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Critical Raw Materials Act: »Für die Energiewende brauchen wir mehr heimische Rohstoffe«

Viele Rohstoffe, die für moderne Technologien benötigt werden, stammen aus China. Industrieexpertin Anne Lauenroth fordert im Interview, den Bergbau in Deutschland auszuweiten und das Recycling strategisch wichtiger Mineralien zu verstärken.
Kies-und Quarzsteinbruch in Deutschland
Deutschland hat eine lange Bergbautradition, vor allem im Bereich der Kohle, der Steine und Erze. Doch viele Rohstoffe, die für die Energiewende benötigt werden, stammen mittlerweile aus China. Ein neues EU-Gesetz soll diese Abhängigkeit einschränken.

Frau Lauenroth, Ende Mai 2024 ist der Critical Raw Materials Act in Kraft getreten. Die EU will damit dafür sorgen, dass die Abhängigkeit von Lieferländern wie China sinkt und der heimische Bergbau verstärkt wird. Was erwarten Sie sich davon?

Der Critical Raw Materials Act setzt ein wichtiges Signal für mehr europäische Rohstoffsouveränität. Es geht im Kern um Diversifizierung und darum, unsere Abhängigkeiten bei kritischen und strategischen Rohstoffen durch mehr eigene Förderung, Verarbeitung und Recycling in Europa sowie Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern zu verringern. Deutschland hat den größten Anteil an der industriellen Produktion in Europa und zugleich bei metallischen Rohstoffen einen nahezu 100-prozentigen Importanteil. Deshalb ist das Thema für uns besonders relevant.

Ist es für eine Industrienation nicht besser, hochwertige Güter herzustellen und die Rohstoffe dafür zu importieren?

Das hat eine ganze Weile funktioniert. Im sich zuspitzenden geopolitischen Systemwettbewerb zeigt China als eines der wichtigsten Lieferländer allerdings, dass es bereit ist, auch im Bereich kritischer Rohstoffe Exportkontrollen durchzuführen, so zuletzt bei Gallium, Germanium und Graphit. Zugleich hat der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine gezeigt, wie problematisch Abhängigkeiten werden können. Das macht es nötig, Förderung, Weiterverarbeitung und Wiederverwertung von kritischen Rohstoffen in Deutschland und Europa auszubauen.

Wie dringend ist das?

Anne Lauenroth | Die Politikwissenschaftlerin ist stellvertretende Abteilungsleiterin für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt beim Bundesverband der Deutschen Industrie.

Für die Energiewende und den Umstieg auf Elektromobilität wird es in Richtung des Jahres 2030 zu einem besonders starken Anstieg des Bedarfs an kritischen Rohstoffen kommen. Deshalb müssen Politik und Wirtschaft in Deutschland und der EU jetzt umgehend die Ziele des Raw Materials Act verfolgen: 10 Prozent der kritischen Rohstoffe aus heimischen Quellen, 40 Prozent Anteil bei der Weiterverarbeitung, also etwa der Aufreinigung der Rohstoffe für den technischen Einsatz, 25 Prozent Anteil beim Recycling und 65 Prozent Diversifizierungsquote, also eine Obergrenze für den Anteil eines einzigen Lieferlandes außerhalb der EU. Wir müssen dem Szenario vorbeugen, dass die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt oder es zu Lieferausfällen kommt.

Sind Sie insgesamt mit dem Gesetz zufrieden?

Es setzt die richtigen Ziele. Aber was unserer Meinung nach fehlt, ist ein eigenes europäisches Finanzierungsinstrument und damit Möglichkeiten für Unternehmen, entsprechende Aktivitäten abzusichern und staatlich zu flankieren.

Was sind kritische Rohstoffe?

»Kritisch« werden Rohstoffe dann genannt, wenn sie für wichtige Technologien unerlässlich, aber nicht sicher verfügbar sind. So werden Lithium, Kobalt und Nickel in der Batterieherstellung eingesetzt, Gallium für Solarpaneele benötigt und Rohbor für Windtechnologien verwendet. Titan und Wolfram etwa sind in der Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie essenziell.

Da die weltweiten Vorräte knapp sind, gibt es keine praktikablen Alternativen für kritische Rohstoffe. Es könnte deshalb passieren, dass einige der Quellen für diese Materialien in den kommenden Jahrzehnten erschöpft sein werden oder Konflikte darum entstehen. Das macht es nötig, Förderung, Weiterverarbeitung und Wiederverwertung von kritischen Rohstoffen in Deutschland und Europa auszubauen.

Die Bundesregierung will einen mit einer Milliarde Euro ausgestatteten staatlichen Rohstofffonds einrichten, der Investitionen unterstützen soll – reicht das nicht?

Das ist der richtige Ansatz. Die Bundesregierung wird sich über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an langfristigen Projekten beteiligen, wenn die Abnehmer der Rohstoffe deutsche Unternehmen sind. Bisher hat man über das Instrument der so genannten Ungebundenen Finanzkredite des Bundes nur mit Bürgschaften gearbeitet. Eine direkte Beteiligung des Staats ermöglicht Vorhaben in größeren Dimensionen. Das sehen wir als einen großen, sehr wichtigen Schritt an, der verdeutlicht, dass solche Projekte im Interesse der gesamten Volkswirtschaft sind.

Aber?

Noch gibt es diesen Fonds nicht. Es wäre wichtig, dass die Bundesregierung ihre Ankündigung, den Fonds bis zum Sommer einzurichten und für konkrete Projektanträge zugänglich zu machen, auch wirklich umsetzt. Frankreich und Italien haben bereits ähnliche Fonds aufgesetzt oder angekündigt. Es wäre gut gewesen, wenn solche Instrumente unmittelbar mit Inkrafttreten des Gesetzes bereitgestanden hätten. Jetzt gilt es, schnell zu sein und Instrumente smart zu verzahnen.

Wie angespannt ist die Lage eigentlich derzeit?

Die Preise für viele metallische Rohstoffe sind in letzter Zeit gesunken, aber das sollte uns nicht dazu verleiten, uns auszuruhen. Die Volatilität ist groß und dass die Automobilindustrie die allseits bekannten Schwierigkeiten hatte, an Kabelbäume zu kommen, war ein Warnzeichen. Wir hatten zwischenzeitlich derart heftige Spekulationen auf den Nickelpreis, dass die London Metal Exchange ihren Handel aussetzen musste.

Was wird sich bei uns konkret ändern, wenn der Critical Raw Materials Act wirkt?

Ziel ist es, große Investitionen in den Abbau, in die Weiterverarbeitung und in das Recycling von Rohstoffen anzureizen und abzusichern. Vor allem aber braucht es ein neues gesellschaftliches Bewusstsein für Rohstoffsicherheit. Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Zukunft schaffen wir nur, wenn wir die dafür benötigten Rohstoffe sichern. Und da müssen wir wieder mehr in eigene Kapazitäten und internationale Kooperationen investieren.

Aber es heißt doch immer, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land?

Das stimmt nicht. Wir bauen hier in großem Stil zum Beispiel Steine und Erden als Baustoffe ab, zudem Kali und Salz. Und es gibt nennenswerte Vorkommen von Industriemineralen wie Graphit und Quarze oder metallhaltigen Rohstoffen wie Kupfer, die teils auch abgebaut werden. Ihre Förderung war bisher wirtschaftlich nicht rentabel oder die Explorationsdaten sind veraltet.

»Wir vom BDI plädieren sehr stark dafür, dass sich im Bewusstsein der Bevölkerung ein Verständnis dafür entwickelt, dass wir für Energiewende und E-Mobilität mehr heimische Rohstoffe, also auch neue Bergwerke brauchen«

Die Bevölkerung muss sich neben Wind- und Energieanlagen, neuen Stromnetzen und Pipelines für CO2 und Wasserstoff also auch auf neue Bergwerke einstellen?

Ja, wir plädieren sehr stark dafür, dass sich tatsächlich im Bewusstsein der Bevölkerung ein Verständnis dafür entwickelt, dass wir für Energiewende und E-Mobilität mehr heimische Rohstoffe, also auch neue Bergwerke brauchen.

Das wird bestimmt Sorgen vor neuen Eingriffen in die Umwelt auslösen.

In Deutschland können wir im Unterschied zu manchen wichtigen Lieferländern die Rohstoffe unter hohen Standards abbauen. An so genannten minimal invasiven und effizienteren Verfahren sowohl bei der Exploration als auch beim Bergbau wird intensiv geforscht und diese teilweise bereits eingesetzt. Der Bergbau der Zukunft wird weniger Tagebau sein, bei dem man riesige Löcher buddeln und Halden schaffen muss, sondern vielmehr über unterirdische Anlagen passieren, die elektrisch und autonom funktionieren sowie digital gesteuert werden können.

Sind Sie optimistisch, dass die Bevölkerung da mitspielt?

Da geht es jetzt darum, zu informieren, zu sensibilisieren, Menschen für das Thema mitzunehmen. Das fällt in einem Bundesland mit Rohstofftradition wie Sachsen vielleicht leichter als in anderen Bundesländern. Wir haben in Deutschland ja zum Glück einiges an Knowhow – etwa an der Bergakademie Freiberg oder der Technischen Universität Clausthal – das dazu eingesetzt werden kann, aufzuklären.

Deutschland hat auch Lizenzgebiete für unterseeische Metalle im Pazifik und im Indischen Ozean. Sollten diese Gebiete Teil der Strategie sein?

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ist in diesen Gebieten mit wissenschaftlichen Erkundungsaktivitäten präsent, das begrüßen wir als Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Viele befreundete Länder wie die USA, Japan oder Norwegen wollen da Pflöcke einschlagen. Die internationale Meeresbehörde entwickelt gerade die Regeln, unter welchen Voraussetzungen Tiefseebergbau möglich wäre.

Tiefseebergbau | Das Bild zeigt einen mit Manganknollen bedeckten Meeresboden. Aus diesen Knollen lassen sich Metalle gewinnen, wie etwa das namensgebende Mangan, aber ebenso Kupfer und Nickel.

Es gibt viele Warnungen vor irreparablen ökologischen Schäden am Meeresboden …

Wir plädieren dafür, Tiefseebergbau, wenn, dann nur unter den höchsten Standards und mit der modernsten Technologie zu betreiben. Und glaubwürdig ist so ein Vorgehen sowieso nur, wenn wir gleichzeitig neben der heimischen Förderung und Weiterverarbeitung sowie Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern die Themen Kreislaufwirtschaft und Recycling kritischer Rohstoffe massiv vorantreiben.

Wie steht es derzeit um das Recycling? Braucht es dafür vielleicht auch neue Vorgaben, zum Beispiel Produkte gleich so zu designen, dass sie wiederverwertbar sind?

Die ganze Debatte geht auf jeden Fall ganz klar dahin. Wir haben im BDI schon vor drei Jahren eine Circular-Economy-Initiative gegründet. Rohstoffeffizienz, also ein möglichst geringer Mitteleinsatz, war schon immer ein Thema für die Industrie, jetzt kommt die Resilienz durch eine ganzheitliche Circular Economy hinzu. Dies bedeutet auch, unsere Wertschöpfungsstrukturen völlig neu zu denken und zu gestalten.

Was heißt das?

Widerstandsfähig gegen externe Schocks zu werden, gegen geopolitische Risiken und die Risiken von Lieferausfällen. Da bekommt das Schließen von Stoffströmen im Sinn der klassischen Abfallbewirtschaftung, aber auch die so genannten R-Economy – also »repair, refurbish, remanufacture, reuse, rethink« und so weiter – eine noch größere Bedeutung. Wir haben zum Teil schon sehr hohe Recyclingquoten, etwa bei Aluminium oder bei Kupfer. Beim Recycling von Lithium-Ionen-Batterien wird viel geforscht und investiert. Bei anderen kritischen Stoffen gibt es dagegen noch viel zu tun. Die Ökodesignverordnung zeichnet den Weg vor und setzt zirkuläre Mindestanforderungen für nahezu alle Produktgruppen. Ein auf Kreislauffähigkeit ausgerichtetes Produktdesign ist Teil davon. Der Teufel steckt dabei wie immer im Detail.

Wo zum Beispiel?

Wenn hochkomplizierte technische Geräte mit kritischen Rohstoffen recycelt werden sollen, brauchen die Experten exakte Angaben über die Inhaltsstoffe. Da müssen Hersteller dann Daten preisgeben, die sie traditionell lieber für sich behalten würden.

Erzabbau in China | Aus der Luft haben Bergbaustätten fast etwas Poetisches – so wie hier in China. Doch Europa täte gut daran, sich auf eigene Rohstoffvorkommen zu besinnen, um auch in Krisenzeiten unabhängig zu sein.

Ein anderer Bereich, der oft übersehen wird, liegt zwischen Bergbau und Recycling – nämlich die Aufreinigung von Rohstoffen, bei der es darum geht, kleinste Verunreinigungen zu beseitigen. China hat hier fast ein Monopol. Was können wir dem entgegensetzen?

Das ist ein großes Problemfeld. Die chinesische Preis- und Ansiedlungspolitik hat dazu geführt, dass solche Projekte in anderen Teilen der Welt nicht rentabel wurden oder schließen mussten. Es wird jetzt ein mühsamer Prozess, die Aufbereitung von metallischen Rohstoffen wieder zu reaktivieren oder aufzubauen. Das ist tatsächlich eine Herkulesaufgabe. Für seltene Erden gibt es in Europa zum Beispiel nur eine einzige Verarbeitungsanlage. Dafür muss man jeweils einen Business Case schaffen. Hier braucht es geeignete Standortbedingungen, insbesondere, was die Energie- und Strompreise anbelangt. Zusätzlich könnten Kooperationen mit anderen Staaten zum Beispiel im Rahmen der Minerals Security Partnership eine Rolle spielen, ebenso wie Abnehmergemeinschaften, die garantieren, dass sich eine Investition in Rohmaterialien, die in Europa weiterverarbeitet werden, lohnt.

»Abnehmer und Verbraucher müssten bereit sein, für heimisch verarbeitete Rohstoffe einen Aufpreis, eine Art Resilienzprämie, in Kauf zu nehmen«

Heimisch erzeugte und verarbeitete Rohstoffe wären teurer, aber würden sich deshalb lohnen, weil sie sicher verfügbar sind und mit hohen Standards erzeugt wurden?

Ja, Abnehmer und Verbraucher müssten bereit sein, für heimisch verarbeitete Rohstoffe einen Aufpreis, eine Art Resilienzprämie, in Kauf zu nehmen. Gleichzeitig müssen unsere Bundesregierung und die EU gegen unlauteren Wettbewerb vorgehen, Allianzen schmieden und global auf ein »level playing field«, das heißt auf einheitliche Wettbewerbsbedingungen hinarbeiten.

Die Ziele des Critical Raw Materials Act sollen schon bis 2030 erreicht werden. Ist das machbar?

Ich finde es plausibel, dass man 2030 gewählt hat, weil das der Zeitraum ist, in dem die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen stark steigen wird und wir Engpässe erwarten. Dass das nur noch knapp sechs Jahre sind, zeigt einfach, wie viel jetzt angepackt werden muss.

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