Erbgutanalyse: Ein Hauch von Nashorn
Alle Lebewesen hinterlassen Spuren in Form von DNA. Diese Tatsache hilft der Spurensicherung der Polizei Mörder, Einbrecher und andere Täter zu überführen. Aber auch Biologen nutzen zunehmend so genannte Umwelt-DNA (eDNA), um Tieren auf die Spur zu kommen, die versteckt oder über großes Gebiet verstreut leben. In Gewässern untersuchen Biologen mit DNA-Barcoding zum Beispiel, ob bestimmte Amphibien- und Fischarten dort vorkommen.
Aus Gewässerproben vom Volumen einer Esslöffelfüllung lässt sich sogar herauslesen, ob in einem großen See zuvor ein Hirsch gebadet oder ein winziger Mauersegler im Vorbeiflug für wenige Sekunden etwas getrunken hat. Und das ist erst der Anfang der Möglichkeiten. So wiesen Forscher durch die Genanalyse kleinster Abstriche von Schnäbeln und Krallen von Merlinen nach, dass die kleinen Greifvögel 40 verschiedene Vogelarten zu ihrem Beutespektrum zählen.
Auch in der Luft selbst schwebt DNA. Doch diese potenziell reichhaltige Informationsquelle ist bisher fast unerschlossen. Warum das so ist, erklärt die Biologin Christina Lynggaard von der Universität Kopenhagen, die gerade mit ihrer Kollegin Kristine Bohmann die Ergebnisse eine der ersten umfangreichen Studien zum Thema publiziert hat. »Luft ist ein extrem schwieriges Substrat«, sagt sie. »Denn Luft ist überall und das bedeutet, dass der Verdünnungsfaktor darin groß und das Risiko von Verunreinigungen von genetischen Proben besonders hoch ist.«
Wie fliegendes Erbgut Tiere verrät
Um eine aus den Proben gewonnene genetische Information einer bestimmten Tierart zuordnen zu können, wird auf das so genannte Barcoding zurückgegriffen: Die Erbgutinformationen werden sequenziert und anschließend mit solchen Sequenzen abgeglichen, die für viele Tier- und Pflanzenarten in einer DNA-Referenzdatenbank als Barcodes gespeichert sind. Barcodes sind damit so etwas wie der genetische Fingerabdruck einer Art und funktionieren wie Strichcodes auf Produkten im Supermarkt – beide sind einzigartig für ein bestimmtes Objekt.
»Das es so durchschlagend funktioniert, hätte wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können«Christina Lynggaard, Universität Kopenhagen
Barcoding aus Boden- und vor allem aus Gewässerproben gehört beinahe schon zum Standard eines fortgeschrittenen Biodiversitäts-Monitorings. Und in der Luft, die uns umgibt, herrscht womöglich sogar noch mehr Gewimmel. Neben den lebenswichtigen Zutaten Sauerstoff und Stickstoff schwebt darin Feinstaub, es tummeln sich Sporen, Pollen und Bakterien – und mit etwas Pech derzeit auch einschlägige Viren.
Dass sich darin auch deutlich nachweisbare Spuren von Nashörnern, Elefanten, Vögeln und sogar Fischen finden lassen, erstaunte selbst die Forscher um Lynggaard und Bohmann, die experimentell genau das herausfinden wollten. »Das es so durchschlagend funktioniert, hätte wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können«, sagt Lynggaard, der die Begeisterung und dass Erstaunen auch mehr als ein Jahr nach dem Experiment noch anzumerken ist.
»Wir kennen die Schwierigkeiten des Wildtiermonitorings und wissen gleichzeitig um seine große Bedeutung für den Naturschutz«, erläutert Bohmann die Ausgangslage vor Beginn ihrer Studie. »Wir wollten wissen, ob das, was über das Wasser möglich ist, auch mit der Luft klappt, einem Stoff, der alle Landtiere umgibt und das Monitoring deshalb in eine neue Dimension führen könnte«, sagt die Professorin für Evolutionsbiologie.
Erste Experimente im Okapi-Stall
Um zu testen, ob sich die winzigen Bausteine des Lebens in der Luft in so hoher Zahl und in so gutem Zustand nachweisen lassen, um zu erkennen, von welchem Tier sie stammen, begaben sich die Forscherinnen in den Kopenhagener Zoo. Um die Genproben einzufangen, nutzten sie verschiedene kleine Handstaubsauger oder Ventilatoren, jeweils ausgestattet mit empfindlichen Feinstaubfiltern, wie sie bei der Überwachung der Luftqualität oder zur Reinigung von Raumluft verwendet werden.
Die ersten Luftmessungen fanden in geschlossenen Ställen statt, »in denen man die Tiere auch deutlich riechen konnte«, erinnert sich Bohmann. »Wir wären schon überglücklich gewesen, wenn es uns gelungen wäre, in den Luftproben nur Spuren der Zootiere zu entdecken, die wir vor unserer Nase hatten», sagt Bohmann. »Das ganze Projekt war als reine Proof-of-Concept-Studie darauf angelegt, erste Grundlagen für die Machbarkeit solcher Analysen zu legen.«
Doch schon mit ihren ersten Proben filterten die Forscherinnen nicht nur DNA-Fragmente der beiden in dem Stall gehaltenen Okapis und zweier ebenfalls dort untergebrachter Antilopen aus der Luft. Auf Anhieb konnten sie auch die Anwesenheit gleich 20 weiterer Tierarten außerhalb des Stalles nachweisen und alle anhand ihres Genprofils richtig bestimmen.
»Wir konnten auf den Zooplan schauen und genau sehen, dass die von uns genetisch nachgewiesenen Tiere tatsächlich in anderen Gehegen oder im Park in der Umgebung lebten«, sagt Lynggaard. »Als wir die ersten Ergebnisse sahen, sagten wir nur: Was für eine wahnsinnige Entdeckung«, erinnert sich Bohmann. Vom ersten Erfolg ermutigt, nahmen die Wissenschaftlerinnen an zwei weiteren Stellen des Zoos Luftproben. Im feucht-tropischen Regenwaldhaus und im Freien. Die Ergebnisse waren noch erstaunlicher.
Der ganze Zoo in einem Atemzug
Beinahe alle Zootiere wies das Team über ihre DNA-Spuren in der Luft nach. Sogar portionierte Lachse, die an Raubtiere verfüttert wurden, konnten die Wissenschaftlerinnen bis auf die Art genau bestimmen. Insgesamt gelang es ihnen in nur 40 Proben 49 Tierarten nachzuweisen: 30 Säugetier-, 13 Vogel-, 4 Fisch- und jeweils eine Amphibien- und Reptilienart.
Die Erbgutinformationen der Tiere schwirrten nicht nur in unmittelbarer Nähe der Gehege oder Käfige herum, in denen sie leben. Auch mehrere hunderte Meter entfernt konnte unter freiem Himmel die Artzugehörigkeit einer Vielzahl von Tierarten ausschließlich anhand ihrer DNA-Spuren in der Luft sicher bestimmt werden. Und nicht nur Zootiere fanden die Wissenschaftlerinnen. In ihren Filtern verfing sich auch DNA, die Hunde beim Gassigehen, Katzen beim Streunen und Ratten sowie Eichhörnchen auf ihren Beutezügen in der Umgebung des Zoos hinterlassen hatten.
Woher das genetische Material genau stammt und wie es transportiert wird, können die Forscherinnen nicht sagen. Denkbar ist, dass sich winzige DNA-Partikel aus Kot, Fell, Haaren, Speichel oder dem Atem der Tiere an Feinstaub gebunden durch die Luft bewegen oder selbst frei herumschweben. »Es kann alles sein, das so klein ist, dass es leicht genug ist, um in der Luft zu schweben«, sagt Lynggaard.
Unabhängig und ohne gegenseitige Kenntnisse der anderen Projekte arbeitete fast zeitgleich nur knapp 1000 Kilometer südwestlich in einem Zoo nahe Cambridge ein weiteres Forscherteam an exakt derselben Fragestellung. Elizabeth Clare von der Queen Mary University of London konnte mit einem ähnlichen Versuchsaufbau insgesamt 25 Säugetier- und Vogelarten nachweisen. Auch ihr Team konnte DNA-Spuren selbst unter freiem Himmel auf hunderte Meter messen und der Wirtstierart zuordnen.
Tiger lassen keinen Zweifel zu
»Die DNA drang sogar aus gut verschlossenen Gebäuden heraus, und selbst über größere Entfernungen zeigte sich keine signifikante Verringerung ihrer Konzentration«, sagt Clare. Besonders freute sich das britische Team über den genetischen Nachweis eines Nichtzootiers: Gut versteckt vor den Augen, aber nicht vor den Messgeräten der Forscher hielt sich im Zoo ein Igel verborgen. Die Stacheltiere sind auf der britischen Insel bedroht.
»Es kann alles sein, das leicht genug ist, um in der Luft zu schweben.«Christina Lynggaard, Universität Kopenhagen
Dass sich beide Teams für Zoos als Experimentierfeld entschieden haben, ist kein Zufall. Die Vielzahl der nur dort anzutreffenden exotischen Tiere verringert das Risiko nachträglicher Falschinterpretationen der Spurenträger durch Verwechslung mit DNA-Material aus anderer Quelle. »Wir wollten zuerst auf einen Bauernhof gehen, aber dann hätten wir später nicht gewusst, ob Kuh-DNA nicht vielleicht von einer ganz anderen Kuh aus der Umgebung stammt oder sogar aus dem Mittagessen von jemandem«, sagt Clare. »Wenn ich aber Tiger-DNA finde, kann ich sicher sein, dass sie aus dem Zoo stammt.«
Nachdem beide Gruppen aus vorläufigen Veröffentlichungen in Preprints von den Arbeiten der jeweils anderen erfuhren, beschlossen sie, beide Arbeiten gemeinsam beim Fachjournal »Current Biology« zur Publikation einzureichen. »Die Idee, Tiere aus Spuren in der Luft heraus zu identifizieren, ist ziemlich verrückt«, sagt Clare. »Da ist es schon besser, wenn gleich zwei Teams unabhängig voneinander zeigen, dass es funktioniert.«
Die neue Methode hat nach Einschätzung ihrer Entdeckerinnen das Zeug, die Erforschung und das Monitoring von Wildtieren zu revolutionieren. Das große Artenspektrum zeige, dass sich DNA-Monitoring über die Luft für den Einsatz in der Natur grundsätzlich eigne, glaubt Bohmann. Auch das sehr zeitintensive und damit teure Wildtiermonitoring könne vielleicht irgendwann einmal durch Luftproben ersetzt werden, die zusätzlich weniger störe als Suchaktionen von Menschen. Die Tatsache, dass mit dieser Methode die Tiere nicht gefangen und mit Sendern, Ringen oder sonstigen Markierungen versehen werden müssen, macht sie besonders bei der Erforschung und Überwachung seltener und bedrohter Arten viel versprechend, argumentieren die Forscherinnen.
Tot oder lebendig?
Bis zur routinemäßigen Anwendung der Methode ist es aber noch ein langer Weg. Denn noch können die Wissenschaftlerinnen per DNA-Analyse zentrale Fragen nicht beantworten. Beispielsweise lässt sich bislang aus einem DNA-Nachweis noch nicht folgern, ob sich ein oder mehrere Tiere derselben Art in dem Gebiet aufhalten. Gibt es Verzerrungen, weil ein Vogel, obwohl er leichter ist als eine Schildkröte, mehr eDNA verteilt, weil er fliegt und sein Gefieder putzt? »Die Abstoßrate von DNA scheint entscheidend«, sagt Bohmann.
Auch andere für die biologische Forschung und die Erfolgskontrolle von Artenschutzprojekten grundlegenden Daten lassen sich aus den oft durch die Zeit in der Luft geschädigten Geninformationen noch nicht ableiten: Stammen sie von einem Männchen, einem Weibchen oder gar von einem Jungtier? Deuten mehrere Nachweise auf mehrere Tiere hin oder hat ein und dasselbe Tier mehrmals seine Spuren hinterlassen? Ist das nachgewiesene Tier gegenwärtig anwesend oder war es vielleicht nur auf dem Durchzug im Gebiet? Lebt es oder ist es tot? »Es gibt jede Menge Fragen, die wir nach dem erfolgreichen Start jetzt klären müssen«, sagt Bohmann. »Wir wollen weiterkommen als nur Anwesenheit oder Abwesenheit zu bestimmen.«
Als Nächstes wollen die Kopenhagener Forscherinnen die Gewinnung von DNA aus der Luft unter realen Bedingungen in der Natur erproben. Bohmann stellt gerade ein Team für ein entsprechendes Projekt zusammen, das in Lebensräumen auf verschiedenen Kontinenten forschen soll. Denn Natur ist nicht gleich Natur. Im Wald begrenzen Bäume möglicherweise den Transport von eDNA, klimatische Bedingungen, Jahreszeiten und Regenperioden können ebenfalls eine Rolle spielen.
Luftfeuchtigkeit jedenfalls scheint die Methode eher zu verbessern, wie die Erfahrungen aus dem künstlichen Regenwaldhaus im Kopenhagener Zoo zeigen. Dort konnten die Forscherinnen sogar die Fische in einem Wasserbecken nachweisen und als Guppys korrekt bestimmen – und zwar nicht mit dem Wasser, sondern mit DNA aus der Luft.
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