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Oldowan: Gehörten die frühesten Werkzeugmacher doch nicht zur Gattung Homo?

Geräte machen das Leben leichter. Das galt schon vor drei Millionen Jahren, als Zweibeiner mit zurechtgeschlagenen Steinwerkzeugen Tiere entbeinten. Es wären aber ganz andere Homininen gewesen als bisher gedacht, legt ein Fund in Kenia nahe. Experten sind skeptisch.
Knochen und Oldowan-Geräte in Nyayanga.

An den Knochen des Flusspferds erkennt man die Schnittspuren, die von Schabern und Klingen herrühren. Unmittelbar daneben lagen die Werkzeuge aus Stein, mit denen Zweibeiner vor 2,6 bis 3 Millionen Jahren nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen mundgerecht zerlegt und zermalmt hatten. Hier, auf der Halbinsel Homa am Ufer des Victoriasees in Kenia, hat ein Team um Thomas Plummer vom Queens College der City University of New York eine Art Küche aus der frühesten Phase der Steinzeit ausgegraben und den Fund nun in der Zeitschrift »Science« beschrieben.

In der Studie geht es um nicht weniger als einen oder vielleicht sogar den wichtigsten Schritt auf dem Weg vom Leben im Kronendach des afrikanischen Regenwalds zum modernen Menschen: Das gezielte Herstellen von Werkzeugen, um damit Nahrung besser als mit bloßen Händen und Zähnen zerlegen zu können, markiert die früheste Epoche und das erste kulturelle Highlight der Menschheitsgeschichte. War doch die Produktion von Schabern und kleinen Klingen aus scharfen Abschlägen von Steinen nur der erste Schritt einer Tradition, die sehr viel später zur Erfindung von Rädern, Windmühlen, Smartphones und anderen nützlichen Dingen führte, die den Menschen den Alltag erleichtern. Ganz am Anfang aber standen einfache Werkzeuge, wie sie die Gruppe um Thomas Plummer jetzt auf der Halbinsel Homa am Victoriasee entdeckte: Schlagsteine zum Hämmern von Nahrung und so genannten Kernen aus Stein, um davon Abschläge zu produzieren.

»Es gibt sehr wenige Hinweise auf Werkzeuggebrauch in der Zeit vor mehr als zwei Millionen Jahren«, erklärt Shannon McPherron vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig. Der Paläoanthropologe forscht selbst zur Entwicklung der Werkzeugnutzung in der frühen Steinzeit, war aber an der Studie von Plummer und seiner Gruppe nicht beteiligt. »Ein neuer Fund wie dieser ist daher immer sehr interessant«, sagt der Wissenschaftler. »Auch wenn er nicht eindeutig einen neuen Altersrekord aufstellt.«

Diesen Titel beanspruchen bisher die 2019 beschriebenen Steinwerkzeuge, die 2,6 Millionen Jahre lang an zwei Nebenläufen des Flusses Awash in Äthiopien in der Erde lagen. Weil die beiden Paläoanthropologen Louis Leakey und Mary Leakey bereits um 1931 in der Olduvai-Schlucht im Norden Tansanias sehr viele, allerdings deutlich jüngere Steinwerkzeuge fanden, die mit der gleichen Technik hergestellt wurden, hat sich für diese einfachen Geräte der Begriff »Oldowan-Technik« durchgesetzt.

Wie die Oldowan-Technik funktionierte

Mit dieser Technik, die aber durchaus geschickte Hände und einige Übung erfordert, sind auch die Werkzeuge hergestellt, die an der Fundstelle Nyayanga auf der Halbinsel Homa ans Licht kamen. »Dabei verwendete man zum Beispiel vom Wasser eines Flusses rund gewaschene Kieselsteine, die wie ein Hammer direkt gegen einen anderen Stein geschlagen wurden, um von diesem einen Splitter mit messerscharfen Kanten abzuschlagen«, erklärt Alexander Binsteiner. Der freiberufliche Geoarchäologe grub im niederbayerischen Arnhofen ein Feuerstein-Bergwerk der Jungsteinzeit aus, war an der Erforschung der Gletschermumie Ötzi beteiligt und untersuchte den einstigen Handel mit Feuersteinen.

Der Spezialist für Steinwerkzeuge war an der Studie des Teams um Plummer ebenfalls nicht beteiligt, hat sich die Arbeit jedoch angeschaut: »Ich gehe davon aus, dass die abgebildeten Abschläge nicht zufällig entstanden, sondern mit Absicht hergestellt wurden«, sagt Binsteiner. »Die Pickspuren und kleinen Absplitterungen an der Spitze der Hammersteine zeigen, dass Splitter mit scharfen Kanten erzeugt wurden«, so der Geoarchäologe. »Damit kann man Fleisch, aber natürlich auch die Schalen von Früchten oder Pflanzen zerlegen.«

Oldowan-Werkzeuge | Auf der Halbinsel Homa kamen Schlagsteine ans Licht. Ein Exemplar ist ganz oben im Bild zu sehen. Ferner fanden sich so genannte Kerne, wie in der Mitte abgebildet, und Abschläge zum Zerlegen von Nahrung – die beiden Reihen unten.

Genau dafür fanden die Forscherinnen und Forscher um Plummer eindeutige Hinweise: Sie gruben insgesamt 1776 Knochen und Knochenfragmente aus, mehr als die Hälfte davon stammte von Flusspferden und ein Fünftel von Antilopen und Rindern. An einigen dieser Knochen sind tiefe Schnitte von Steinwerkzeugen zu sehen. Die Geräte selbst wiederum legten die Ausgräber zum Teil unmittelbar neben den Gebeinen frei. Die Schnittspuren waren sehr wahrscheinlich entstanden, als die Steinzeitmenschen das Fleisch von den Knochen und Sehnen lösten, um es leichter verzehren zu können.

Auch an den Werkzeugen fand die Arbeitsgruppe Spuren, die beim Bearbeiten von Fleisch entstehen. In dieser Steinzeit-Küche wurden aber nicht nur Flusspferde und Antilopen zerlegt, vielmehr zertrümmerten die Zweibeiner mit den Hammersteinen ebenso die Röhrenknochen der Tiere, um an das besonders nahrhafte Knochenmark zu gelangen. Die Klingen nutzten sie überdies zum Aufschneiden von Pflanzenknollen, Gemüse oder Früchten – Plummer und sein Team entdeckten an den Geräten entsprechende Abnutzungsspuren.

In Konkurrenz mit Löwen und Hyänen

Anscheinend mochten die Nutzer der Steinwerkzeuge also gemischte Kost und waren keine reinen Vegetarier. »Das ist natürlich eine interessante Information, weil es gar nicht so leicht gewesen sein dürfte, an Fleisch heranzukommen«, erklärt EVA-Forscher McPherron. Gewiss sei es möglich, dass die zerlegten Flusspferde eines natürlichen Todes gestorben waren. Doch ein so großer Fleischvorrat blieb in der damaligen Savannenlandschaft mit etlichen Baumgruppen wohl nicht lange unbemerkt. Schließlich witterten nicht nur die Zweibeiner, sondern auch Löwen, Hyänen und andere Raubtiere eine leichte und noch dazu üppige Beute.

Gegen diese Konkurrenz aber mussten sich die Homininen erst einmal durchsetzen. Das galt wohl besonders, wenn sie Interesse an Flusspferden oder Antilopen hatten, die einem Rudel Löwen oder Hyänen zum Opfer gefallen waren – die wollten ihre Beute vermutlich nicht teilen. »Vielleicht arbeiteten die Zweibeiner in großen Gruppen zusammen, um sich besser gegen Konkurrenten behaupten zu können«, überlegt McPherron. Und möglicherweise werden weitere Funde von der Halbinsel Homa helfen, solche Rätsel zu lösen.

Denn eine andere Frage bleibt vorerst ungeklärt: Wer genau waren eigentlich die Steinzeit-Fleischer, die ganze Flusspferde zerlegten? Antworten suchten schon Louis und Mary Leakey, nachdem sie die ersten Oldowan-Werkzeuge im Norden Tansanias entdeckt hatten. Fand doch Mary Leakey in der Olduvai-Schlucht 1959 einen Schädel mit auffallend großen Zähnen und offensichtlich extrem kräftigem Biss. Das Fossil wird heute der ausgestorbenen Art Paranthropus boisei zugeordnet, die wohl nicht zur Gattung Homo gehörte so wie die modernen Menschen. Allerdings bekam jener mögliche Werkzeugmacher schon im nächsten Jahr, 1960, Konkurrenz, als Mary Leakeys Sohn, Jonathan Leakey, dort einen Unterkiefer mit viel kleineren Zähnen fand. Dieser gehörte zu einem Kind einer bisher unbekannten Art, die er Homo habilis taufte.

Nutzte auch Paranthropus den Werkzeugkasten des Oldowan?

Die Bezeichnung bedeutet »geschickter Mensch«. Er gilt seither als erster Fabrikant der Oldowan-Steinwerkzeuge. Nun fand das Team um Plummer bei seinen Ausgrabungen keinerlei Fossilien der Gattung Homo. Stattdessen entdeckte es direkt neben der Flusspferd-Metzgerei und den zugehörigen Oldowan-Geräten einen sehr kräftigen Backenzahn aus dem Unterkiefer eines Paranthropus-Vormenschen. Damit liefert das Team den ersten Nachweis, dass auch jene Gruppe in dieser Region Ostafrikas lebte, sondern zudem, dass sie als Betreiber der damaligen Steinzeit-Metzgerei in Frage käme, wie Plummer und sein Team vorschlagen.

»Es kann aber auch ganz anders gewesen sein«, meint Friedemann Schrenk vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum der Universität Frankfurt am Main, einer der renommiertesten deutschen Paläoanthropologen. »Damals gab es ja bereits die Gattung Homo«, argumentiert der Entdecker wichtiger Fossilien des Urmenschen Homo rudolfensis. »Nur weil man dort keine Fossilien von Homo gefunden hat, heißt das ja nicht, dass sie nicht dort gelebt haben könnten.« Die Frage, wer sich vor fast drei Millionen Jahren an den Knochen der Flusspferde zu schaffen gemacht hatte, ist also nicht zweifelsfrei geklärt.

Grabung | Im Juli 2016 legten Forschende am kenianischen Fundplatz Nyayanga auf der Halbinsel Homa die bis zu drei Millionen Jahre alten Fossilien und Steingeräte frei.

»Sehr interessant ist dagegen ein ganz anderer Aspekt«, überlegt der Senckenberg-Forscher weiter: »Die ganz alten Oldowan-Werkzeuge wurden bisher nur in Äthiopien gefunden, doch sie wurden offenbar auch rund 1300 Kilometer entfernt im Südwesten Kenias genutzt.« Obendrein würden die Ergebnisse der »Science«-Studie klar zeigen, dass es damals auf der Halbinsel Homa eine offene Savanne gab. In solchen Landschaften aber lebten im Osten und Süden Afrikas Angehörige beider Gattungen, Homo und Paranthropus.

Nicht eindeutig können die Forschenden um Plummer eine besonders knifflige Frage beantworten: Wie alt ist eigentlich die Steinzeit-Küche im Südwesten Kenias? »Solche Datierungen sind nicht nur extrem aufwändig, sondern bringen oft auch relativ ungenaue Ergebnisse«, erklärt Max-Planck-Forscher McPherron. Mit ebenjenem Problem kämpften Plummer und Co, die eine ganze Batterie von Methoden zur Altersbestimmung zum Einsatz brachten. Die zuverlässigsten Ergebnisse lieferten paläomagnetische Messungen, die Änderungen des Magnetfelds der Erde im Lauf der Zeit nutzen. Demnach sollten die Funde zwischen 2,6 und 3 Millionen Jahre alt sein. Damit können sie durchaus älter als die bisherigen Rekordhalter bei den Oldowan-Werkzeugen gewesen sein, waren aber vielleicht auch nur gleich alt.

Selbst ein Altersrekord würde jedoch nicht ausschließen, dass Zweibeiner noch viel früher Steinwerkzeuge genutzt hatten. McPherron konnte jedenfalls 2010 zeigen, dass in Äthiopien bereits vor 3,4 Millionen Jahren Knochen und Fleisch zerlegt wurden. »Nur haben wir keinerlei Steinwerkzeuge gefunden, sondern lediglich die Spuren, die sie auf Knochen hinterlassen haben«, erinnert sich der Paläoanthropologe.

Die Gruppe um Plummer dagegen hat nun neben den Knochen auch Steingeräte entdeckt – und liefert damit dennoch einen Rekord: Das Ensemble ist mindestens 600 000 Jahre älter als der bisher früheste Beleg für Werkzeuge und Überreste von Großsäugern, die Vor- oder Frühmenschen zerlegt und verzehrt hatten.

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