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News: Frühe Killer

Killerzellen, die spezifischen Abwehrzellen des Immunsystems, haben nur Wirbeltiere entwickelt - so die bisher gängige Lehrmeinung. Doch auch Seescheiden, urtümliche Verwandte der Wirbeltiere, könnten bereits über ähnlich wehrhafte Zellen verfügen.
Botryllus schlosseri
Sie sehen schon etwas fremdartig aus, unsere nächsten Verwandten: ein gallertiger kurzer Schlauch, der an einem Ende Wasser ansaugt und es am anderen wieder ausstößt. Und dennoch gehören die Seescheiden oder Ascidien zum gleichen Tierstamm wie auch die Wirbeltiere, dem Stamm Chordata. Viele dieser sesshaften Meeresbewohner, wie auch die in unseren Gewässern heimische Ascidie Botryllus schlosseri, gehen mit ihresgleichen Bündnisse ein und bilden große Tierkolonien.

Dabei sind die Tiere durchaus wählerisch: Sobald zwei wachsende Kolonien sich berühren, vereinigen sie sich entweder zu einer neuen Superkolonie, oder das Bündnis scheitert, und die benachbarten Zellen in der Kontaktzone sterben ab. Der Vorgang ähnelt damit frappierend einer Transplantation, bei der ein übertragenes Gewebe entweder angenommen oder vom Immunsystem abgestoßen wird. Ein Immunsystem bei Seescheiden?

Tatsächlich trat ein adaptives, also ein lernfähiges Immunsystem, wie es für Wirbeltiere typisch ist, in der Evolution erst bei den Knorpelfischen auf. Alle anderen Organismen verfügen nur über unspezifische Abwehrmechanismen gegenüber fremden Eindringlingen. Da die Natur jedoch nichts aus dem Nichts schafft, liegt der Verdacht nahe, dass auch primitive Chordaten wie die Seescheiden zumindest über Vorstufen spezifischer Immunzellen verfügen.

Und genau nach diesen Zellen fahndete Konstantin Khalturin von der Universität Kiel bei der Seescheide Botryllus schlosseri. Zusammen mit seinen Kollegen ließ er inkompatible Kolonien der Ascidie aufeinander zu wachsen, isolierte aus der Kontaktzone RNA und konnte dadurch analysieren, welche Gene aktiviert werden, wenn die unverträglichen Seescheiden aneinander geraten.

Es zeigte sich, dass nur wenige Gene darüber entscheiden, ob die Seescheiden sich verbünden oder besser Abstand voneinander nehmen. Das Genprodukt eines dieser Gene, BsCD94-1, erinnerte die Forscher an ein Protein, das sie von Wirbeltieren bereits kennen: CD94 sitzt auf der Oberfläche von Killerzellen des Immunsystems und gehört zur Familie der CD-Antigene (clusters of differentiation) – jenen Zelloberflächenmarkern, die für die Erkennung von Selbst und Fremd eine große Rolle spielen.

Welche Zellen tragen nun bei B. schlosseri diesen Rezeptor? Die Forscher vermuten, dass bestimmte Blutzellen damit markiert sind, deren Aufgabe es ist, fremde Zellen aufzuspüren und zu vernichten. Damit besäßen unscheinbare Ascidien – unsere entfernten Verwandten aus dem Meer – bereits spezifische und hoch effektive Killerzellen.

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