Linguistik: Explosionen im Stammbaum
Sprachen entwickeln sich nicht mit konstanter Geschwindigkeit, sondern durchlaufen immer wieder Phasen rapider Evolution. Auch heute noch tragen unsere Sprachen die Spuren dieser Ereignisse in sich.
Wenn Siedler sich in eine menschenleere Gegend aufmachen und der Kontakt zu den Daheimgebliebenen abreißt, dann gehen nicht nur die Menschen eigene Wege, sondern bald auch ihre Sprachen. Dass deren Entwicklung dann aber nicht wie gehabt gemächlich weiterläuft, sondern offenbar einen rasanten Sprung macht, konnte jetzt der Evolutionsbiologe Mark Pagel von der Universität Reading in England nachweisen. "Neu entstehende Sprachen verändern sich am Anfang geradezu explosionsartig", sagte er in einem Interview mit dem Fachjournal Science, "und gehen erst danach in einen Zustand allmählicher Weiterentwicklung über."
Spurensuche in den Abstammungslinien
Schon länger vermuteten einige Linguisten, dass der Sprachwandel in diesen Situationen ungewöhnlich rasant voranschreitet. Ein Beweis fehlte aber bislang. Dabei haben die vielen Entwicklungssprünge der Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen – und zwar in unseren heute gesprochenen Sprachen. Aber erst mit neuen, aus der Evolutionsbiologie entlehnten Methoden gelingt es, diese sichtbar zu machen.
Diese Bäume suchten die Forscher um Pagel nach einem verräterischen Anzeichen ab. Ihre Überlegung: Existieren diese Entwicklungsexplosionen tatsächlich, müsste die Astlänge umso größer sein, je mehr Zweige von diesem Ast abgehen. Denn jede Verzweigung steht für eine Sprachgeburt mit dem darauffolgenden Evolutionssprung.
Biologie des Sprachwandels
Bei allen untersuchten Sprachfamilien wurden die Forscher fündig. "Wir schätzen, dass zehn bis dreißig Prozent der Veränderungen im Wortschatz auf diesen Einfluss zurückgehen", so Pagel.
Ähnliche Phänomene, die auftreten, wenn sich eine Gruppe zweiteilt, kennen auch Biologen. Die Forscher um Pagel kamen nun auf die Idee, auch in der Welt der Sprachen danach zu suchen, weil Linguisten seit einiger Zeit bevorzugt Parallelen zwischen Sprachwandel und evolutionstheoretischen Modellen ziehen.
Gesellschaften auf Identitätssuche
Wörter sind eigentlich wie Gene, heißt es dann grob gesagt: Sie entwickeln sich, wenn ein Versprecher sie mutieren lässt, sie verbreiten sich, wenn die Umstände günstig sind, und werden ausselektiert, wenn sie keiner mehr versteht.
Ist das Phänomen der beschleunigten Entwicklung also schlicht und ergreifend eine Konsequenz evolutionären Mechanismen? Während eine wachsende Anzahl von Linguisten hier vermutlich beifällig nicken würden, ist der Evolutionsbiologe Pagel skeptischer: "Solche Effekte sind gewiss wichtig", erklärt er gegenüber spektrumdirekt. Ein weiterer Grund befeuere die Sprachentwicklung aber mindestens in demselben Maße: "Gesellschaftliche Gruppen, die gerade im Entstehen sind, bauen sprachliche Unterschiede bevorzugt aus, um sich ihre eigene Identität zu schaffen."
Spurensuche in den Abstammungslinien
Schon länger vermuteten einige Linguisten, dass der Sprachwandel in diesen Situationen ungewöhnlich rasant voranschreitet. Ein Beweis fehlte aber bislang. Dabei haben die vielen Entwicklungssprünge der Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen – und zwar in unseren heute gesprochenen Sprachen. Aber erst mit neuen, aus der Evolutionsbiologie entlehnten Methoden gelingt es, diese sichtbar zu machen.
Was aus linguistischer Sicht dazu getan werden muss, ist die Erstellung standardisierter Wortlisten von möglichst vielen Töchtern einer Sprachfamilie. Daraus lassen sich nun Stammbäume berechnen, die nicht mehr nur zeigen, wer mit wem verwandt ist, sondern auch, wie groß der Unterschied zwischen den einzelnen Sprachen ist. Je länger ein Ast, desto weiter hat sich die Sprache an der Astspitze von ihrer Vorfahrin entfernt
Diese Bäume suchten die Forscher um Pagel nach einem verräterischen Anzeichen ab. Ihre Überlegung: Existieren diese Entwicklungsexplosionen tatsächlich, müsste die Astlänge umso größer sein, je mehr Zweige von diesem Ast abgehen. Denn jede Verzweigung steht für eine Sprachgeburt mit dem darauffolgenden Evolutionssprung.
Biologie des Sprachwandels
Bei allen untersuchten Sprachfamilien wurden die Forscher fündig. "Wir schätzen, dass zehn bis dreißig Prozent der Veränderungen im Wortschatz auf diesen Einfluss zurückgehen", so Pagel.
"Zehn bis dreißig Prozent der Veränderungen im Wortschatz gehen auf den Einfluss dieser beschleunigten Evolution zurück"
(Mark Pagel)
Bei den polynesischen Sprachen, die sich in einer Art "Inselhopping" quer über den Pazifik ausbreiteten und wo es dementsprechend viele solcher Hochgeschwindigkeitsphasen gab, liegt der per Statistik ermittelte Wert mit 33 Prozent am höchsten. (Mark Pagel)
Ähnliche Phänomene, die auftreten, wenn sich eine Gruppe zweiteilt, kennen auch Biologen. Die Forscher um Pagel kamen nun auf die Idee, auch in der Welt der Sprachen danach zu suchen, weil Linguisten seit einiger Zeit bevorzugt Parallelen zwischen Sprachwandel und evolutionstheoretischen Modellen ziehen.
Gesellschaften auf Identitätssuche
Wörter sind eigentlich wie Gene, heißt es dann grob gesagt: Sie entwickeln sich, wenn ein Versprecher sie mutieren lässt, sie verbreiten sich, wenn die Umstände günstig sind, und werden ausselektiert, wenn sie keiner mehr versteht.
Ist das Phänomen der beschleunigten Entwicklung also schlicht und ergreifend eine Konsequenz evolutionären Mechanismen? Während eine wachsende Anzahl von Linguisten hier vermutlich beifällig nicken würden, ist der Evolutionsbiologe Pagel skeptischer: "Solche Effekte sind gewiss wichtig", erklärt er gegenüber spektrumdirekt. Ein weiterer Grund befeuere die Sprachentwicklung aber mindestens in demselben Maße: "Gesellschaftliche Gruppen, die gerade im Entstehen sind, bauen sprachliche Unterschiede bevorzugt aus, um sich ihre eigene Identität zu schaffen."
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