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Hirnalterung: Der Jungbrunnen in uns

Das Blutplasma junger Tiere enthält Faktoren, welche die Alterung des Gehirns aufhalten oder gar umkehren können. Das Prinzip will man nun auf Menschen übertragen und damit etwa die Alzheimer- oder Parkinsonkrankheit therapieren. Fließt womöglich der Quell ewiger Jugend in unseren eigenen Adern?
Älteres Paar lachend auf Fahrrad
Das Altern abschaffen? Das ist eher unwahrscheinlich. Aber womöglich lässt sich in Zukunft durch einen Cocktail aus Blutfaktoren der kognitive Verfall zumindest verlangsamen. (Symbolbild)

Wenn der Hirnforscher Tony Wyss-Coray von der Stanford University einen Vortrag hält, spielt er zwischendurch gerne ein kurzes Video ab. Es zeigt eine Art runden Tisch, der von oben hell beleuchtet wird und in dessen Platte sich zahlreiche Bohrungen befinden. Am Rand sitzt eine Maus, die sich auf dieser Bühne sichtbar unwohl fühlt: Sie trippelt von Loch zu Loch und schaut hinein, ob es als Versteck geeignet wäre. Doch nur eines mündet in eine dunkle Höhle; alle anderen sind Sackgassen. Die Versuchsanordnung nennt sich »Barnes maze« (zu Deutsch: Barnes-Labyrinth), nach ihrer Erfinderin Carol Barnes. Sie testete damit vor mehr als 40 Jahren, wie gut sich Ratten an Orte erinnern können. Nach einigen Tagen Training liefen die Nager meist zielstrebig zum rettenden Loch, unabhängig davon, an welcher Stelle des Tischs sie ausgesetzt wurden.

Anders verhält sich die Maus in dem Filmchen von Tony Wyss-Coray. Auch sie wurde mehrere Tage trainiert. Aber sie ist alt und kann sich nicht mehr so recht erinnern, wohin sie laufen muss. Stattdessen verfährt sie nach dem Prinzip »trial and error«. Dann gibt es einen Schnitt, und ein neuer Nager erscheint. Er dreht sich kurz um seine Achse, scheint sich zu orientieren und trippelt schließlich auf direktem Weg zu der Bohrung, die in die Höhle führt.

Das Interessante daran: Die beiden Versuchstiere sind Geschwister. Sie sind nicht nur nahezu gleich alt, sondern so gezüchtet, dass sie sich genetisch sehr stark ähneln. Und dennoch verhält sich die zweite Maus fast wie ein jüngeres Tier, bei dem das Erinnerungsvermögen noch intakt ist. Allerdings ist sie zuvor speziell behandelt worden. In den zwei Wochen vor dem Experiment hat sie von den Stanford-Forschern um Wyss-Coray alle zwei Tage eine Spritze mit ein wenig Nabelschnur-Blutplasma erhalten. Nicht aus Nabelschnüren neugeborener Mäuse, wohlgemerkt, sondern aus denen menschlicher Säuglinge.

Dieses Resultat ist nur eines in einer ganzen Reihe Aufsehen erregender Ergebnisse. Sie alle deuten in eine Richtung: Blutplasma (siehe »Kurz erklärt«) junger Tiere und Menschen enthält Faktoren, die die geistige Leistungsfähigkeit erhöhen. Sie scheinen den alterstypischen kognitiven Abbau nicht nur zu bremsen, sondern das Gehirn regelrecht zu verjüngen. Seit jeher suchen Menschen nach einer Quelle der ewigen Jugend. »Vielleicht haben wir entdeckt, dass die Quelle in Wirklichkeit in uns liegt und lediglich ausgetrocknet ist«, erklärte Wyss-Coray vor einigen Jahren in einem TED-Talk. Das klingt ziemlich poetisch. Der Weg zur Entdeckung des Jungbrunnens mutet dagegen streckenweise recht makaber an.

Ausgangspunkt waren Experimente, die der französische Zoologe Paul Bert Mitte des 19. Jahrhunderts durchführte: Er nähte Ratten aneinander, so dass sie einen gemeinsamen Blutkreislauf hatten. Knapp 100 Jahre später nutzte der US-amerikanische Gerontologe Clive McCay diese Parabiose genannte Methode (siehe »Kurz erklärt«), um junge und alte Ratten miteinander zu verbinden. Dabei fand er erste Anhaltspunkte darauf, dass die betagten Versuchstiere dadurch körperlich verjüngt wurden. Der Wissenschaftler Tom Rando von der Stanford University grub das Verfahren kurz nach der Jahrtausendwende wieder aus. Anlass war die Beobachtung, dass der Körper mit den Jahren seine Fähigkeit einbüßt, zerstörtes Gewebe nachzubilden. Rando zeigte, dass alte Tiere durch die Parabiose mit jungen Artgenossen ihre Regenerationsfähigkeit zurückgewinnen und Verletzungen bei ihnen wieder besser ausheilen. Gemeinsam mit seinem Team wies er diesen Effekt zunächst für Muskel- und Lebergewebe nach.

»Wir haben den Parabiose-Ansatz dann genutzt, um uns seine Auswirkungen auf das Gehirn anzusehen«, sagt Wyss-Coray. Entgegen der landläufigen Meinung bilden sich hier regelmäßig neue Nervenzellen. Dieser Prozess nennt sich Neurogenese. Er findet aber nicht überall statt, sondern beschränkt sich auf wenige Regionen des Hirns, vor allem den Hippocampus. Das ist der Bereich, der für das Erinnerungsvermögen eine zentrale Rolle spielt. Im Lauf des Lebens lässt die Neurogenese allerdings deutlich nach. Vermutlich ist das eine der Ursachen für die sinkende kognitive Leistungsfähigkeit. In alten Nagern, die mit jungen Artgenossen zusammengenäht worden waren, fanden sich dagegen deutlich mehr neue Nervenzellen im Hippocampus.

»Wir wollten wissen, worauf diese Ergebnisse zurückzuführen waren«, erklärt der Neurologie-Professor. »Wir haben daher das Blut junger Mäuse genommen und alten Tieren injiziert – allerdings nur den flüssigen Anteil, das Blutplasma; die Zellen haben wir zuvor entfernt. Damit konnten wir sehr viele der gefundenen Effekte reproduzieren.«

»Vielleicht haben wir entdeckt, dass die Quelle in Wirklichkeit in uns liegt und lediglich ausgetrocknet ist«Tony Wyss-Coray, Hirnforscher

Das war vor gut zehn Jahren. Heute weiß man, dass Parabiose nicht nur die Teilung der Nervenzellen anregt, sondern auch andere Aspekte der Hirnfunktion verbessert. Darunter ist etwa die Fähigkeit der Neurone, neue synaptische Verbindungen einzugehen und deren Stärke zu regulieren – ein Prozess, der als synaptische Plastizität bekannt ist. In anderen Experimenten erhöhte sich zudem die Hirndurchblutung alter Mäuse deutlich und damit die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Energie. Oft reichten Infusionen mit jungem Plasma oder darin enthaltenen Molekülen aus, um eine ähnliche Wirkung hervorzurufen.

Die positiven Ergebnisse riefen Goldgräber auf den Plan. 2017 begann eine kalifornische Firma damit, Blutplasma junger Spender für den horrenden Preis von 8000 Dollar pro Liter zu verkaufen. Ihr suggestiver Name: Ambrosia – das war in der griechischen Mythologie jene Speise, welche die Götter unsterblich machte. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnte im Frühjahr 2019 mit harschen Worten vor »skrupellosen Akteuren, die die Behandlung mit Plasma als Heilmethoden und Medizin anpreisen«, und behielt sich Schritte »gegen Unternehmen vor, die das Vertrauen von Patienten missbrauchen und ihre Gesundheit gefährden«. Inzwischen ist Ambrosia Vergangenheit.

Tatsächlich ist noch nicht gesagt, dass Infusionen mit jungem Blutplasma auch beim Menschen positive Effekte haben. Wyss-Coray hat vor einiger Zeit ein Unternehmen namens Alkahest gegründet, das dieser Frage nachgehen soll. Die Hoffnung: Vielleicht eignet sich die gelbliche Flüssigkeit oder zumindest eine Mischung bestimmter Moleküle darin, um Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu therapieren. Alkahest hat dazu seit 2014 eine Reihe von Studien durchgeführt. Die Ergebnisse, die bislang publiziert wurden, sind mager: Sie belegen lediglich, dass Patientinnen und Patienten mit einer Parkinson- oder Alzheimererkrankung die Plasmainfusionen relativ gut vertragen. Belastbare Rückschlüsse auf die Wirksamkeit lassen sie aber nicht zu.

Große Doppelblindstudien fehlen bislang

Dazu sind die bisherigen Untersuchungen viel zu klein; sie umfassten jeweils weniger als 20 Probandinnen und Probanden. Große Doppelblindstudien fehlen bislang. »Das hat verschiedene Gründe«, sagt Wyss-Coray. »Einer davon ist, dass sich mit Plasma nicht viel Geld verdienen lässt.« Das trifft insbesondere für einen Bestandteil zu, der sich in Mäuseexperimenten als besonders wirksam herausgestellt hat: Albumin.

Tatsächlich gilt gerade dieser Anteil auch beim Menschen als viel versprechend. Hinweise darauf lieferte 2020 eine umfangreiche klinische Studie aus Spanien. Die Federführung lag beim Pharmaunternehmen Grifols, einem der weltgrößten Hersteller von Plasmaderivaten. Die Expertinnen und Experten führten darin bei Menschen mit Alzheimer eine Art Blutwäsche durch. Dabei ersetzten sie das Blutplasma der Betroffenen durch Albumin aus Plasmaspenden – eine Methode, die Plasmapherese genannt wird. In den 14 Monaten danach verlangsamte sich der geistige Abbau der Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe leicht.

Dabei wurde zwar nicht gezielt Albumin junger Menschen verabreicht. Aber im Schnitt sind Plasmaspenderinnen und -spender deutlich unter 35 Jahre alt. Bei den Versuchspersonen wurde also altes Plasma durch eine erheblich jüngere Plasmafraktion ausgetauscht. Doch selbst wenn sich dieses Ergebnis erhärten würde: Wie praktikabel wäre eine solche Therapie? »Die zentrale Frage ist: Wäre es überhaupt möglich, Millionen Plasmadosen rund um den Globus zu gewinnen, um damit alte Menschen mit Demenz oder anderen Krankheiten zu behandeln?«, fragt Wyss-Coray. Künstlich lasse sich die begehrte Flüssigkeit nicht herstellen. »Plasma enthält Hunderte verschiedener Substanzen, die in den unterschiedlichsten Geweben produziert werden.«

Möglicherweise reicht es nicht aus, junges Plasma zu verabreichen. »Es ist wahrscheinlich ebenso wichtig, die schädlichen Faktoren zu entfernen, die sich mit dem Alter im Blut anreichern«, betont der Wissenschaftler. Studien zeigen beispielsweise, dass Blutplasma alter Mäuse bei jungen Nagern den geistigen Verfall beschleunigt: Neurogenese und synaptische Plastizität werden gebremst; das Erinnerungsvermögen verschlechtert sich. Zudem nehmen entzündliche Prozesse zu. Vereinfacht gesagt – das Gehirn der Tiere vergreist.

»Ob Plasmatransfusionen oder die Injektion von Hirnflüssigkeit ein praktikabler Weg sind, um die Leute im Alter gesund zu halten, das wage ich zu bezweifeln«Gerd Kempermann, Mediziner

Bei anderen experimentellen Methoden gegen das Altern lässt sich bislang noch weniger absehen, wie sie sich in die klinische Praxis umsetzen lassen. So scheint auch die Hirnflüssigkeit junger Mäuse Faktoren zu enthalten, die wichtig für die Gedächtnisfunktion sind. Das konnte die Arbeitsgruppe von Tony Wyss-Coray 2022 zeigen. Das Team spritzte die Flüssigkeit alten Tieren ins Gehirn. Daraufhin verbesserte sich deren Erinnerungsvermögen (siehe: »Junge Hirnflüssigkeit lässt Gliazellen sprießen«). »Aus Forschungssicht sind diese Effekte hochinteressant«, erklärt Gerd Kempermann, Sprecher des Dresdner Standorts des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE). »Ob Plasmatransfusionen oder die Injektion von Hirnflüssigkeit ein praktikabler Weg sind, um die Leute im Alter gesund zu halten, das wage ich aber zu bezweifeln.«

Die wichtigen Moleküle identifizieren

Das eigentliche Potenzial derartiger Studien sieht der Professor für Genomische Grundlagen der Regeneration woanders: Sie könnten helfen, neue Moleküle zu identifizieren, die für die Prävention oder Behandlung des kognitiven Abbaus hilfreich sind. Tatsächlich fand die Arbeitsgruppe aus Stanford in der Hirnflüssigkeit ein Protein namens Fgf17, das zu einem großen Teil für die positiven Effekte verantwortlich zu sein scheint. Es sorgt dafür, dass sich mehr Oligodendrozyten bilden – das sind Gliazellen, die eine Art Isolierband im zentralen Nervensystem produzieren, das Myelin. Indem sie es um die Verbindungen zwischen den Neuronen wickeln, verhindern sie Kurzschlüsse und beschleunigen die Reizweiterleitung.

Auch die Transplantation jungen Knochenmarks führt bei Mäusen zu einer Verjüngung des Denkorgans. Die Substanz in den Hohlräumen der Knochen ist der Geburtsort der roten und weißen Blutkörperchen sowie der Blutplättchen. »Die Blutzellen produzieren Proteine, die sie ins Plasma abgeben und die vermutlich für dessen Wirkung mitverantwortlich sind«, erklärt Helen Goodridge, Professorin für biomedizinische Wissenschaften am Cedars Sinai Medical Center in Los Angeles. Tatsächlich änderte sich nach der Knochenmarktransplantation die Plasmazusammensetzung bei den gealterten Nagetieren, wie sie und ihr Team 2019 demonstrierten. So nahm die Menge eines Moleküls namens CCL11 ab. Die Substanz steht in Verdacht, die Neurogenese zu unterdrücken. Dazu passt, dass die behandelten Mäuse sich besser erinnern konnten. In ihrem Hippocampus waren die Nervenzellen zudem stärker vernetzt, sie hatten mehr Synapsen.

Junge Hirnflüssigkeit lässt Gliazellen sprießen
Junge Hirnflüssigkeit lässt Gliazellen sprießen | Zu sehen ist der angefärbte Hippocampus einer alten Maus, der man Hirnwasser einer jungen Maus ins Gehirn gespritzt hat (links). Zum Vergleich die entsprechende Hirnregion einer alten Maus, die man keiner Behandlung unterzogen hat (rechts). Im ersten Fall vermehrten sich Vorläuferzellen (grüne und rote Punkte) der Oligodendrozyten, die die Neurone ummanteln und somit einen schnellen Informationsaustausch gewährleisten. Das verbesserte die Gedächtnisleistung der alten Nagetiere.

Die Resultate sind viel versprechend. »Knochenmarktransplantationen sind aber nicht ohne Risiko«, gibt Goodridge zu bedenken. »Als Therapie würde man so etwas aktuell nicht in Betracht ziehen; dafür sind unsere Ergebnisse viel zu vorläufig.« Sie setzt ihre Hoffnung eher in neue Methoden, mit denen sich die Knochenmarkzellen alter Menschen verjüngen lassen. Da man dann keine Fremdzellen transplantieren müsste, wäre dieser Ansatz weit weniger riskant. Das Problem: »Im Moment verfügen wir noch nicht über die Technologie, das zu tun.«

Weiter ist die Forschung an einer anderen Stelle: Inzwischen ist gut belegt, dass regelmäßige Bewegung die Hirnalterung verlangsamen kann. »Man kennt heute ein gutes Dutzend Prozesse, die beim Altern verändert sind«, betont Devin Wahl von der Colorado State University, der seit mehr als zehn Jahren die Biologie des Alterns erforscht. »Zentrale Merkmale sind etwa die Zunahme unterschwelliger chronischer Entzündungen und Beeinträchtigungen des Energiestoffwechsels. Hinzu kommen Schäden an den Mitochondrien, also der zellulären Kraftwerke, sowie der DNA, die nicht mehr so effektiv repariert werden. Und im Gehirn eben eine verminderte Neurogenese.«

Körperliche Aktivität kann die meisten dieser Vorgänge positiv beeinflussen. »Im Grunde ist Sport ein milder Stressor, mit dem der Organismus fertig werden muss«, erklärt Wahl. Dadurch würden biochemische Signalwege aktiviert, die den Körper und seine Organe letzten Endes schützen. »Etwas zugespitzt gesagt: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Der Fachbegriff für den Effekt ist Hormesis.« So steigt bei Sport der Energieverbrauch der Zellen. Das aktiviert »Energiemangelsensoren«, die daraufhin unter anderem die Glukoseaufnahme verbessern – und zwar noch eine ganze Weile, nachdem die Aktivität beendet wurde.

Gleichzeitig trainiert regelmäßige Bewegung die Reparatursysteme im Körper: Defekte Zellorganellen wie etwa Mitochondrien werden rascher beseitigt, Fehler in der DNA besser erkannt und behoben. Chronische Entzündungen, die durch solche gehäuften Mikroschäden ausgelöst werden, gehen zurück. Davon profitieren alle Organsysteme, auch das Gehirn: »Schon in den 1990er Jahren wurde gezeigt, dass bei Mäusen neue Neurone wachsen und sich besser vernetzen, wenn die Tiere in ihrem Käfig ein Laufrad nutzen konnten«, sagt Wahl.

Sport wirkt ähnlich wie ein Jungbrunnen

Spannend ist in diesem Zusammenhang noch ein weiterer Befund: Das Plasma alter Mäuse, die längere Zeit auf einem Laufrad trainiert haben, wirkt ebenfalls wie ein Jungbrunnen. »Es kann die Gehirnfunktion anderer betagter Nager verbessern, die sich nicht bewegt haben. »Interessanterweise stammen einige der förderlichen Faktoren aus der Leber«, erläutert Tony Wyss-Coray. »Sport scheint dort die Produktion von Molekülen anzuregen, die dann ihrerseits im Gehirn eine positive Wirkung entfalten.«

Dass regelmäßige Bewegung den grauen Zellen guttut, wurde inzwischen in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen am Menschen gezeigt. Hinweise darauf liefert etwa eine 2023 erschienene Langzeitanalyse des University College London. Versuchspersonen waren knapp 1500 Britinnen und Briten, die alle in derselben Woche des Jahrs 1946 zur Welt gekommen waren. Sie wurden insgesamt fünfmal im Lauf ihres Lebens befragt, wie es um ihre sportliche Betätigung steht – das erste Mal im Alter von 36 Jahren, das letzte Mal mit 69. Bei der letzten Befragung absolvierten sie zudem einen Test ihrer geistigen Fähigkeiten. Das Fazit der Wissenschaftler: »Körperliche Aktivität im Erwachsenenalter, egal zu welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaß, geht mit einem besseren kognitiven Zustand im späteren Leben einher.«

Aus Alt mach Jung
Aus Alt mach Jung | Zu den blutbasierten Interventionen gehören die Injektionen von jungem Blutplasma in den Körper eines alten Tiers (braune Maus), die Parabiose sowie die Transplantation von jungem Knochenmark. Wie man in mehreren Studien nachwies, fördert dies die Gedächtnisleistungen alternder Nagetiere, die Neubildung von Zellen im Hippocampus, synaptische Plastizität sowie die Hirndurchblutung. Entzündungsreaktionen durch aktivierte Mikroglia werden reduziert. Ausreichend Bewegung und eine kalorienreduzierte Ernährungsweise führen vermutlich zu ähnlichen Hirnverjüngungseffekten.

Dass Bewegung ursächlich dafür verantwortlich ist, lässt sich aus den Daten aber nicht zwingend ablesen. Dazu bräuchte es experimentelle Studien, bei denen die Probanden per Zufall in eine aktive und eine inaktive Gruppe eingeteilt werden. Solche Untersuchungen gibt es tatsächlich. Eine davon wurde 2015 von einer Arbeitsgruppe aus Finnland veröffentlicht. Unter ihren 1200 Versuchspersonen erhielten 600 zufällig ausgewählte eine Spezialbehandlung: Sie wurden darin geschult, sich gesund zu ernähren, und bekamen einen Fitnesstrainer an die Seite gestellt. Außerdem führten sie regelmäßig Denksportaufgaben am Computer durch. Zwei Jahre später erfolgte die Abschlussuntersuchung. Dabei zeigte sich, dass die Seniorinnen und Senioren sehr viel seltener kognitiv abgebaut hatten als die Mitglieder der Kontrollgruppe.

Es lässt sich nicht beziffern, wie groß der Beitrag der Bewegung zu diesem Ergebnis war. Allerdings sind sich Fachleute einig, dass so genannte multimodale Lebensstil-Interventionen das Gehirn am ehesten fit halten. »Der Schlüssel für gesundes Altern liegt in der Kombination von gesunder Ernährung, körperlicher und geistiger Aktivität«, betont etwa Gerd Kempermann. Devin Wahl sieht das ähnlich: »Es nutzt wenig, Sport zu treiben und anschließend zum Essen zu McDonalds zu gehen.«

»Anti-Aging im positiven Sinn bedeutet für mich, Menschen eine längere Autonomie und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Kurz gesagt: ein Altern in Würde«Gerd Kempermann, Mediziner

Es gibt sogar Hinweise darauf, dass der zeitweise Verzicht auf Nahrung den grauen Zellen guttut. So etwa beim Intervallfasten, bei dem längere Pausen zwischen den Mahlzeiten eingeschoben werden. Ähnliche Wirkungen entfaltet möglicherweise eine ketogene Diät. Dabei verzichtet man weitgehend auf Kohlenhydrate und deckt seinen Energiebedarf vor allem durch gesunde Fette. Das stimuliert die Fettverbrennung – ein Prozess, bei dem in der Leber bestimmte Verbindungen entstehen, die Ketonkörper. Diese aktivieren (wie Sport) die Energiemangelsensoren der Zellen. Manche Ernährungsformen triggern also möglicherweise zumindest zum Teil dieselben Regelkreise wie körperliche Aktivität.

Tierversuche belegen die positive Wirkung derartiger Ansätze. »Seriöse Daten aus Untersuchungen mit Menschen sind aber rar«, erklärt Kempermann. Einfach weniger zu essen, bremse die Alterung des Gehirns wohl nicht – das habe in Studien keine überzeugenden Ergebnisse gebracht. »Anders sieht es beim Intervallfasten aus, bei dem ja zyklisch ein leichter Kalorienmangel erzeugt wird. Das scheint positive Auswirkungen auf den Stoffwechsel und auf verschiedene molekulare Marker des Alterns zu haben. Meines Wissens gibt es aber keine Langzeitstudie, die eine Wirkung gegen den kognitiven Abbau belegt.«

Von regelmäßiger Bewegung scheinen dagegen sogar Menschen mit Demenz zu profitieren, auch wenn diese Ergebnisse noch mit Vorsicht zu genießen sind. Allerdings sind viele Patientinnen und Patienten gar nicht mehr dazu in der Lage, sich ausreichend körperlich zu betätigen. Selbst wer viel Sport treibt, sich gesund ernährt und regelmäßig Neues lernt, ist nicht vor geistigem Abbau gefeit. Studien zufolge ist zum Beispiel das Risiko einer Alzheimererkrankung zu zwei Dritteln durch »nicht modifizierbare Faktoren« bedingt, sprich: vor allem die Erbanlagen.

Vielleicht lässt sich durch einen Cocktail aus Blutfaktoren irgendwann selbst bei »ungünstigen Genen« das Erkrankungsrisiko reduzieren oder der kognitive Verfall zumindest verlangsamen. Das hofft jedenfalls Tony Wyss-Coray: »Die Idee ist, eine Reihe wirksamer Moleküle zu identifizieren, die wir künstlich herstellen können. Und die würden wir dann zusammenmischen, und zwar in einem Verhältnis, in dem sie natürlicherweise in Plasma vorkommen.« Am Ende stünde ein standardisiertes Produkt, mit einem Dutzend oder mehr Inhaltsstoffen nach dem Vorbild der Natur. »Das würde vermutlich nicht nur den Nutzen dieses Cocktails optimieren, sondern auch seine Risiken vermindern. Schließlich würden wir nur etwas geben, was ohnehin in jungem Plasma vorkommt, und das noch in denselben Mengen.«

Das Altern abzuschaffen, werde aber damit nicht gelingen, ist Gerd Kempermann überzeugt. »Die Haltung, ewig jung bleiben zu müssen, finde ich ohnehin nicht gesund«, betont er. »Anti-Aging im positiven Sinn bedeutet für mich, Menschen eine längere Autonomie und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Kurz gesagt: ein Altern in Würde. Wenn diese Ansätze irgendwann dazu beitragen, ist viel gewonnen.«

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  • Quellen

Bieri, G. et al.: Blood-to-brain communication in aging and rejuvenation. Nature Neuroscience 26, 2023

Castellano, J.M. et al.: Human umbilical cord plasma proteins revitalize hippocampal function in aged mice. Nature 544, 2017

Iram, T. et al.: Young CSF restores oligodendrogenesis and memory in aged mice via Fgf17. Nature 605, 2022

Ngandu, T. et al.: A 2-year multidomain intervention of diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. The Lancet 385, 2015

Wahl, D. et al.: Novel strategies for healthy brain aging. Exercise and Sport Sciences Reviews 49, 2021

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