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Sinnesanomalie: Manche Linkshänderinnen können auf unerklärliche Weise riechen

Für die Geruchswahrnehmung ist im Gehirn der so genannte Riechkolben zuständig. Ein paar junge Frauen zeigen, dass es offenbar auch ohne ihn geht.
Frau mit duftender Tasse Kaffee in der Hand

Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, der moosige Geruch des Waldes: Was uns in die Nase steigt, melden die Sinneszellen über den Riechnerv an die Riechkolben im Gehirn. Ohne Kolben (Bulbus olfactorius) riechen wir nichts – dachte man bislang. Nun haben Forschende aus Israel mehrere Frauen aufgespürt, die auch ohne Riechkolben riechen können. Ein weiteres Beispiel dafür, wie anpassungsfähig das menschliche Gehirn ist, so das Team um den Neurobiologen Noam Sobel in der Fachzeitschrift »Neuron«.

Zufällig entdeckten die Wissenschaftler bei einer Studie mit gesunden, linkshändigen Frauen eine 29-Jährige, die keinen Riechkolben hatte, aber riechen konnte. Beim Vergleich mit anderen Probandinnen trafen Sobel und seine Kollegen unerwartet auf eine weitere junge Frau mit derselben Symptomatik. Beide bewerteten Gerüche nicht anders als 140 gleichaltrige Frauen mit Riechkolben.

Nun suchte das Team in 1100 öffentlich zugänglichen MRT-Scans aus dem »Human Connectome Project« nach weiteren Fällen – und fand darin drei junge Linkshänderinnen ohne Riechkolben, aber mit Geruchssinn. Diesen Zahlen zufolge wären 0,6 Prozent der Frauen und 4,25 Prozent der Linkshänderinnen betroffen. Männer mit einer solchen Anomalie fanden sie keine.

Gehirne mit und ohne Riechkolben | Oben links ein Hirnscan von einer Frau mit beidseitigem Bulbus olfactorius, die übrigen Hirnscans zeigen Gehirne ohne Riechkolben.

Frauen haben im Durchschnitt einen besseren Geruchssinn, erläutern die Forscher; der weibliche Riechkolben enthalte auch fast doppelt so viele Neurone und andere Zellen, obwohl er nicht größer sei als der von Männern. Dass es sich in den beschriebenen Fällen um Frauen handelte, hänge damit vermutlich zusammen. Aber warum nur Linkshänderinnen?

Und wie war es überhaupt möglich, dass die Frauen ohne Riechkolben einen normalen Geruchssinn hatten? Die Autoren diskutieren verschiedene Erklärungen: Womöglich sei ein winziger Rest Riechkolben vorhanden und lediglich in den Aufnahmen nicht nachweisbar. Wahrscheinlicher jedoch: Die Riechkolben oder Teile von ihnen könnten sich an anderer Stelle im Gehirn angesiedelt haben. Und ebenfalls denkbar: Der Trigeminusnerv oder andere Nervenendigungen könnten den Verlust des Riechkolbens irgendwie kompensieren.

Das Team will nun untersuchen, ob Frauen mit Geruchsblindheit (medizinisch: Anosmie) auch noch verspätet riechen lernen können. Sie empfehlen außerdem, das Screening von Neugeborenen auf den Geruchssinn auszuweiten. Werde eine Anosmie früh erkannt, könne man mit einem Geruchstraining etwaige kompensatorische Mechanismen vielleicht noch rechtzeitig fördern.

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