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News: Genetischer Jungbrunnen

Egal ob Wurm, Fliege, Pilz oder Mensch - irgendwann läuft für jeden die Zeit ab. In der Hoffnung, dieses unwiderrufliche Ende möglichst lange hinauszuzögern, versuchen Wissenschaftler die Mechanismen des Alterungsprozesses besser zu verstehen. Jetzt zeigte sich, dass bei Nematoden, Taufliegen und Hefezellen ähnliche genetische Abläufe, die auch bei Säugern möglicherweise auftreten, die Alterung des Körpers steuern.
Caenorhabditis elegans heißt das Lieblingstier der Entwicklungsbiologen. Das kleine Würmchen aus der Klasse der Nematoden besteht nur aus etwa 1000 Zellen, deren Schicksal von Anfang an verfolgt werden kann. Sein Genom ist mittlerweile vollständig entziffert, sodass die Wissenschaftler "nur noch" herausfinden müssen, welches Gen welche Aufgabe erfüllt. Eines dieser Gene nennt sich daf-2, das als molekularer Altersschalter arbeitet. Es codiert für Zellmembranrezeptoren für insulinartige Moleküle. Ist es abgeschaltet, dann verharrt der Nematode in einem Dauerstadium und kann so sein Ableben um mehr als das Doppelte hinauszögern.

Was Würmern recht ist, muss anderen Organismen noch lange nicht billig sein. Bisher glaubten die Wissenschaftler nicht, ähnliche Alterungsmechanismen bei anderen Arten zu finden. Doch zwei Arbeitsgruppen stürzten sich jetzt auf ein anderes Lieblingstier – diesmal das der Genetiker: die Taufliege Drosophila melanogaster. Hier heißt ein Gen, das daf-2 entspricht, InR (insulin-like receptor). Auch hier reagiert sein Genprodukt als Rezeptor auf der Zelloberfläche auf Verwandte des Insulins. Sobald es das Hormon bindet, schütten bestimmte Zellen im Fliegenhirn ein Juvenilhormon aus, das wiederum die Entwicklung und Fortpflanzung steuert.

Unter der Leitung von Marc Tatar von der Brown University in Providence züchteten Wissenschaftler Taufliegen mit mutierten InR-Genen. Heraus kamen dabei Zwergweibchen, deren Lebensspanne um bis zu 85 Prozent verlängert war. Den Männchen ging es allerdings schlechter: Auch sie waren deutlich kleiner als ihre Wildtyp-Kollegen, ihre Lebensuhr lief jedoch schneller statt langsamer ab. Bei den langlebigen Weibchen konnten die Forscher mit dem Juvenilhormon die Alterung wieder in Gang setzen, denn damit war die Wirkung des ausgefallenen Gens wieder hergestellt.

David Clancy vom University College London schaute sich mit seinen Kollegen ein anderes Drosophila-Gen an: Wie InR codiert auch chico für einen insulinartigen Rezeptor. Die Wissenschaftler erhielten das gleiche Ergebnis wie ihre Kollegen aus Amerika: Die chico-Mutanten lebten ebenfalls deutlich länger, blieben aber nur halb so groß wie die Wildtypen. "Der Defekt wirkt, als ob die Fliegen hungern würden – ihre Zellen schalten auf Sparflamme um", erklärt Ernst Hafen von der Universität Zürich, der an dem Projekt mitgearbeitet hat.

Ein weiteres Lieblings-"Tier" der Genetiker heißt Saccharomyces cerevisiae. Auch die Bierhefe hat ein Gen, das mit daf-2 vergleichbar ist. Es hört auf den Namen Sch9. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern malträtierte Valter Longo von der University of Southern California in Los Angeles Hefezellen mit Hitze oder der Chemikalie Paraquat, die reaktive Sauerstoffmoleküle bildet. Auf diesen Stress reagieren die meisten Zellen mit vorzeitiger Alterung. Einige wenige zeigen sich jedoch dagegen gefeit – und genau bei diesen ist das Sch9-Gen defekt. Veränderten die Forscher bei normalen Hefen das Gen, dann lebten die Zellen dreimal länger als normal.

Spannend wird die Geschichte, weil es auch bei Säugetieren – einschließlich des Menschen – verwandte Gene gibt. Sie codieren für insulinartige Wachstumsfaktoren, die das Knochen- und Knorpelwachstum kontrollieren. Die Wissenschaftler vermuten jetzt, dass Insulin und insulinartige Moleküle nicht nur für den Energiestoffwechsel, sondern auch für die Lebensverlängerung eine wichtige Rolle spielt – und zwar bei allen Organismen. "Es passt alles zusammen", begeistert sich Cynthia Kenyon von der University of California in San Francisco. "Das Alterungssystem, das wir vom Wurm kennen, gibt es auch bei anderen Tieren und reguliert ihre Alterung. Vielleicht nicht in exakt der gleichen Form, aber es ist da. Es ist unglaublich, einfach unglaublich."

  • Quellen
ScienceNow
Science 292(5514): 41–43 (2001)
Science 292(5514): 104–106 (2001)
Science 292(5514): 107–110 (2001)
Sciencexpress 10.1126/science.1059497 (5. April 2001)
Brown University

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