Klimatrend: Der Energiehunger der Welt ist ungebrochen
Anstatt weniger Öl, Gas und Kohle zu nutzen, verbrennt die Menschheit zunehmend mehr davon. In diesem Jahr dürfte der globale fossile Kohlendioxidausstoß auf ein neues Rekordhoch klettern, wie die internationale Forschungsinitiative Global Carbon Project erklärt.
Es gebe kein klares Anzeichen dafür, dass die Welt den Höhepunkt der fossilen Emissionen bereits erreicht habe, sagt Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gegenüber dem Science Media Center. Hauck ist eine der rund 120 Autorinnen und Autoren des Berichts »Global Carbon Budget 2024«, der vorab in der Zeitschrift »Earth System Science Data« veröffentlicht, aber noch nicht von Fachkollegen begutachtet wurde. Dem Report zufolge dürften die fossilen CO2-Emissionen in diesem Jahr 0,8 Prozent über denen von 2023 liegen und 37,4 Milliarden Tonnen erreichen.
Erstautor Pierre Friedlingstein von der University of Exeter ergänzt in Richtung der Weltklimakonferenz in Baku in Aserbaidschan: »Die Staats- und Regierungschefs, die sich auf der COP29 treffen, müssen die Emissionen fossiler Brennstoffe schnell und tief greifend senken, damit wir eine Chance haben, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten.«
Hauck zufolge gibt es nun immerhin 22 Länder, in denen der Ausstoß klimaschädlicher Gase in den vergangenen Jahren reduziert wurde, während die Wirtschaft wuchs. Dazu gehörten auch die USA, Deutschland und viele andere europäische Länder. »Wir sehen da einen Trend, der uns natürlich viel zu langsam geht, der aber eben in die richtige Richtung geht und der durchaus Hoffnung macht«, erklärt Hauck. Verbessert habe sich die Situation etwa in Norwegen. Den Grund kann die Forscherin klar benennen: »Da kann man das ziemlich direkt dem starken Ausbau der Elektromobilität attribuieren.« Die Politik, die den Ausbau der Elektromobilität fördere, habe »einen ganz direkten Effekt auf die Reduktion der Emissionen«.
China erreicht möglicherweise Wendepunkt
Für China, das für fast ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, kommen die Forschenden in diesem Jahr nur noch auf einen sehr leichten Anstieg von etwa 0,2 Prozent. Dort könnte der Wendepunkt erreicht sein, denn 0,2 Prozent liege innerhalb der Fehlerbandbreite, kommentiert der Klimawissenschaftler Niklas Höhne vom NewClimate Institute, einer gemeinnützigen Organisation in Berlin, gegenüber dem Science Media Center. Auch China setze massiv auf Elektromobilität, wodurch der Ölverbrauch gesunken sei.
Doch der Energiehunger sei dort und überall sonst auf der Welt groß, etwa durch den vermehrten Einsatz von Klimaanlagen und künstlicher Intelligenz. Um den Bedarf zu decken, werde die Infrastruktur für fossile Energie häufig weiter ausgebaut, fährt Höhne fort. Auf der anderen Seite seien erneuerbare Energien im Wachstum, auch weil Solaranlagen sehr günstig geworden seien. Irgendwann würden preiswerte erneuerbare Energien die fossilen aus dem Markt drängen. »Die Hoffnung ist, dass das in den nächsten Jahren passiert.«
»Uns läuft die Zeit davon«Julia Pongratz, Geografin
Für ihren Bericht berechneten die Forschenden zudem, wie viel CO2 aus der Luft von den Ozeanen, Pflanzen und Böden aufgenommen wird: Es sei etwas mehr als die Hälfte des von Menschen ausgestoßenen Kohlendioxids. Allerdings stehen die Meere und Landflächen ebenfalls unter dem Einfluss des Klimawandels, was ihre Aufnahmekapazitäten verändert. So konnten die Ökosysteme an Land im Jahr 2023 etwa 27 Prozent weniger CO2 aufnehmen als noch 2014. Das liege an den geringeren Niederschlägen und zugleich höheren Temperaturen in bestimmten Regionen, erklärt die Koautorin und Geografin Julia Pongratz von der LMU München.
Für die Ozeane als Kohlenstoffsenke ergebe sich ein ähnliches Bild. Die Meere nahmen in den vergangenen zehn Jahren knapp sechs Prozent weniger CO2 auf. Hauck erkennt darin ebenfalls eine Folge der weltweiten Klimaerwärmung.
Rein rechnerisch bleiben noch sechs Jahre
Die Menschheit habe nur noch wenige Jahre, bis das weltweite Ziel – die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen – verfehlt werde, ergänzt Pongratz. Denn nur so ließen sich die schlimmsten Klimawandelfolgen eindämmen. »Unsere besten Abschätzungen ergeben, dass wir in sechs Jahren eine 50-prozentige Chance haben, dass wir die 1,5-Marke knacken.« Das heiße andersherum: Für das 1,5-Grad-Ziel müsste die Welt in sechs Jahren netto auf null Emissionen kommen. »Uns läuft die Zeit davon«, so Pongratz.
Fachkollegen schätzen die Lage noch deutlich düsterer ein. Der Meteorologe Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel sagte mit Blick auf die aktuelle Klimakonferenz gegenüber »heute.de«: »Es ist geradezu lächerlich, am 1,5-Grad-Ziel festzuhalten. Wir haben es de facto schon längst gerissen.« Für dieses Jahr stimmt diese Einschätzung. 2024 wird dem EU-Klimawandeldienst Copernicus zufolge so gut wie sicher im Durchschnitt mehr als 1,5 Grad wärmer als die Jahre im vorindustriellen Mittel. Das Pariser Klimaziel gilt damit aber noch nicht als verfehlt, weil dafür auf längerfristige Durchschnittswerte geschaut wird.
All das ändert jedoch nichts an der Gesamtlage. Der CO2-Ausstoß ist zu hoch. Und die Folgen sind mit aller Härte auch in Europa im Alltag der Menschen angekommen. »Es sterben jetzt auch im Globalen Norden Menschen durch den Klimawandel«, sagt Pongratz. »Wir hatten das Klimaproblem bislang immer diffus in andere Regionen und nächste Generationen geschoben. Das ist nicht mehr der Fall. Wir sind ganz akut selbst davon betroffen.« (dpa/kas)
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