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Ernährung: Mikroben könnten die Welt ernähren

Die derzeitige Landwirtschaft ist wenig nachhaltig. Könnten Bakterien, Hefen, einzellige Pilze oder Algen zukünftig die Produktion von tierischen Lebensmitteln oder Palmöl ersetzen?
Petrischale mit Bakterienkultur

Wir verzehren sie mit dem morgendlichen Jogurt, mit unserer Salatbeilage oder mit dem kühlen Weizenbier: Harmlose oder sogar nützliche Bakterien und Hefen werden schon seit Urzeiten vom Menschen in der Lebensmittelherstellung genutzt. Milchsäurebakterien säuern den Jogurt, Brauereihefe verwandelt Zucker aus Gerstenmalz in Alkohol, und auch auf Blattoberflächen tummeln sich zahlreiche Mikroben. So hat der Ernährungswissenschaftler Alexander Haslberger in einer Studie aus dem Jahr 2008 herausgefunden, dass Salatpflanzen im Schnitt von 105 Laktobazillen pro Gramm besiedelt werden.

Und auch Zyanobakterien, Mikroalgen genannt, sind schon lange Bestandteil der menschlichen Ernährung: Im 16. Jahrhundert sammelten die damals in der Region von Mexico City lebenden Ureinwohner Mikroalgen der Gattung Spirulina aus dem Texcoco-See. Selbst heute noch werden Mikroalgen geerntet, etwa aus dem Tschad-See in Zentralafrika, wo die Mikroben getrocknet und als Kekse, genannt »Dihé«, verspeist werden.

Nun stehen diese Mikroben zunehmend im Fokus der Ernährungsforschung. Denn: Mikroben, also Bakterien, Hefen, einzellige Pilze oder Algen, haben einen hohen Proteingehalt von bis zu 70 Prozent in der Trockenmasse. Zum Vergleich: Rindfleisch liefert etwa 60 Prozent Eiweiß, Eier 50 Prozent. Mikrobenprotein wird »single-cell protein« genannt. Teilweise bilden die Kleinstlebewesen auch für den Menschen wertvolle ungesättigte Fette (single-cell oil) und Vitamine vor allem der B-Familie.

Mikroben brauchen keine großen Ackerflächen

Anders als für die Produktion von Fleisch oder Ölpflanzen braucht man für sie keine großen Ackerflächen, sie können vielmehr in Biotanks gezüchtet werden. Dort vermehren sie sich schnell auf allen möglichen Abfallstoffen, etwa Reststoffen aus der Lebensmittelindustrie. Zudem können sie teilweise unerwünschte Stoffe wie Kohlendioxid, Stickstoff (aus Dünger) oder Methan (aus Kuhmägen) aus der Luft binden und abbauen.

Ins Spiel kommen diese Mikroben, weil im Jahr 2050 rund zehn Milliarden Weltbürger mit ausreichend Nahrung versorgt werden müssen. Mit der derzeitigen Landwirtschaft, die besonders durch die großen Mengen an tierischem Protein, aber auch an Palmöl gekennzeichnet ist, ist das nicht zu machen. Schließlich ist der Landverbrauch für den Anbau von Tierfutter immens. Noch dazu kommt es zu Stickstoffverlusten, Treibhausgasemissionen, einem hohen Wasserverbrauch sowie zu einem Verlust an Biodiversität. So ist die Landwirtschaft für rund 25 Prozent der Treibhausgasemissionen sowie für 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs verantwortlich.

Einige Wissenschaftler wie etwa Tomas Linder, Mikrobiologe an der schwedischen Universität in Uppsala, glauben, dass Mikroben bei einer nachhaltigeren Erzeugung von Lebensmitteln helfen können. Und auch der Bioökonomierat listet in einem Hintergrundpapier aus dem Jahr 2017 (»Bioökonomie für eine nachhaltige Proteinversorgung«) neben Hülsenfrüchten oder In-vitro-Fleisch mikrobielles Protein auf. Dabei gibt es zwei Varianten: Zum einen werden Mikroben als Produktionsmaschine verwendet und dazu angehalten, Proteine oder Fett in größeren Mengen herzustellen. Die Mikroben selbst würden dabei nicht verspeist. So hält es etwa das US-amerikanische Start-up »Perfect Day«, das Milch produziert, ohne dass diese von der Kuh stammt. Dabei bilden Hefen die Milchproteine Kasein und Molkenprotein.

Zum anderen kann man die Mikrobenzellen selbst ernten und essen. Das Eiweiß gilt laut Bioökonomierat als hochwertig, weil es eine gute Aminosäurezusammensetzung ähnlich dem von tierischem Protein aufweist. Die Zellen enthalten allerdings sehr viele Nukleinsäuren, was für den Menschen eher ungesund ist, da diese die Harnsäurewerte im Blut und damit das Gichtrisiko erhöhen. Deswegen muss die Mikrobenmasse zuerst erhitzt werden, wobei die Zellen abgetötet werden. Dann wird das Ganze gemahlen, um die Verdaulichkeit der Zellwände zu gewährleisten.

Mikroben-Fleischersatz bereits im Handel

Tatsächlich findet sich bereits ein Fleischersatz aus Mikroben im Handel. Das Myzel des Pilzes Fusarium venenatum wird mit Ei und Kartoffelstärke verarbeitet und ist unter dem Namen »Quorn« erhältlich. Es liefert Eiweiß, Ballaststoffe und ein wenig Fett.

Bei der Herstellung von Lebensmitteln durch Kleinstlebewesen muss man jedoch auch gesundheitliche Risiken bedenken: »Dazu zählen Allergene oder Toxine, die während der Produktion entstehen können«, weiß Linder. Manche Mikroben wie fadenförmige Pilze und Mikroalgen könnten beispielsweise hochpotente Gifte bilden. Vor allem Mikroalgen, die in offenen Teichen gezüchtet werden, seien davon betroffen. »Die Produktionsprozesse müssen darum gut überwacht werden«, so der Mikrobiologe.

Je nach Art der Mikroben sähe dann auch eine Produktionsanlage aus: Die Kultivierung von so genannten »heterotrophen« Mikroben, die kein CO2 aus der Luft fixieren können, benötigt etwa organische Substrate. »Wenn diese Substrate aus Pflanzen stammen, wäre das Einsparpotenzial in Sachen Landnutzung nicht so groß«, meint Linder. Eine Alternative könnten neue Technologien der CO2-Fixierung aus der Luft sein, um Nährstoffe wie Methan, Methanol, Ameisensäure oder Essigsäure zu erhalten.

Mehr Protein, weniger Ressourcenverbrauch

Dass Mikroben in Sachen Landnutzung dennoch Vorteile hätten, lässt sich aus einer in England bis in die 1980er Jahre betriebenen Anlage für Tierfutter schließen. Das Bakterium, das hier im Dienst der Agrarwirtschaft stand, war Methylophilus metylotrophus. Der Reaktor hätte auf einen Hektar hochgerechnet vier bis fünf Megatonnen Trockenprotein aus Mikroben geliefert. Der Ernteertrag der gleichen Fläche Sojafeld liegt nur bei 3,3 Tonnen Bohnenprotein. Auch die Herstellung von Mycoprotein schneidet in Sachen Verbrauch von Ackerflächen und Süßwasser laut Ökobilanzstudien von Sergiy Smetana, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik, aus den Jahren 2015 und 2018 besser ab als tierische Alternativen.

Andere Kleinstlebewesen wie Zyanobakterien sind hingegen in der Lage, Fotosynthese zu betreiben und sich »autotroph« mit CO2 zu versorgen. Sie werden jedoch meist in großen Teichen gezüchtet und verbrauchen darum ebenfalls wertvolle Fläche. Die Forscher Timo Schmidt und Michael Lakatos von der Universität Kaiserlautern wollen hier Abhilfe schaffen. Sie versuchen derzeit in ihrem Projekt »Next Generation Biofilm« Mikroalgen an Hausfassaden zu kultivieren und damit ganz ohne Ackerfläche auszukommen, wie die »Süddeutsche Zeitung« kürzlich berichtete. Diese könnten die Hausbewohner dann ernten und essen. Das erste Ergebnis: Die Fassaden-Kulturen verbrauchen 90 Prozent weniger Wasser und 40 Prozent weniger Energie als aquatische Bioreaktoren. Die Forscher haben »Minifabriken« entwickelt, die Handtuchheizkörpern ähneln und als Fassadenelemente verbaut werden können. Doch Timo Schmidt gibt zu: »Die Systeme existieren, funktionieren aber noch nicht wirtschaftlich.«

Ein weiteres Problem, das bei der Produktion von »single-cell protein« auftaucht: Auch Stickstoff muss verfügbar sein, da nur wenige Einzeller diesen aus der Luft fixieren können. Ein dänisches Forschungsprojekt verwendet für die Herstellung eines Eiweißpulvers einfach Abwasser aus Kläranlagen, das neben Stickstoff reichlich Phosphor liefert. Als Kohlenstoffquelle dient Biogas, das aus Haushaltsabfällen stammt.

Energiebilanz noch nahe der von Schweinefleisch

Bislang sind jedoch alle Produktionssysteme energieintensiv und damit nicht unbedingt besser für das Klima. So schneidet Mikrobenprotein mit 5,8 Kilogramm CO2-Äquvalent eher mau ab. Zum Vergleich: Die Produktion von Schweinefleisch hat einen CO2-Fußabdruck von 4 bis 6 Kilogramm. Willy Verstraete, Mikrobiologe an der Universität Gent, meint aber, dass mit erneuerbaren Energien wie Biogasen, Solar- oder Windenergie dieser Wert auf 1,7 Kilogramm CO2-Äquivalent sinken würde.

Umwelttechnisch problematisch ist auch die Palmölproduktion. Hier werden Mikroben ebenfalls als Hoffnungsträger gehandelt: Forscher um Chris Chuck von der University of Bath erforschen die Hefe Metschnikowia pulcherrima. Sie besiedelt normalerweise alle möglichen Früchte wie Trauben oder Kirschen, aber auch Blüten. Sie kann jedoch ebenso auf für den Menschen nicht essbaren Makroalgen wachsen oder einfach auf Abfällen, etwa Holzabfällen oder Biomüll. Die Hefe bildet je nach Unterart ein dickes Öl, das dem der Ölpalme ähnelt.

Dass den Mikroben dereinst eine bedeutende Rolle zukommen wird, prophezeien auch Zukunftsforscher. Die US-Denkfabrik RethinkX etwa hat kürzlich für 2030 vorausgesagt, die klassische Fleisch- und Milchindustrie müsse mit großen finanziellen Einbußen rechnen, weil Lebensmittel auf pflanzlicher oder mikrobiologischer Basis riesige Marktanteile gewinnen werden.

Der Verbraucher als Problem

Weil Verbraucher jedoch bekanntermaßen heikel sind, was Ess-Innovationen wie In-vitro-Fleisch oder Insekten angeht, wird Mikrobenprotein wahrscheinlich erst einmal in größerem Maß in der Tierfutter-Industrie zum Einsatz kommen, glaubt der schwedische Forscher Linder. In der Tilapia-Aquakultur können etwa 30 Prozent des Proteins aus Spirulina kommen, ohne dass sich das auf Wachstum und Gesundheit der Fische auswirkt oder sich Farbe und Geschmack ihres Fleisches verändern.

Schweine, Hühner oder Fische können auch als Proteinzusatz Methylococcus capsulatus gut vertragen. Welche Folgen es hat, wenn man 10 bis 19 Prozent des weltweit benötigten Tierfutters bis 2050 aus Mikroben schöpfen würde, haben Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung 2018 berechnet: Es käme zu Einsparungen von sechs Prozent in Sachen Landverbrauch, acht Prozent bei Stickstoffverlusten und zu sieben Prozent weniger Treibhausgasemissionen.

Verfechter der so genannten synthetischen Biologie denken allerdings schon einen Schritt weiter: Mikroben sind nämlich sehr leicht gentechnisch zu manipulieren. Sie können so programmiert werden, dass sie keine unerwünschten Substanzen bilden. So ist es etwa möglich, Milch ohne Laktose zu produzieren oder aber die Produktion erwünschter Stoffe in den Minifabriken anzukurbeln, etwa um mehr ungesättigte Fettsäuren anstatt der gesättigten zu erhalten, die vorrangig in tierischen Lebensmitteln vorkommen. Laut dem US-amerikanischen Start-up »New Harvest« könnten in Zukunft mit Hilfe der zellulären Landwirtschaft sogar Wolle, Leder oder Holz entstehen. Und auch das in Bath produzierte Algenöl wäre als Grundsubstanz für Kosmetik- und Reinigungsmittel oder als Biodiesel einsetzbar.

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