarzer Löcher liegen im Bereich von millionstel bis milliardstel Hertz. Dieses Regime kann mit erdgebundenen Gravitationswellendetektoren nicht erreicht werden. Die Armlänge von Interferometern muss gigantisch sein – oder man verwendet eine völlig andere Nachweismethode. Ersteres ist bereits in konkreter Planung: LISA ist ein weltraumgestütztes Laserinterferometer der Superlative, das von den Weltraumbehörden ESA und NASA gebaut wird. Aktuell ist geplant, dass es im Jahr 2035 mit einer Ariane-6-Rakete starten soll. Die Apparatur ist um ein Vielfaches größer als die Erde. Die Armlänge beträgt – passend zu den niedrigen Frequenzen – 2,5 Millionen Kilometer, demnach 1/60 einer Astronomischen Einheit. LISA soll einen neuen Spektralbereich der Gravitationswellen eröffnen.
Zudem gibt es eine Nachweismethode von Gravitationswellen, die ganz anders funktioniert. Sie involviert Radiopulsare, also Neutronensterne, die rasend schnell um ihre Achse rotieren. Sie geben sehr regelmäßig Radiopulse ab und eignen sich daher als hochpräzises Uhrwerk. Trifft eine kosmische Gravitationswelle den Pulsar, dann gerät die Uhr kurzzeitig aus dem Takt. Überwacht man mit Hilfe von Radioteleskopen mehrere solcher Quellen gleichzeitig, kann man so den Durchgang einer Gravitationswelle verfolgen. Die Häufigkeit, mit der man Radiopulsare beobachten kann, und die Zeitspanne, wie lange man bereits individuelle Radiopulsare überwacht, bestimmen die mit solchen Pulsar Timing Arrays (PTAs) beobachtbaren Frequenzen niederfrequenter Gravitationswellen. Dass der Nachweis des gemeinsamen Signals vieler Paare extrem massereicher Schwarzer Löcher prinzipiell funktioniert und auch das erwartete Signal gemessen werden kann, deutete sich in Messkampagnen bereits an.
Wir stehen erst am Anfang der neuen Ära der Gravitationswellenastronomie. Wir dürfen hoffen, dass uns spannende und überraschende Erkenntnisse in den nächsten Jahren bevorstehen.
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