Helium-3-Mythos: Was ist dran am Helium-3-Hype?
»Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Helium-3-Fusion eine brauchbare Energiequelle ist. Im Gegenteil, es sprechen gute physikalische Gründe dafür, dass eine Fusion mit diesem Brennstoff sogar schwieriger ist als mit Wasserstoffisotopen«, erklärt Frank Close, emeritierter Professor der University of Oxford, in einer E-Mail. Damit bezieht er eine klare Haltung zu dem Hype um das seltene Isotop.
Der Grund für Closes Unmut: Helium-3 gilt als Heilsbringer einer sauberen Energieversorgung, weil die Verschmelzung viel Energie freisetzt, ohne dabei die Umgebung zu verstrahlen. Das Isotop liegt im Mondboden vergleichsweise angereichert vor, weshalb es als aussichtsreicher Kandidat gehandelt wird, wenn man über künftige Ressourcen im Weltraum diskutiert.
Die Jagd nach dem Energie-Gral
Nun ist die Machbarkeit jeder noch so abwegigen Idee quasi unwiderlegbar, wenn man den Zeitraum und die Umsetzung ausreichend unbestimmt lässt. Daher stellt sich die Frage, ob die Helium-3-Fusion dem optimistischen Anspruch wirklich gerecht werden kann. Denn bevor es seine Rolle als Energie-Gral einnehmen kann, muss man zunächst zwei große Probleme aus dem Weg räumen: Bisher gibt es kein funktionierendes Fusionskraftwerk und die Distanz zum Mond ist alles andere als klein.
Im Moment kämpfen Physikerinnen und Physiker damit, überhaupt eine kontrollierte Kernfusion in Gang zu bringen. Heutige Reaktoren sind meist so genannte Stellaratoren oder Tokamaks. Dabei handelt es sich um donutformige Aufbauten, die mehr als 100 Millionen Grad heiße Plasmen durch extrem starke Magnetfelder einschließen. Aktuell testet man den Vorgang mit verschiedenen viel versprechenden Brennstoffen.
»Wenn zwei Atomkerne sich nahekommen, verschmelzen sie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Diese ist proportional zur effektiven Fläche der aufeinander zufliegenden Kerne«, sagt Per Helander, Leiter des Bereichs Stellaratortheorie am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. »Bei der Kernfusion ist diese Fläche für Deuterium und Tritium am größten.« Bei beiden Stoffen handelt es sich um Wasserstoffisotope.
Aktuell liegt die Herausforderung immer noch darin, ein gut eingeschlossenes und stabiles Plasma innerhalb der Reaktoren aufzubauen, weshalb man in Großanlagen wie in Greifswald zunächst nur mit Deuterium arbeitet. Tritium, das schwerste der Wasserstoffisotope, soll erst in den kommenden Jahren zum Einsatz kommen, unter anderem ab 2035 im International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Südfrankreich.
Allerdings ergibt sich dabei ein Problem. »Bei der Fusion von Tritium und Helium entsteht ein Neutron, das nicht geladen ist«, erklärt Helander. Zwar ist es die kinetische Energie dieser Teilchen, aus denen der Strom entstehen soll. Auf Dauer fangen die Kraftwerksteile aber an zu strahlen. »Das Neutron wird nicht vom Magnetfeld festgehalten und kann durch die Wand (der Reaktoren) dringen, wodurch sie selbst radioaktiv wird.«
Strahlende Reaktorwände
Das ist der Punkt, an dem Helium-3 ins Spiel kommt, das leichtere der zwei stabilen Heliumisotope. Es lässt sich mit sich selbst oder Deuterium fusionieren, ohne dass dabei ein Neutron anfällt. Stattdessen wird ein Proton frei, das als geladenes Teilchen nicht aus dem Plasma entkommen kann. Zudem ließe sich die Energie durch die freien Protonen auf elektromagnetischem Weg direkt gewinnen, was deutlich effizienter wäre als bei Neutronen, deren Energie nur über Umwege nutzbar ist.
Die Idee von Helium-3 als Kernbrennstoff tauchte erstmals in den 1970er Jahren auf. Damals fanden Geochemiker das Isotop in den Proben, welche die Apollo-Astronauten zur Erde brachten. Etwa zehn Jahre später erklärten Physiker der University of Wisconsin–Madison um Gerald Kulcinski, dass sich die radioaktive Verstrahlung von Reaktorgefäßen mit 3He umgehen lässt.
Populär wurde der Ansatz schließlich, als der US-amerikanische Mondastronaut und Geologe Harrison Schmitt ihn aufgriff. In Vorträgen und Studien wies er darauf hin, dass allein in den oberen drei Meter Boden des »Meers der Ruhe« auf unserem Trabanten – dem Landeplatz von Apollo 11 – mindestens 10 000 Tonnen Helium-3 vorlägen. Davon bräuchte es lediglich 30, um den jährlichen Energiebedarf der USA von 1999 zu decken.
Saubere Theorie und schmutzige Realität
Doch ein Blick auf die Vorgänge einer möglichen Helium-3-Verbrennung offenbart einige Probleme, wie Frank Close bereits 2007 in einem Aufsatz in »PhysicsWorld« verdeutlicht. Ließe man Deuterium in einem Tokamak mit Helium-3 reagieren, liefe die Fusion laut Close etwa 100-mal langsamer ab als mit Tritium. Und es gäbe einen weiteren Nachteil: Wenn sich alle Atomkerne wild mischen, würden auch Deuteriumkerne aufeinanderprallen und einen Tritiumkern sowie ein Proton produzieren. Das Tritium und Deuterium verschmelzen wiederum zu Helium – und einem Neutron. Es würde also genau das eintreten, was man durch den Einsatz von Helium-3 verhindern wollte.
Stattdessen könnte man sich also für eine 3He-3He-Fusion entscheiden, um die Verstrahlung von Reaktorteilen zu umgehen. Doch diese liefe Close zufolge noch langsamer ab. Zudem liegt die für den Vorgang erforderliche Temperatur außerhalb des für einen Tokamak derzeit erreichbaren Bereichs.
Dennoch betont Helander: »In Stellaratoren und Tokamaks ließe sich prinzipiell jeder fusionsfähige Brennstoff verwenden.« Dafür müsse man aber die Größe der Geräte, die Stärke des Magnetfelds und die Temperatur anpassen. »Beim Gemisch Deuterium und Helium-3 müsste der Druck deutlich höher sein als mit Tritium und Deuterium. In solchen Plasmen ist es dann sehr schwierig, eine positive Energiebilanz zu erreichen«, erklärt der Fusionsforscher.
»Mondastronaut zu sein, ist nicht dasselbe wie Experte für Kernfusion«
Auch Kulcinski geht davon aus, dass die ersten Fusionskraftwerke mit Deuterium und Tritium ans Netz gehen werden. Aber: »Ich glaube, dass sich Wissenschaftler irgendwann 3He-Fusionsbrennstoffen zuwenden werden«, fügt er hinzu. Dies werde sich nämlich am Ende als wirtschaftlicher herausstellen, mutmaßt er, weil der teure Umgang mit radioaktiven Teilen wegfiele.
Hinzu kommt, dass sich die Fusionsforschung der Zukunft höchstwahrscheinlich nicht bloß auf Tokamaks und Stellaratoren mit ihren donutförmigen Magnetfeldern beschränken wird. Die schwer zu stabilisierenden Plasmen ließen sich auch durch alternative Technologien einschließen, etwa durch eine feldumgekehrte Konfiguration, an der Kulcinskis Team Anfang der 2000er Jahre gearbeitet hat.
»Meine Einschätzung von 2007 gilt immer noch«, hält Close in einer E-Mail nachdrücklich dagegen. »Es lässt sich nicht ignorieren, dass nach 14 Jahren immer noch reproduzierbare Beweise für die 3He-Fusion fehlen. Gäbe es welche, würde darüber auch nicht diskutiert. Ich stelle sie nicht in das gleiche Lager wie die ›kalte Fusion‹. Aber es gibt einige Ähnlichkeiten, wie dieser Bereich vorankommt.« Er setzt mit einer Kritik an Harrison nach: »Mondastronaut zu sein, ist nicht dasselbe wie Experte für Kernfusion.«
Der Mond als Lagerstätte
Selbst wenn langfristig eine Helium-3-Fusion gelänge, bliebe das Problem der Beschaffung. Gegenwärtig werden jährlich nur etwa 15 Kilogramm 3He gewonnen, hauptsächlich als Beiprodukt bei der Aufarbeitung von Kernwaffen. In der Erdatmosphäre hat das Isotop bloß einen Anteil von 0,007 Parts per Billion (Milliardstel, kurz: ppb) – insgesamt stehen es also lediglich 3000 bis 4000 Tonnen zur Verfügung. Diese zu fördern wäre weder wirtschaftlich noch nachhaltig.
Bleibt der Mond, zweifellos eine Expertise von Harrison. Analysen von Apollo-Proben ergaben, dass Helium-3 dort im sonnenbeschienen Mondboden der Tiefebenen in Konzentration von bis zu 15 ppb vorkommt, im Schatten werden sogar bis zu 50 ppb vermutet.
Gratislieferung per Sonnenwind
»Helium-3 kommt mit dem Sonnenwind«, erklärt Ralf Jaumann, Planetologe an der Freien Universität Berlin und Autor des Buchs »Der Mond«. »Kosmischer Staub hat das Mondgestein an der Oberfläche, den Regolith, 4,5 Milliarden Jahre lang zu Staub gemahlen. Er wirkt wie ein Filter, in dem sich Helium-3 sehr wohl fühlt.« Während Kulcinski und Schmitt 1992 noch eine Milliarde Tonnen Helium-3 im Mondboden berechneten, kommt eine chinesische Studie von 2010 basierend auf der Dicke des Regoliths auf etwa 66 000 Tonnen.
»Tatsächlich wäre die NASA gegenwärtig schon froh, ein paar Kilogramm Eis einzusammeln und aufzuschmelzen«
Aber wie soll man an den volatilen Stoff rankommen? Auch hier mangelt es nicht an kreativen Ideen. Forschende der University of Wisconsin entwickelten beispielsweise den zehn Tonnen schweren Roboter Mark-III-Miner. Das solarbetriebene Kettenfahrzeug würde an den insgesamt 182 Mondtagen im Jahr einen Quadratkilometer abfahren, dabei bis in drei Meter Tiefe etwa fünf Millionen Tonnen Regolith – gut 1200 Tonnen stündlich – fördern und daraus 66 Kilogramm Helium-3 ausheizen.
Es sollte möglich sein, Helium-3 mit Hilfe von Robotern abzubauen. »Ich denke, dass die prinzipielle Technik sogar schon vorhanden ist«, sagt Tilman Spohn vom International Space Science Institute in Bern und langjähriger Leiter des DLR-Instituts für Planetenforschung in Berlin in einem Telefoninterview. »Aber das im industriellen Maßstab auf dem Mond aufzuziehen, ist noch mal eine andere Nummer. Tatsächlich wäre die NASA gegenwärtig schon froh, ein paar Kilogramm Eis einzusammeln und aufzuschmelzen, wie sie es ab 2023 mit dem Mondrover Viper plant.
Wahnwitzige Fördermengen
Zudem bräuchte es trotz der beachtlichen Fördermenge nicht nur einen Mark-Miner. Eine Arbeit an der Technischen Universität Delft von 2014, die allerdings noch nicht begutachtet ist, hat die technische Machbarkeit von Helium-3-Mining auf dem Mond untersucht und die voraussichtlichen Kosten mit alternativen Energiequellen verglichen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Helium-3 angesichts der hohen Investitions- und Betriebskosten nur dann eine Chance gegen regenerative Energien wie Wind und Sonne hat, wenn sein Abbau – unter idealen Bedingungen – Brennstoff für ein bis zehn Prozent der globalen Energieversorgung liefert.
»Wenn Sie die Mondoberfläche so stark verändern, zerstören Sie im Prinzip die Aufzeichnung der Frühgeschichte des Sonnensystems und des Erde-Mond-Systems«
Bei einem globalen Jahresenergiebedarf von gut 200 000 Terawattstunden wären für eine zehnprozentige Abdeckung zwar nur etwa 200 Tonnen Helium erforderlich. Doch dafür müssten mehr als 1500 Mark-Roboter jährlich etwa 20 Milliarden Tonnen Regolith fördern – was 640 Tonnen in der Sekunde entspricht. Dazu müsste man über eine Betriebsdauer von 30 Jahren mehr als 350 000 Tonnen Ausrüstung auf den Mond transportieren. Insbesondere benötigt man Kraftwerksgeräte, die knapp 40 Gigawatt Leistung erzeugen, um das Helium aus dem Regolith zu heizen. Die Kosten für den lunaren Helium-3-Bergbau würden damit wahnwitzig hoch ausfallen, selbst wenn die Transportpreise durch wiederverwertbare Raketen in den kommenden Jahren dramatisch sinken würden.
Angesichts dieser Hürden fällt das Fazit für die Helium-3-Fusion ernüchternd aus. Nach heutigen Schätzungen dauert es noch mindestens 30 Jahre (eher deutlich länger), bis Strom produzierende Fusionsreaktoren ans Netz gehen. Bis dahin werden regenerative Energien voraussichtlich so kostengünstig zu gewinnen sein, dass sie den aufwändigen Helium-3-Bergbau – und damit auch die Helium-3-Fusion – unwirtschaftlich machen dürften.
Es gibt aber auch einen weiteren entscheidenden Grund, das Isotop auf unserem Trabanten zu belassen. »Ich persönlich würde ungern sehen, wenn man den Mond auf diese Weise nutzte«, sagt Planetenforscher Spohn. »Wenn Sie die Mondoberfläche so stark verändern, zerstören Sie im Prinzip die Aufzeichnung der Frühgeschichte des Sonnensystems und des Erde-Mond-Systems.«
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