Nashörner: Gebt das Horn frei?
Wer sich in jüngster Vergangenheit mit Nashörnern beschäftigt hat, der kam an blutigen Bildern nicht vorbei: Tiere, denen man das Horn abgehackt hatte und die tot oder sterbend von Wilderern liegen gelassen wurden. Die Vorfälle sind so grausig, dass Tierschutz-Webseiten Warnungen vor die Fotogalerien schalten. In Blogeinträgen erzählen Ranger und Tierärzte immer öfter vom Schock, ein weiteres Nashorn aufzufinden, das vielleicht schon seit Tagen um sein Leben kämpft und für das man nichts mehr tun kann, als es von seinen Qualen zu erlösen. Es ist nicht zu übersehen: Die majestätischen Dickhäuter werden so rücksichtslos gejagt wie lange nicht mehr. Grund ist die ausufernde Nachfrage in asiatischen Ländern mit wachsendem Wohlstand, wo Nashornhorn als Arznei und Artenschutz als zweitrangig gilt. Dennoch forderten Naturschutzbiologen der University of Queensland die südafrikanische Regierung auf, den Handel mit Nasenhorn künftig zu erlauben [1]. Auch wenn das scheinbar keinen Sinn ergibt: Es ist ein ernst gemeinter Vorschlag, die Ausrottung der Rhinozerosse zu verhindern.
Teurer als Gold
Gerade fand in Bangkok zum 16. Mal die Konferenz zum Washingtoner Artenschutzabkommen CITES (Convention on Trade in Endangered Species) statt. Zwei Wochen lang diskutierten die 178 Vertragsstaaten dieses Jahr neben Eisbären und Haien vor allem über den Schutz der Nashörner. Während in Südafrika von 2000 bis 2007 höchstens 25 der Tiere pro Jahr wegen ihres Horns ihr Leben ließen, fand man 2008 bereits 83 getötete Nashörner, 2010 waren es 333 und letztes Jahr sogar 668 [2,3] (siehe Grafik). Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres verzeichnete Südafrikas Umweltministerin Edna Molewa wieder 128 Wildereifälle [4]. Setzt sich dieser Trend fort, werden Afrikas Rhinozerosse innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre vollständig verschwinden – so wie eine Unterart des Spitzmaulnashorns (Diceros bicornis longipes), deren letzter Vertreter laut Weltnaturschutzunion (IUCN) 2011 von Wilderern in Westafrika erlegt wurde. 80 Prozent der restlichen 25 000 Nashörner leben in Südafrika. Dessen Regierung versucht nun auf der Konferenz in Bangkok, Wege aus der Wildereikrise zu finden.
Gleichzeitig schießt der Preis der Hörner immer weiter in die Höhe. Inzwischen ist ein sieben Kilogramm schweres Horn etwa 350 000 Euro wert [5]. Damit ist Nasenhorn teurer als Gold, Diamanten oder Kokain. Vor allem in China und Vietnam glaubt man weiterhin fest an die Heilkraft von Nashornpulver, obwohl mehrere Studien ihm jegliche medizinische Wirksamkeit absprechen [6]. Genau wie Haare und Fingernägel besteht auch diese Hornstruktur hauptsächlich aus Keratin, dem Faserprotein abgestorbener Hautzellen (Keratinozyten). Trotzdem gehört es nach über 2000 Jahren immer noch zu den Arzneien der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Behandelt werden damit unter anderem Fieber und Entzündungen. Auch spielt es als das oft zitierte Potenzmittel eine gewisse Rolle, allerdings nicht in dem Maß, wie man es im Westen gern vermutet. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung rückt die kostbare Medizin nun in greifbare Nähe von immer mehr Konsumenten, die bereit sind, immer höhere Preise zu zahlen.
Legalisierung für den Artenschutz
Laut einiger Ökologen ändert daran auch das seit 1977 geltende Handelsverbot nichts: Um gesund zu werden, ist den Kunden jedes Mittel recht – und wenn es niemand legal verkauft, ersteht man es eben unter dem Ladentisch. "Das Verbot nützt nichts, weil es das Angebot bei stetig wachsender Nachfrage noch künstlich verknappt", erklären die Forscher um Hauptautor Duan Biggs in ihrem Artikel in "Science" [1]. Sie empfehlen einen Ansatz, der schon früher diskutiert, aber als unausgereift verworfen wurde: "Weil alle jetzigen Strategien eindeutig gescheitert sind, wird es Zeit für einen streng regulierten legalen Hornhandel."
Das Horn eines Rhinozeros wächst innerhalb weniger Jahre nach. Ein Tierarzt kann es also unter Betäubung regelmäßig "ernten", ohne das Tier dadurch zu stark zu beeinträchtigen [7]. Laut Biggs reichen schon die etwa 5000 Nashörner, die in Südafrika in privater Haltung leben, um die Nachfrage auf legalem Wege zu decken. Durch das Angebot soll der Preis sinken – und damit auch der enorme finanzielle Anreiz für Wilderer. Von den Verkaufseinnahmen sollen außerdem Projekte zum Schutz der Tiere profitieren.
Eine lizensierte Verkaufsorganisation und die elektronische Markierung der Hörner garantieren dabei die Herkunft des Produkts: "Wir empfehlen eine zentrale Vertriebsstelle für Nashornhorn, die nur an registrierte und regelmäßig überprüfte Kunden verkauft. Schon für weniger als 200 Dollar kann man die Hörner mit einem kleinen Transponder und einer DNA-Signatur ausstatten und ihren Weg bis zum Kunden nachverfolgen." So könnten diese sicherstellen, ein legales Produkt erworben zu haben. Vermutlich würden zum Beispiel viele TCM-Ärzte die Möglichkeit begrüßen, Nashornarzneien auf erlaubtem Weg zu beziehen.
Der Verkauf von Wildtierprodukten kann durchaus positiv zum Artenschutz beitragen, wenn diese nicht aus Wilderei, sondern aus naturverträglicher Nutzung stammen. Vorbild ist für die Wissenschaftler der Handel mit Krokodilleder: Dort hatte eine Legalisierung dazu geführt, dass die Reptilien vermehrt gezüchtet statt gewildert wurden. Das Töten wilder Krokodile habe dadurch so gut wie aufgehört, und seit den 1980er Jahren stamme das meiste Leder von Farmen und Zuchteinrichtungen [8]. Würde man dem lebenden Rhinozeros einen wirtschaftlichen Wert verleihen, stiegen laut Biggs auch seine Überlebenschancen.
Naturschützer befürchten Expansion des Marktes
Hört nach Lockerung des Handelsverbots also auch das Nashornschlachten einfach auf? Vielen Naturschützern greift der Artikel zu kurz. Sie befürchten, dass der Bedarf an Hornpulver unkontrollierbar wächst, sobald der Verkauf straffrei wird – beispielsweise durch Kunden, die das Verbot zuvor abgeschreckt hatte. "Wir glauben nicht, dass man mit gezüchteten Nashörnern auch nur annähernd den möglichen Bedarf an Nashornmedizin in Asien decken könnte", sagt Volker Homes, Leiter der Abteilung Artenschutz beim WWF Deutschland. "Wir sprechen hier immerhin von einem Markt, der unter Umständen mehrere hundert Millionen Menschen groß ist."
Neuerdings verhält sich unter dessen Mitgliedern eines besonders gierig: Während neben China früher vor allem in Japan, Korea oder Taiwan Nasenhorn gekauft wurde, geht heute das meiste davon nach Vietnam, wo durch den Aufschwung eine gesellschaftliche Elite entstanden ist. "Diese leistet sich Nashornhorn gerne zur Entgiftung, etwa nach Alkoholexzessen", beschreibt Homes den neuen Trend. "Wir befürchten, dass sich diese Unsitte wie ein Lauffeuer verbreitet, wenn das Handelsverbot gelockert wird." Auch im letzten Bericht der IUCN-Überwachungsorganisation TRAFFIC wird die Nachfrage im Vietnam als besonders großes Problem beschrieben [5].
Nicht nur ließ sich ein vietnamesisches Partygirl dabei fotografieren, wie es nach einer durchzechten Nacht mit Nashornhorn ihren Kater bekämpfte [9], ein Minister soll sogar öffentlich erklärt haben, der Nashornkonsum hätte ihn von Krebs geheilt. Solche Gerüchte werden von den Verbrechersyndikaten geschürt und vervielfachen die Zahl der Nachahmer. Die vietnamesische Regierung tut bis jetzt wenig gegen diese gefährliche Entwicklung. In einflussreichen Kreisen schenkt man sich unterdessen Nashornhörner wie teure Autos als Zeichen der Wertschätzung, und einige hohe Beamte wurden schon beim Schmuggeln erwischt [10,11]. Solange diese Anziehungskraft des "Millionärsdrinks" ungebrochen bleibt, wird die Mittelschicht ihn also weiter konsumieren wollen, ob er unter Strafe steht oder nicht.
Realer Nutzen ist nicht garantiert
Allison Thomson von der Organisation OSCAP (Outraged South African Citizens Against Poaching) findet es ebenfalls naiv zu glauben, dass im Fall der Nashörner ein legaler Markt den illegalen einfach ersetzen kann. "Die Einschränkungen des legalen Verkaufs werden diejenigen in den Untergrund treiben, die davon ausgeschlossen sind. Der Schwarzmarkt kümmert sich wenig um Dinge wie Steuern oder Abgaben und erfreut sich dadurch größerer Profite." Nashornschützern zufolge sei Südafrika außerdem von einem funktionierenden Kontrollsystem für geregelten Vertrieb noch weit entfernt. Beispielsweise gibt es noch keine Möglichkeit, mit der man zu Pulver zermahlenes Horn identifizieren könnte.
Als 2008 der begrenzte Verkauf von südafrikanischem Elfenbein nach China erlaubt wurde, nahm das Ausmaß der Wilderei nicht ab, sondern das Gegenteil war der Fall [12]. Ob nun allein der legale Verkauf daran schuld ist oder nicht – verbessern konnte er die Situation jedenfalls nicht. Vor allem konnte trotz angekündigter strenger Kontrollen viel illegales Elfenbein über die genehmigten Verkäufe "gewaschen" werden. Ob die Einnahmen aus legalem Verkauf den Nashörnern im Busch nützen würden, ist ebenfalls fraglich. Vor allem private Nashornbesitzer haben viel in die Erhaltung der afrikanischen Dickhäuter investiert und hegen nun großes wirtschaftliches Interesse am legalen Handel. Man fürchtet, dass nur den Tieren auf Wildtierfarmen geholfen wäre, deren Hörner geerntet werden können, und nicht den Nashörnern in der Wildnis. Diese sind weniger gut bewacht und blieben weiterhin das Ziel von Wilderern.
Klassischer Ansatz befürwortet stärkere Bewachung
Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um die Wilderei zu verhindern? Anstatt den Nashornhandel vorschnell zu entkriminalisieren, empfehlen viele, die Tiere besser zu bewachen und Verbrechen konsequenterer zu ahnden. "Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, strenge Vollstreckung der Gesetze und mehr Aufklärung und internationale Kooperation" wünscht sich Allison Thomson. Nicht in allen Ländern wird Wilderei so streng bestraft wie in Südafrika. "In Mosambik zum Beispiel ist Wilderei kein Verbrechen, sondern eine Ordnungswidrigkeit." Auch Vietnam wird momentan wegen lockerer Handhabung der Gesetze massiv kritisiert, unter anderem vom deutschen WWF: "Die vietnamesische Regierung muss anerkennen, dass es ein Problem gibt, und den illegalen Nashornhandel bekämpfen. Das heißt auch: Konfiszierungen, Festnahmen und hohe Gefängnisstrafen für die Drahtzieher."
Die Tiere müssen vor allem nachts überwacht werden, und Wilderer sind mit immer besserer Ausrüstung wie Helikoptern und Nachtsichtgeräten ausgestattet. Der Krüger-Nationalpark, wo pro Jahr die meisten Rhinozerosse getötet werden, baut deshalb zusätzlich zu seinen 400 Rangern mittlerweile auf die Hilfe des Militärs, und die Patrouillen zögern nicht, enttarnte Straftäter zu erschießen. Einige private Nashornbesitzer enthornen die Tiere regelmäßig, doch selbst dann haben es die Wilderer oft noch auf den letzten Zentimeter des Stumpfes abgesehen. Andere setzen darauf, die Hörner zu vergiften. Das Gift ist ungefährlich für die Tiere und wird bei Gepäckkontrollen am Flughafen detektiert – doch für das Nashorn ist es dann bereits zu spät.
Legalisierung auf CITES-Treffen nicht in Betracht gezogen
Auf der CITES-Konferenz wurden mehrere Diskussionen zum Thema Nashornschutz geführt. Schließlich zog etwa Kenia den Vorschlag zurück, den Export von Hörnern aus lizensierter Jagd zu verbieten, für die über 100 Lizenzen jährlich ausgegeben werden: Südafrika soll diese wichtige Einnahmequelle für den Tierschutz nicht verlieren, auch wenn die Jagden häufig als Schlupfloch missbraucht wurden. Ob die Wilderei an Afrikas Nashörnern in nächster Zeit gestoppt werden kann, hängt aber wohl hauptsächlich davon ab, ob Vietnam und Mosambik sich dazu verpflichten, offensiv gegen Wilderei vorzugehen. Mosambik grenzt an den Krügerpark, und immer wieder treten Wilderer von dort aus ihre Raubzüge an.
Vietnam wurde am Dienstag von der CITES-Vertretung dazu aufgefordert, einen Aktionsplan zu entwickeln, um die Nachfrage und den illegalen Handel einzudämmen [13]. Neben einer Datenbank für legale Trophäen sollen Strategien entwickelt werden, wie die Nachfrage einzudämmen ist. Die Delegation versicherte daraufhin, Vietnam werde "sein Bestes tun", und erbat technische und finanzielle Hilfe von anderen CITES-Vertragsstaaten. Sind die Beschlüsse nicht bis Januar 2014 umgesetzt, drohen dem Land Handelssanktionen. Den anwesenden Nichtregierungsorganisationen geht der Prozess allerdings zu langsam: Sie hätten sich bereits dieses Jahr Sanktionen gegen Vietnam gewünscht.
Vor dem Treffen hatte die südafrikanische Umweltministerin angekündigt, eine potenzielle Legalisierung zu überprüfen und zu diskutieren. Doch angesichts des Ausmaßes der Krise macht laut Volker Homes solch ein Antrag zurzeit wenig Sinn: "Nach der Atmosphäre hier zu urteilen, kommt ein legaler Handel momentan nicht in Frage." Zuerst muss möglichst schnell die alarmierende Entwicklung in Vietnam aufgehalten werden. So ist letzte Woche trotz des befürwortenden Artikels letztlich kein entsprechender Antrag gestellt worden. Wahrscheinlich wird das Thema aber bei der nächsten CITES-Konferenz in drei Jahren wieder auf den Tisch kommen. "Wir gehen davon aus, dass Südafrika nächstes Mal den Vorschlag einreichen will", bestätigt auch Allison Thomson. Die nächste CITES-Konferenz findet 2016 in Südafrika statt.
Ein Königsweg aus der Wildereikrise zeichnet sich bisher also nicht ab. Doch der Knackpunkt scheint das irrationale, unersättliche Verlangen nach einem Wundermittel zu sein, das Heilung, Stimulanz und Status bringt. Und so müssen die Hauptabnehmerländer vor allem einen Weg finden, die Nachfrage zu hemmen, etwa durch Aufklärung, Ersatzprodukte oder harte Strafverfolgung. Denn ob es einen legalen Handel geben wird oder nicht: Solange der Konsum von Regierungsseite toleriert wird, kann weder eine Legalisierung noch das gesamte Militär Südafrikas die Nashörner retten.
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