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Antibiotikaresistenz: Harmlos oder Harninfekt?

Gegen Fluorchinolon resistente Bakterien fühlen sich im Darm und Urin von Frauen offenbar besonders wohl. Oft bemerken diese ihre Mitbewohner gar nicht - bis der Harn drängt.
Was tun, wenn's brennt? Harnwegsinfekte durch antibiotikaresistente Bakterien werden immer häufiger - und immer schwieriger zu behandeln.

Weil ihre Harnröhre viel kürzer ist als die von Männern, erkranken Frauen etwa viermal häufiger an einer Blasenentzündung. Ein Team um den Mikrobiologen Evgeni Sokurenko von der University of Washington School of Medicine hat nun herausgefunden, dass sich im Darm von Frauen relativ oft antibiotikaresistente Escherichia-coli-Bakterien tummeln. Bei mehr als 40 Prozent der Probandinnen fanden die Forscher exakt dieselben Mikroben auch im Urin, und das, obwohl die Frauen zum Zeitpunkt der Untersuchung gar nicht unter Blasenentzündung litten. In der Fachzeitschrift »Clinical Infectious Diseases« berichtet das Forscherteam, dass bestimmte fluorchinolonresistente Bakterienstämme länger im Darm der Frauen überlebten – und sich häufiger in deren Harnwege schmuggelten als andere E.-coli-Stämme.

Das Team um Sokurenko untersuchte die Darmflora von über 1000 Frauen, die in den vergangenen zwölf Monaten von Blasenentzündungen verschont geblieben waren. Bei fast neun Prozent von ihnen fanden die Forscher Bakterien, die resistent gegen Fluorchinolone sind. Diese Wirkstoffe verschrieben Ärzte früher häufig, zum Beispiel bei leichten Harnwegsinfekten. Auf Grund ihrer schweren Nebenwirkungen schränkten offizielle Behörden den Gebrauch der Gyrasehemmer in den letzten Jahren immer mehr ein. Doch die Mittel haben offenbar Spuren hinterlassen. Besonders häufig – zumindest im Vergleich zu anderen fluorchinolonresistenten Bakterien – fanden die Forscher die multiresistenten E.-coli-Stämme ST1193 und ST131-H30R. Letzterer ist laut Florian Wagenlehner, Direktor der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie am Universitätsklinikum Gießen, hier zu Lande für etwa zehn Prozent der Harnwegsinfektionen verantwortlich. Zwar konnten Sokurenko und seine Kollegen in ihrer Studie keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Einnahme von Antibiotika und dem erstmaligen Auftreten resistenter Keime erkennen. Allerdings lagen zwischen den Untersuchungen nur etwa acht Monate, und nur 151 Frauen lieferten überhaupt eine zweite Stuhlprobe ab. Im Darm von sieben Probandinnen hatten sich inzwischen fluorchinolonresistente Bakterien neu angesiedelt, fünfmal handelte es sich um die Stämme ST1193 und ST131-H30R. Und das, obwohl keine der Frauen in der Zwischenzeit Antibiotika eingenommen hatte.

Das Vorkommen resistenter Keime im Darm gesunder Frauen sieht Sokurenko als Zeichen dafür, dass diese Stämme anderen überlegen sind. Sie verweilen in unserem Darm und können sich – selbst in Abwesenheit des selektionierenden Antibiotikums – verbreiten. Außerdem schmuggeln sie sich offenbar geschickt in die Harnwege ein: Die Forscher entdeckten ST1193 und ST131-H30R doppelt so oft im Urin von Frauen als andere E.-coli-Stämme. Jedoch erkrankten nur 3 der 45 Betroffenen, die fluorchinolonresistente Bakterien in ihrem Urin hatten, innerhalb der folgenden drei Monate an einer Blasenentzündung. Dass Bakterien im Urin (Bakteriurie) nicht immer Zeichen einer akuten Infektion sein müssen, war bereits bekannt. Zu wissen, gegen welche Antibiotika sie resistent sind, könne jedoch helfen, sie im Ernstfall schneller zu besiegen, meint Sokurenko.

Er hält seine Methode, die er als »high-resolution clonal typing« bezeichnet und patentiert hat, für geeignet, um nicht nur eine Fluorchinolon-, sondern auch weitere Resistenzen unserer Darm- und Harnwegsbewohner vorherzusagen. Dazu schaut sich Sokurenko spezielle Bereiche des bakteriellen Erbguts an. Bislang ist eine Untersuchung auf multiresistente Keime (ein MRE-Screening) recht aufwändig: Als Goldstandard gilt noch immer die Kultivierung von isolierten Bakterien in Gegenwart verschiedener Antibiotika. Gängige molekularbiologische Methoden können viele bakterielle Resistenzgene nicht oder nur sehr grob nachweisen. Außerdem dauert es meist Tage, bis die Laborergebnisse vorliegen – zu lange im Fall einer akuten Blasenentzündung. Da muss schnell ein wirksames Antibiotikum her, sonst können die Krankheitserreger bis in die Niere aufsteigen und womöglich eine Blutvergiftung verursachen. Laut Sokurenko ließe sich seine neue Methode auch nutzen, um während einer bestehenden Infektion Antibiotikaresistenzen zu bestimmen.

Präventive Mikrobiomuntersuchungen hält der Urologe Wagenlehner derzeit nicht für sinnvoll. Ob therapeutische Eingriffe in Zukunft eine Rolle spielen werden, ließe sich zurzeit nicht beantworten. »Die meisten Erreger sind bei uns in Deutschland noch sensibel«, sagt Wagenlehner. Die Resistenzraten betrügen etwa 30 Prozent. In den meisten Fällen schlagen die verordneten Medikamente rasch an. Falls nicht, steigt man auf ein anderes Antibiotikum um – noch gibt es genügend Auswahl.

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