Dinosaurier: Der T. rex von Berlin
Die Geschichte klingt wie ein Märchen für Paläontologen: Ein reicher Geschäftsmann kauft ein nahezu unbezahlbar wertvolles Skelett eines Tyrannosaurus rex. Aber anstatt ihn vor fremden Augen zu verbergen, sich mit ihm zu brüsten oder ihn für noch mehr Geld weiterzuverkaufen, leiht er das Fossil einem wissenschaftlichen Institut. Kostenlos – lediglich unter zwei Auflagen: Das Tier soll erforscht werden und für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Schwer zu glauben, in einer Zeit, in der Dinosaurierskelette mehrere Millionen Euro kosten können. Aber genau so ist es passiert.
Anfang Januar 2015, Schauplatz: das Berliner Naturkundemuseum. Im Büro von Ausstellungsleiter Uwe Moldrzyk klingelt das Telefon. Am anderen Ende: Der Museumsdirektor Johannes Vogel. Ob Moldrzyk einen Tyrannosaurus für die Ausstellung haben möchte. "Einfach so?" – "Einfach so." Uwe Moldrzyk traut seinen Ohren kaum. Auch ein halbes Jahr später steht ihm noch die Verblüffung ins Gesicht geschrieben, wenn er von dem Anruf erzählt. "Was soll der kosten?" – "Nichts." Eine Dauerleihgabe für drei Jahre. Es wird der erste echte Tyrannosaurus rex sein, der in Europa ausgestellt wird.
Der Besitzer macht nicht den Eindruck, als hätte er es nötig, sich an dem Fossil zu bereichern. Er würde gern dazu beitragen, Europa zu einer herausragenden Stätte für Dinosaurier zu machen, sagt Niels Nielsen. Der gebürtige Däne ist Geschäftsmann bei Saffron Tax, einer Londoner Steuerberatergesellschaft. In seiner Freizeit ist er passionierter Sammler von Fossilien und Originalmanuskripten einflussreicher naturwissenschaftlicher Persönlichkeiten. "Ich möchte, dass Tristan Otto", so der Name des Tyrannosaurus, "von den weltbesten Paläontologen untersucht wird, und ich möchte andere an der Freude und Faszination teilhaben lassen, die meine Familie und ich für Dinosaurier empfinden."
Keine Preisauskunft
Tristan ist das dritte vollständige Dinosaurierskelett, das Nielsen erwerben konnte, neben diversen anderen Fossilien. "Meine Absicht ist, irgendwann einmal alle drei Tiere für die Öffentlichkeit auszustellen", sagt der Hobbypaläontologe. Auf den außergewöhnlichen Fund eines Tyrannosaurus-Skeletts hätten ihn eigene Nachforschungen und der Hinweis eines Freundes gebracht, berichtet er. Was er gekostet hat? "Das möchte ich lieber für mich behalten", sagt Nielsen.
Sommer 2012. Bei Ausgrabungen auf einem Privatgrundstück im US-amerikanischen Montana wird das Skelett eines Tyrannosaurus frei gelegt, das später den Namen Tristan Otto erhalten soll. Allein sein Schädel ist ungewöhnlich vollständig, ganze 98 Prozent des ursprünglichen Volumens sind von ihm erhalten. Hell Creek, so der Name der Fundregion, ist als Gesteinsformation bekannt für seine Schichten aus der obersten Kreidezeit. Die Böden sind reich an Dinosaurierüberresten.
12,3 Meter lang und 4 Meter hoch, so begrüßt Sue seit 2000 die Besucher des Museums. Bisher gilt ihr Skelett mit etwa 224 von 321 gefundenen Knochen als am besten erhalten. Um ihren Besitz wurde 1997 ein ganz eigener Kampf ausgefochten: Damit das Fossil nicht in Privatbesitz fiele und damit für die Öffentlichkeit möglicherweise unzugänglich geworden wäre, buhlten das National Museum of Natural History der Smithsonian Institution in Washington und das Field Museum in Chicago um das prestigeträchtige Exponat. Das Rennen machte schließlich Chicago, unterstützt mit 7,6 Millionen Dollar unter anderem von der Fastfood-Kette McDonald's.
Der schönste Schädel
Ganz so stattliche Maße wie Sue hat Tristan mit seinen 12 Metern Länge und 3,4 Metern Höhe nicht, doch mit 157 Knochen gilt er immerhin als das am drittbesten erhaltene Fossil der Art. Und sein wohlgeformter Schädel könnte Sue in Sachen Schönheit den Rang ablaufen. Aber hier geht es nicht allein ums Aussehen.
Juli 2015: Ein vierköpfiges Expeditionsteam um den Berliner Ausstellungsleiter Moldrzyk betritt das Flugzeug nach Montana. Mit ihm unterwegs sind Benedikt Esch, der ebenfalls für den Ausstellungsaufbau verantwortlich ist, der Paläontologe Heinrich Mallison und zwei Grabungsassistenten. Sie hoffen, dass das Fundbett von Tristan noch nicht durch andere Grabungen zerstört wurde. Denn in einer viertägigen Prospektion wollen sie die Fläche genauer unter die Lupe nehmen.
Das Team untersucht, ob der Boden Hinweise auf Tristans botanische Umwelt und andere Dinosaurier birgt. Moldrzyk und Esch, die Ausstellungsbeauftragten, wollen sich ein Bild von der Region machen, um sich Anregungen für begleitende Exponate und Displays zu holen. Vor allem soll die Kurzexpedition aber zeigen, ob es sich lohnt, in den kommenden Jahren das Gebiet durch gründlichere Ausgrabungen zu untersuchen. Tristan soll nach der Verfügung seines Eigentümers schließlich nicht nur Ausstellungs-, sondern ebenso Forschungsobjekt sein.
Neben einem paläoökologischen Projekt, das durch Tristans Nebenfunde befeuert wird, steht dabei das Skelett selbst im Mittelpunkt. Seine anatomische Beschreibung soll vervollständigt werden und für funktionsmorphologische Fragestellungen dienen: Hatte Tyrannosaurus beispielsweise die Voraussetzungen, um schnelle Sprints oder gar Dauerläufe zu absolvieren? Welche Körperhaltung kommt einer lebensnahen Abbildung vermutlich am nächsten? Radiometrische Untersuchungen werden in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité und Toshiba stattfinden, um digitale Daten zur weiteren Verwendung zu generieren.
Wie starb Tristan?
Eine paläopathologische Arbeitsgruppe will analysieren, welche krankhaften Anomalien das Skelett zeigt. "Man findet Verknöcherungen von Knorpelbereichen in den Rippen und Bauchrippen", sagt der Arbeitsgruppenleiter Oliver Hampe. "Das lässt darauf schließen, dass es sich um ein Tier im mittleren Alter handelt." Aber selbst der Spezialist Hampe hadert mit dieser Aussage: Schließlich gibt es eindeutig zu wenig Vergleichsmaterial, um sie zweifelsfrei zu belegen. Sicher ist, dass Tristan vor etwa 66 Millionen Jahren umgekommen ist. Über die Umstände lässt sich nur spekulieren.
Die Geschwüre im Gesicht des Dinos waren es jedenfalls vermutlich nicht: Hier handelte es sich laut Hampe um gutartige Tumore. Auch Wachstumsanomalien will der Paläontologe genauer untersuchen. So konnte er bereits feststellen, dass die Zähne von Tristan nicht eine Schneide besitzen, wie es normalerweise der Fall ist, sondern jeweils zwei. Aber was sagt das über Tristans Alltag aus? Waren es Vor- oder Nachteile für sein Überleben? Vielleicht lassen sich diese Fragen beantworten, wenn Hampe und seine Kollegen den Dino genauer unter die Lupe genommen haben.
Tristans Präparation hatte Nielsen derweil schon nach dem Kauf veranlasst. Er wählte das Präparatorenpaar April und Barry James, die mit ihrem Unternehmen Prehistoric Journeys im kleinen Örtchen Sunbury im US-Bundesstaat Pennsylvania Dinosaurierknochen aufarbeiten. Seit 1987 haben die beiden mehr als 155 Skelette von Dinosauriern und anderen ausgestorbenen Tieren aufbereitet. "Sie gehören weltweit zu den besten, wenn es darum geht, Dinosaurier zu präparieren", begründet Nielsen seine Wahl, "und darüber hinaus sind es auch noch tolle Leute."
Persönliche Sympathie war es auch, die Nielsen dazu bewogen hat, Tristan dem Berliner Naturkundemuseum als Leihgabe anzubieten. "Ich hatte gleich ein gutes Gefühl beim Umgang mit Johannes Vogel, dem Museumsdirektor", sagt Nielsen, "und ich habe bei den zuständigen Mitarbeitern begeistertes Engagement gesehen, als es um die Planung von Forschungsprojekten und der Ausstellung ging." Ab Dezember kann Tristan im Museum besucht werden. Zunächst wird er dort für drei Jahre zu sehen sein. Ob Nielsen auch kommen wird? "Natürlich, ich werde des Öfteren vorbeischauen."
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