Zellbiologie: Kleines Wer-Bist-Du
Ob tüchtige Immunzellen Bakterien angreifen oder Körperzellen schonen; ob kleine giftige Blumentierchen sich mit ihresgleichen verbrüdern oder bekriegen - stets scheinen ähnliche Mechanismen im Spiel. Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind ist offenbar recht universell.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zum Überleben: Eine Lektion, die die ersten Mehrzeller wahrscheinlich schon auf die harte Tour gelernt hatten, als sie auf die ersten Bakterien und Viren stießen, die es sich in ihrem Körper bequem machen wollten. Die Abwehr solcher Eindringlinge setzt neben scharfen Waffen pfiffige Aufklärung voraus: Unveränderliche Kennzeichen des Fremdlings – ärgerlicherweise unauffällig wie alles andere zusammengesetzt aus Proteinen und vielleicht ein wenig Zuckern – müssen sicher erkannt werden, damit die Körperabwehrwaffen sich nicht aus Versehen gegen den eigenen Körper statt gegen die Zellen des Eindringlings richten. Dieses biologische Problem heißt Selbst/Fremd-Unterscheidung – und die unterschiedlichen Lebewesen lösen es im Detail unterschiedlich.
Zum Beispiel bei Mensch und Maus: Hier war schnell klar, dass dabei eine Art biochemischer "Das-Bin-Ich-Aufkleber" eine Rolle spielt. Dieser, er heißt MHC (Major Histocompatibility Complex), fungiert als auf nahezu alle Zellen außen angebrachter Ausweis gegenüber der Körperpatrouille. Erkennt etwa eine Natürliche Killerzelle (NK) mit einem passenden Rezeptor die MHC-Klasse-1-Eiweißstruktur, so unterbricht sie sofort alle Attacken – fehlt das Zertifikat einer Zelle, so wird sie als illegitim, fremd und feindlich eingestuft, attackiert und zerstört.
Wissenschaftler zeigten sich lange überfragt, wo die evolutiven Ursprüngen eines solchen ausgereiften Kommunikationsmechanismus liegen könnten. Die einzelnen Komponenten – Killerzellen und T-Zellen etwa, ihre immunglobulinanalogen Rezeptoren und die bei jedem Individuum typisch variierten MHCs – hatten wohl alle irgendwann bei den Vorläufern der Säugetiere eine etwas andere Spezialfunktion, die dann erst angepasst wurde um kombiniert die Selbst-/Fremd-Unterscheidung zu gewährleisten.
Leo Buss von der Yale University und seine Kollegen warfen nun einen Blick auf Organismen, bei denen das anderswo ausgereifte Prinzip der Selbst-/Fremderkennung noch viel ursprünglicher erscheint: Ihre Versuchtiere waren Nesseltiere der Art Hydractinia symbiolongicarpus. Die Tiere leben in Kolonien, die als flaumiger Belag am Meeresboden wachsen und sich langsam ausbreiten. Von Zeit zu Zeit treffen sie dabei auch auf eine andere Hydractinia-Zellversammlung, die ihr aus der Gegenrichtung entgegen wächst – womit plötzlich Dynamik in das beschauliche Meeresbodengeschehen kommt. Denn obwohl die Kolonien manchmal einfach verschmelzen und dann vereint weitermachen wie bisher, beginnen sie nicht selten auch mit einem erbitterten Kampf: An der Front der aufeinanderprallenden Koloniegrenzen rekrutieren die Gegner unzählige Nesselzellen, die ihre giftige Ladung in das Gegenüber jagen – bis schließlich eine Kolonie die andere von Ort und Stelle verdrängt hat.
Buss und Co wollten herausfinden, wann Kolonien friedlich verschmelzen und wann sie sich erbittert bekämpfen. Der Grund, so die Wissenschaftler, liegt in einer sehr einfachen Nesseltier-Variante des Säuger-MHC-Komplexes: Alle Zellen einer Kolonie produzieren eine von mehreren Varianten eines bestimmten Erkennungsproteins, welches membrandurchspannend in alle Zellen eingebaut wird. Diese Proteine sind in einer hypervariablen Region sehr unterschiedlich, vielleicht typisch für das jeweilige Individuum.
Dies, so die Wissenschaftler, ist eine der basalsten Vorstufen einer funktionierenden Selbst-/Fremderkennung – ähnelt im Prinzip aber schon dem, was im Immunsystem unterschiedlicher höher evolvierter Organismen verwirklicht ist.
Spannend zudem, dass die Allele der Nesseltiererkennungsproteine an die Sequenzen von Immunglobulinen erinnern – den hochleistungsfähigen, sehr spezifisch und selektiv andere Strukturen erkennenden Antikörpern etwa des Menschen. Zwar seien die unterschiedlichen Systeme – das der Nesseltiere, das VCBP der Lanzettfischchen, die Frep-Proteine der Weichtiere oder der MHC des Menschen, die von Immunglobulinvarianten erkannt werden – sicher nicht aus einer gemeinsamen Urform entstanden. Das Prinzip aber scheint so funktional, dass es bei all diesen unterschiedlichen Formen immer wieder konvergent entstand. Selbst- und Fremderkennung ist, anders gesagt, auch bei einander Fremden fast dasselbe.
Zum Beispiel bei Mensch und Maus: Hier war schnell klar, dass dabei eine Art biochemischer "Das-Bin-Ich-Aufkleber" eine Rolle spielt. Dieser, er heißt MHC (Major Histocompatibility Complex), fungiert als auf nahezu alle Zellen außen angebrachter Ausweis gegenüber der Körperpatrouille. Erkennt etwa eine Natürliche Killerzelle (NK) mit einem passenden Rezeptor die MHC-Klasse-1-Eiweißstruktur, so unterbricht sie sofort alle Attacken – fehlt das Zertifikat einer Zelle, so wird sie als illegitim, fremd und feindlich eingestuft, attackiert und zerstört.
Wissenschaftler zeigten sich lange überfragt, wo die evolutiven Ursprüngen eines solchen ausgereiften Kommunikationsmechanismus liegen könnten. Die einzelnen Komponenten – Killerzellen und T-Zellen etwa, ihre immunglobulinanalogen Rezeptoren und die bei jedem Individuum typisch variierten MHCs – hatten wohl alle irgendwann bei den Vorläufern der Säugetiere eine etwas andere Spezialfunktion, die dann erst angepasst wurde um kombiniert die Selbst-/Fremd-Unterscheidung zu gewährleisten.
Ein derart leistungs- und anpassungsfähiges Immunsystem wie das der Säuger mit ihrem MHC hatte man noch vor wenigen Jahren nicht vielen anderen Organismen zugetraut. Mehr und mehr zeigte sich jedoch, dass Moleküle mit dem Leistungsspektrum der Säuger-MHCs durchaus auch anderswo vorhanden sind. Teilweise spielen sie eine erstaunlich ähnliche Rolle wie der MHC – ob die variablen Chitin-Bindeproteine (VCBP) beim Urwirbeltier Lanzettfischchen oder die FREP-Proteine bei Schnecken.
Leo Buss von der Yale University und seine Kollegen warfen nun einen Blick auf Organismen, bei denen das anderswo ausgereifte Prinzip der Selbst-/Fremderkennung noch viel ursprünglicher erscheint: Ihre Versuchtiere waren Nesseltiere der Art Hydractinia symbiolongicarpus. Die Tiere leben in Kolonien, die als flaumiger Belag am Meeresboden wachsen und sich langsam ausbreiten. Von Zeit zu Zeit treffen sie dabei auch auf eine andere Hydractinia-Zellversammlung, die ihr aus der Gegenrichtung entgegen wächst – womit plötzlich Dynamik in das beschauliche Meeresbodengeschehen kommt. Denn obwohl die Kolonien manchmal einfach verschmelzen und dann vereint weitermachen wie bisher, beginnen sie nicht selten auch mit einem erbitterten Kampf: An der Front der aufeinanderprallenden Koloniegrenzen rekrutieren die Gegner unzählige Nesselzellen, die ihre giftige Ladung in das Gegenüber jagen – bis schließlich eine Kolonie die andere von Ort und Stelle verdrängt hat.
Buss und Co wollten herausfinden, wann Kolonien friedlich verschmelzen und wann sie sich erbittert bekämpfen. Der Grund, so die Wissenschaftler, liegt in einer sehr einfachen Nesseltier-Variante des Säuger-MHC-Komplexes: Alle Zellen einer Kolonie produzieren eine von mehreren Varianten eines bestimmten Erkennungsproteins, welches membrandurchspannend in alle Zellen eingebaut wird. Diese Proteine sind in einer hypervariablen Region sehr unterschiedlich, vielleicht typisch für das jeweilige Individuum.
Kodiert werden sie an zwei Orten im Genom der Nesseltiere, in denen jeweils unterschiedliche Varianten des Gens, so genannte Allele verschlüsselt sind. Wie die Forscher feststellten, ist der Mix aus beiden Genen entscheidend: ob eine Kolonien eine andere als Selbst erkennt oder als Fremd bekämpft: Tragen zwei Kolonien ein gleiches Allel an beiden Genorten, so halten sie sich beim Rendezvouz für sich selbst.
Dies, so die Wissenschaftler, ist eine der basalsten Vorstufen einer funktionierenden Selbst-/Fremderkennung – ähnelt im Prinzip aber schon dem, was im Immunsystem unterschiedlicher höher evolvierter Organismen verwirklicht ist.
Spannend zudem, dass die Allele der Nesseltiererkennungsproteine an die Sequenzen von Immunglobulinen erinnern – den hochleistungsfähigen, sehr spezifisch und selektiv andere Strukturen erkennenden Antikörpern etwa des Menschen. Zwar seien die unterschiedlichen Systeme – das der Nesseltiere, das VCBP der Lanzettfischchen, die Frep-Proteine der Weichtiere oder der MHC des Menschen, die von Immunglobulinvarianten erkannt werden – sicher nicht aus einer gemeinsamen Urform entstanden. Das Prinzip aber scheint so funktional, dass es bei all diesen unterschiedlichen Formen immer wieder konvergent entstand. Selbst- und Fremderkennung ist, anders gesagt, auch bei einander Fremden fast dasselbe.
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