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Naturschutz: EU stimmt doch noch für ambitioniertes Renaturierungsgesetz

Dank der Jastimme der österreichischen Umweltministerin wurde das bislang umfassendste Gesetz zum Schutz der Natur überraschend angenommen. Bis zuletzt stand es knapp vorm Scheitern.
Wiedervernässtes Moor in Niedersachsen
Durch die Wiedervernässung von Mooren wird nicht nur das Klima geschützt, sondern auch Artenschutz betrieben: Viele selten gewordene Spezialisten sind auf die Bedingungen in den Feuchtgebieten angewiesen.

Der Rat der EU-Umweltministerinnen und -minister hat am Montagmorgen das Renaturierungsgesetz in finaler Abstimmung angenommen. Damit gibt sich die Europäische Union einige der weltweit umfassendsten und ambitioniertesten Vorgaben zum Schutz ihrer Natur. Laut dem Gesetz sollen die EU-Mitgliedsstaaten nun Maßnahmen ergreifen, um bis zum Jahr 2050 nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu renaturieren.

In einem ersten Schritt müssen sie darlegen, wie sie bis 2030 mindestens 30 Prozent ihrer Ökosysteme in einen »guten Zustand« zu bringen; das entspricht etwa einem Fünftel der Gesamtfläche der EU. (Mehr dazu in unserem FAQ: Worum geht es im Renaturierungsgesetz?« )

Entscheidende Neuerung: Künftig werden in der EU nicht mehr ausschließlich verbliebene intakte Gebiete geschützt, stattdessen müssen bereits geschädigte Gebiete wieder in einen gesunden Zustand versetzt werden. Damit folgt die EU den Erkenntnissen der Wissenschaft, wonach die verbliebenen intakten Naturräume in Europa nicht ausreichen, um das langfristige Überleben der Ökosysteme zu gewährleisten. Von funktionierenden Ökosystemen hängen aber unter anderem Gesundheit und Ernährung der EU-Bevölkerung maßgeblich ab.

Die Abstimmung im Ministerrat kam überraschend, nachdem es zwischenzeitlich schlecht um die Zukunft der Initiative gestanden hatte. Noch im März 2024 votierte zwar die Mehrheit der Länder für das Gesetz, die Befürworter repräsentierten jedoch nicht, wie in solchen Fällen gefordert, einen Anteil von mindestens 65 Prozent der europäischen Bevölkerung. Mit 64,05 Prozent scheiterten sie an diesem Kriterium damals denkbar knapp.

Ein Kursschwenk der österreichischen Umweltministerin Leonore Gewessler machte nun den Weg frei. Sie stimmte für das Gesetz und sorgte so für die nötige qualifizierte Mehrheit. Damit stellt sie sich gegen die politische Linie ihrer Koalition. Die ÖVP um Bundeskanzler Karl Nehammer hatte von ihr gefordert, sich bei der Abstimmung zu enthalten.

Bauernproteste brachten das Vorhaben fast zum Scheitern

Zuvor hatte sich die EU nach mehr als zwei Jahren intensiver Auseinandersetzung auf einen Kompromiss geeinigt, dem das Parlament im Februar 2024 mit knapper Mehrheit zustimmte. Darin waren weit reichende Zugeständnisse an Landwirte enthalten. In den Wochen bis zur finalen Bestätigung durch den Rat der Ressortchefs der Mitgliedsländer änderte sich jedoch die politische Lage. Die umfangreichen Proteste von Landwirtinnen und Landwirten, insbesondere gegen die EU-Politik, bewogen unter anderem Ungarn, dem ausgehandelten Kompromiss die Zustimmung zu verweigern.

Durch die Jastimme der österreichischen Umweltministerin bekommt das Vorhaben nun aber doch noch Gesetzeskraft. Daran dürfte, nach praktisch einhelliger Meinung der Ministerinnen und Minister beim Treffen in Luxemburg, selbst die angekündigte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof nichts ändern. Bundeskanzler Nehammer hatte erklärt, notfalls das Votum seiner eigenen Ministerin gerichtlich für nichtig erklären zu lassen. Einer solchen Klage räumt der amtierende Präsident des Ministerrats, der belgische Umweltminister Alain Maron, freilich wenig Aussicht auf Erfolg ein: Maßgeblich sei, was von den anwesenden Ministern am Tisch beschlossen werde, sagte er vor Beginn der Zusammenkunft. Auch Gewessler wies die Aussagen ihres Koalitionspartners zurück. Sie argumentierte, nach der gescheiterten Abstimmung im März habe sich das Bundesland Wien inzwischen für ein Ja zum Renaturierungsgesetz ausgesprochen, wodurch sich die Mehrheiten innerhalb Österreichs verschoben hätten. Unterdessen kündigte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Montag eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen seine Koalitionspartnerin an. Der Streit dürfte mit dem beginnenden Wahlkampf in Österreich zusammenhängen. Am 29. September finden in Österreich Parlamentswahlen statt.

Nicht zum ersten Mal stimmt ein Abgesandter im Rat der Umweltminister gegen seinen heimischen Koalitionspartner: 2017 hatte der damalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) im Rat überraschend einer Verlängerung der Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat zugestimmt. Damit sorgte er für Verärgerung beim Partner in der damaligen Großen Koalition. Die SPD sprach von einem »glatten Vertrauensbruch«. Schmidt dagegen argumentierte, er habe die Entscheidung »für sich« und in seiner Ressortverantwortung getroffen.

Auch Gewessler begründete ihr Abstimmungsverhalten mit ihrer persönlichen Verantwortung. Sie wolle guten Gewissens in 20 Jahren ihren Nichten sagen können, nichts unversucht gelassen zu haben.

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