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Invasive Arten: Kontrolle ist besser

Vertrauen ist gut, doch nicht zu viel davon. Zumindest nicht, was den Handel mit exotischen Kreaturen anbelangt. Zu schnell wird aus der attraktiven Zierpalme oder der putzigen Schildkröte eine Plage für die neue Heimat. Kontrolle tut daher not - und erspart mitunter enorme Folgekosten.
Asiatischer Halsbandsittich in Heidelberg
Die Ranger im Everglades-Nationalpark trauten wahrscheinlich ihren Augen kaum, als sie im Herbst 2005 mitten in Floridas Sümpfen auf eine besondere Opfer-Täter-Beziehung trafen. Nur wenige Tage vorher wollte sich zwischen den Riedgräsern offensichtlich ein Python an einem Alligatoren delektieren, doch waren in diesem Fall auch einmal tierische Augen größer als der Magen – mit bitterem Ende für beide: Die Echse starb durch Erwürgen, doch nahm sie posthum noch Rache an der Schlange, die es beim Verschlingen der zu ergiebigen Beute schlichtweg zerriss.

Allerdings waren die Wildhüter weniger von dem grauslichen Szenario schockiert als vielmehr vom aggressiven Verhalten des gewaltig dimensionierten Pythons, den es in amerikanischen Sümpfen zudem gar nicht geben sollte. Ursprünglich stammte er aus dem tropischen Südostasien, wo er von Tierhändlern in die Vereinigten Staaten verhökert wurde. Dort gehen junge, und damit noch richtig kleine, Würgeschlangen teilweise für weniger als zwanzig Dollar über den Ladentisch und gelangen leicht in die Hände unerfahrener Menschen. Innerhalb eines Jahres legen die Schuppenträger um bis das Zehnfache zu, sie vertilgen enorme Mengen an warmblütiger Nahrung und wachsen ihren Haltern damit schnell über den Kopf. Deren Gegenmaßnahme: eine kompromisslose Entsorgung im nächstbesten Sumpf, wo die Pythons dank der hier auch im Winter meist milden Temperaturen gut überleben können – und mittlerweile richtiggehend prosperieren.

Asiatischer Laubholzbockkäfer | Asiatischer Laubholzbockkäfer: Der versehentlich mit Holzpaletten nach Nordamerika eingeschleppte Schädling richtet mittlerweile große Schäden in den Wäldern des Landes an.
Denn was vor wenigen Jahren nur Einzelfälle waren, wächst sich langsam zu einer Würgeschlangen-Plage aus, welche die einheimische Fauna wie auch einzelne Haustiere gefährdet und nun hohe Kosten für Bekämpfungsmaßnahmen nach sich zieht. Damit stehen die invasiven Schlangen jedoch nicht allein und schon gar nicht an erster Stelle. Allein für die Vereinigten Staaten werden die ökologischen und ökonomischen Schäden durch so genannte Neozoen und Neophyten – neu eingeschleppte und sich problematisch ausbreitende Tiere und Pflanzen – auf 137 Milliarden Dollar jährlich taxiert, ähnliche Schätzungen gibt es für Australien oder Neuseeland. Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) beispielsweise zerstören nordamerikanische Forstbestände, brasilianische Wasserhyazinthen (Eichhornia crassipes) verstopfen afrikanische Kanäle und belasten Fischgründe, europäische Kaninchen fressen australisches Weideland kahl, und die pazifische Alge Caulerpa taxifolia gefährdete zeitweise die Küstenfischerei im Mittelmeer.

Wäre es also nicht kostengünstiger, strikte Maßnahmen gegen und Kontrollen im Handel mit Naturprodukten zu veranlassen, um diese Gefahren bereits im Ansatz zu ersticken – auch wenn sich dies auf den ersten Blick nicht mit einem globalisierten Warenverkehr verträgt? Oder überwiegt dessen wirtschaftlicher Nutzen mögliche Folgekosten zur Schadensbegrenzung einiger weniger invasiver Arten so deutlich, dass diese zum Wohle eines florierenden Freihandels riskiert werden könnten? Tatsächlich erlöst der globalisierte Austausch von Zierpflanzen, Wildtieren, Früchten, Gemüse und Holzprodukten Milliardensummen, wie Wissenschaftler um Reuben Keller von der Universität Notre Dame in Indiana zugestehen. Dagegen verursachen strenge, wissenschaftlich abgesicherte Überprüfungen und Marktbeschränkungen erwiesenermaßen zuerst einmal hohe Ausgaben, ohne Nutzen auf den ersten Blick.

Vielfach lehnten Regierungen deshalb bereits neue Risikoabschätzungen ab oder führten sie nur zögerlich ein. Es wurde befürchtet, dass – verglichen mit der korrekten Identifizierung von tatsächlich hoch gefährlichen Arten – zu viele exotische Spezies abgelehnt würden, deren Handel womöglich das Bruttosozialprodukt gesteigert hätte. Keller und seine Kollegen entwickelten daher eine einfache Kosten-Nutzen-Analyse, mit der sie die Rahmenbedingungen für langfristig profitable Zugangskontrollen gegenüber einer in diesem Punkt ungezügelten Marktwirtschaft ermitteln wollten.

Wasserhyazinthe | Die aus Südamerika stammende Wasserhyazinthe gehört zu den großen Plagen im Süden der USA. Sie verstopft dort Wasserwege und beeinträchtig die Fischerei.
Als Praxisbeispiel diente ihnen das australische Quarantäneprogramm für Zierpflanzen, das mögliche Problemarten vom fünften Kontinent fernhalten soll. Schließlich gelangten allein durch deren Einfuhr in der Vergangenheit fast 1400 invasive Spezies ins Land, die nun jährlich im Minimum 1,7 Milliarden Euro Schaden verursachen. Demgegenüber standen etwa im Jahr 2004 Einnahmen von 2,1 Milliarden Euro durch den Handel mit Zierpflanzen einschließlich des bereits ins Land gebrachten invasiven Grünzeugs, entsprechenden Zubehörs und angeschlossener Dienstleistungen. Während aufgrund des typischen Konsumenteninteresses der Umsatz vieler Zierpflanzen jedoch auf Dauer wieder abnahm, blieben die Ausgaben zur Schadensbehebung und Bekämpfung ausgebüchster Exoten langfristig hoch – nur die wenigsten von ihnen können erfolgreich wieder komplett aus der Umwelt entfernt werden.

Mit jedem weiteren gefährlichen Neophyten stiegen zudem die Kosten auf Dauer überproportional, während ihr ökonomischer Gewinn nur kurzzeitig anhielt. Dagegen kostete das ohnehin schon strenge australische Überwachungssystem nur etwa 200 000 Euro im Jahr – gegenüber den Ausgaben und Einnahmen fällt es also kaum ins Gewicht. Bereits nach wenigen Jahren amortisieren sich folglich die Anstrengungen, kritische Pflanzen fernzuhalten und überwiegen die Einsparungen im Staatshaushalt von entsprechend ausgebliebenen Bekämpfungsmaßnahmen den potenziellen Gewinn für die Volkswirtschaft.

In noch größerem Maße gilt diese Kalkulation für fremde Tierarten, die sich schneller als Pflanzen in einer neuen Heimat etablieren und daher früher Schäden anrichten. Außerdem, so die Forscher, zeigen neue Erhebungen, dass erfolgreiche Invasionen deutlich häufiger vorkommen, als bislang bekannt, während neue Bewertungskriterien in hohem Maße zielsicher kritische Spezies erkennen und damit vom Warenverkehr ausschließen können: alles Argumente, die für Handelsbeschränkungen sprechen.

Kellers Team gesteht allerdings einen problematischen Punkt in ihrer Berechnung ein, der allerdings weniger ökonomischer als politischer Natur ist: Der Zeitraum, ab dem eine invasive Art richtig viel Geld kostet, ist in den meisten Fällen deutlich länger als die Amtszeit der verantwortlichen Entscheidungsträger – ein Missverhältnis, das bekanntermaßen nicht nur ökologische Fragen belastet.

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