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Nanotechnologie: Lass sie mal machen

An einem Punkt stoßen die beeindruckenden Selbstheilungskräfte unseres Körpers an ihre Grenzen: Ein zerstörter Nerv im Gehirn ist und bleibt fast immer ein zerstörter Nerv - fatal, wenn er eigentlich wichtige Aufgaben zu erfüllen hätte. Vielleicht hilft in solchen Fällen bald ein neuer Reparaturansatz, dessen kleines Geheimnis noch keiner so recht versteht.
Klein ist ganz groß, bei den Trend-Spürhunden der Wissenschaftswelt: Was vor einigen Jahren die Gen- und vor kurzem noch die Stammzellforschung war, ist mittlerweile die Nanotechnologie – mit ganz winzigen Dingen soll bald schon richtig Imposantes geleistet werden. Nanotechnologie, so heißt es, besitzt eindeutig das Potenzial, zum Schmiermittel der nächsten Technologierevolution zu werden.

Wobei allerdings "Potenzial besitzen" übersetzt meist bedeutet, Potenzial eben noch nicht abgerufen und bewiesen zu haben. Wirklich nützlich einsetzbare Anwendungen mit dem wohlverdienten Etikett "Nano" sind derzeit noch sehr dünn gesät.

Rutledge Ellis-Behrke vom Massachusetts Institute of Technology und seine Kollegen scheinen auf dem Weg, dies zu ändern. Die Forscher widmeten sich bei ihren Untersuchungen einem bis dato mit klassischer Methode kaum beizukommenden Problem: der Reparatur von verletzten Gehirnneuronen. Werden die Nervenleitungen des Gehirns geschädigt – egal ob durch einen Hirnschlag oder eine fatale unfallbedingte Verletzung – so kennen meist weder das körpereigene Reparaturteam noch ein Hirnchirurg eine passende Antwort. Die Folgen können tödlich sein, die Betroffenen lähmen oder ihre Persönlichkeit irreversibel verändern.

Oder ihnen das Augenlicht rauben, so wie den Versuchstieren von Ellis-Behrkes Team: Die Forscher hatten dem Sehstrang des Gehirns von neugeborenen und erwachsenen Hamstern im Labor gezielt bis zu zwei Millimeter tiefe Schnitte beigebracht, worauf die Tiere erblindeten. Läsionen eines der beiden Sehstränge oder Tractus optici sind auch bei Menschen eine nicht seltene Ursache von Gesichtsverlust. Wird etwa der rechte Strang beschädigt, kommen die von den Rezeptoren der rechten Hemisphären beider Augen gewonnenen Reize nicht mehr durch: Das gesamte linke Gesichtsfeld ist dann nicht länger wahrnehmbar. Und zwar auf Dauer, denn in der Regel bilden sich solche Verletzungen nicht spontan zurück.

Nerven-Regeneration im Hamsterhirn | Im Gehirn eines acht Monate alten Hamsters reparieren sich durchtrennte Nervenbahnen wieder – wenn sie dabei von einem Korsett aus Nanofasern gestützt werden. Die Axone (grün dargestellt) wachsen über die Läsion hinaus und werden zu rund 80 Prozent auch wieder innerviert, also ins neuronale Netzwerk reintegriert.
Die Forscher versuchten nun doch eine Regeneration der absichtlich geschädigten Hamster-Neuronen mit Mitteln der Bio-Nanotechnologie zu erreichen. Sie behandelten die Nervenwunden einiger Tiere mit einem verdünnten, wässrigen Cocktail, in dem eine dosierte Menge kurzer ionischer Peptide enthalten war.

Damit erreichten die Wissenschaftler einen spektakulären Erfolg: Schon nach 24 Stunden hatten sich die Verletzungen begonnen zu schließen, was dann nach einem Monat vollständig geschehen war. Dabei wuchsen neue Nervenfaser-Ausläufer nicht – wie häufig bei der seltenen Regeneration durchtrennter Nerven – per Umleitungsüberbrückung um die verletzte Stelle, sondern ersetzten die geschädigten Kernbereiche sogar direkt.

Ganz offensichtlich konnten die zunächst geblendeten, erwachsenen Hamster nach erfolgreichen Nano-Reparatur sogar wieder sehen: Ihre Augen hefteten sich, obwohl langsamer als bei gesunden Tieren, interessiert auf leckere Sonnenblumenkern-Präsente, die bei Verhaltensexperimenten in ihrem seitlichen Sichtfeld auftauchten.

Die ionischen Peptide der Lösung, die blinde Hamster wieder sehen macht, funktionieren übrigens nicht wegen etwaiger gezielter molekularer Eingriffe in die Zellbiologie der Neurone. Vielmehr bauen sie wohl, gerichtet offenbar durch Wechselwirkungen mit der extrazellulären Matrix, eine Art unspezifisches Stütz-Gitter für körpereigene Nervenflickprozesse, die dann entlang dieses Baugerüstes viel gezielter eingreifen können. Bei den Hamstern dürften damit bis zu 30 000 Axone des Sehstranges neu zusammengebaut worden sein, schätzen die Forscher. Das wären rund tausend Mal so viele reparierte Axone, wie bislang mit anderen Methoden wie dem Einsatz von Nervenwachstums-Faktoren erreicht werden konnte.

Bleibt die Frage nach Risiken und Nebenwirkungen des Peptid-Wundercocktails. Die allerdings beantwortet Ellis-Behrkes gerne: Offenbar gibt es keine. Die Peptidgerüste werden nach der nervösen Regeneration demontiert, zu L-Aminosäuren zerlegt und nach drei bis vier Wochen über den Urin aus dem Körper entfernt.

Damit dürfte weiteren Versuchen nichts im Wege stehen, wobei das Fernziel natürlich bleibt, irgendwann einmal auch Gehirnneuronen-Traumata nach Hirnschlägen oder Rückenmarknerven von Gelähmten behandeln zu können. Obwohl nicht wirklich im Einzelnen klar ist, warum das Peptid-Gemisch Nerven regenerieren hilft: Hier verspricht der Einsatz von Nanowerkzeugen wirklich einmal Großes.

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