Direkt zum Inhalt

Motivation: Die Schreibblockade überwinden

Forschende verraten, wie sie die Angst vor dem leeren Blatt ablegen, Selbstzweifel loswerden und bis zum Ende der Arbeit durchhalten.
Im Vordergrund zerknüllte Blattseiten, dahinter sitzt ein verzweifelter Mensch vor einem Blatt Papier
Schreiben kann zur Qual werden.

Paul Silvia erkannte seine Motivationsprobleme ausgerechnet in dem Moment, als er im Jahr 2003 ein Buch über die Psychologie der Motivation schreiben wollte und daran beinahe gescheitert wäre. »Die Ironie dieses Umstands war mir damals völlig klar«, sagt der Psychologe von der University of North Carolina in Greensboro. Den mit seinem Verlag vereinbarten Abgabetermin hatte er bereits gerissen. Neun Monate lang hatte er keine Zeile an seinem Buch geschrieben; stattdessen verfasste er immer wieder kürzere Artikel, Fördermittelanträge und Forschungspapiere. Doch an seinem ersten Buch zu arbeiten, brachte er einfach nicht fertig – er hatte eine Schreibblockade.

Paul Silvia fragte professionelle Autorinnen und Autoren, Kolleginnen und Kollegen nach ihren Strategien. Was er von ihnen lernte, half ihm schließlich, sein Buch »Exploring the Psychology of Interest« zu Ende zu bringen. 2006 wurde es veröffentlicht. Später kamen zwei weitere Bücher über wissenschaftliches Schreiben hinzu: »How to Write a Lot: A Practical Guide to Productive Academic Writing« (2007) und »Write It Up: Practical Strategies for Writing and Publishing Journal Articles« (2014).

Eine zentrale Lektion sei für ihn gewesen, dass es nie den perfekten Zeitpunkt zum Schreiben gibt. »Das war der erste Schalter im Kopf, den ich wirklich umlegen musste«, sagt er heute.

»Wenn man sieht, dass etwas vorangeht, wird es zum Selbstläufer«Paul Silvia, Psychologe

Obwohl Schreibblockaden weit verbreitet sind, kämen sie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft überraschend, sagt César Soto Valero, Informatiker an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm. Er hat miterlebt, wie Doktorandinnen und Doktoranden tagelang kein einziges Wort auf die Seite brachten. Einige waren so frustriert, dass sie die akademische Laufbahn aufgaben.

»Manche Menschen entscheiden sich für die Wissenschaft, weil sie Experimente machen, programmieren oder neue Dinge ausprobieren wollen«, sagt Soto Valero. »Wenn sie dann merken, dass es in der Forschung vor allem darum geht, Forschungsarbeiten zu schreiben, tun sie sich oft sehr schwer damit.« Deswegen wollen Soto Valero, Paul Silvia und andere Wissenschaftler ihre Erkenntnisse jetzt teilen: Im Folgenden schildern sie, was dabei helfen kann, eine Schreibblockade zu überwinden.

1. Den Feind identifizieren

Laut Silvia gibt es mehrere Hauptursachen für eine Schreibblockade, und es sei wichtig, sich darüber bewusst zu werden, welche genau einen selbst aktuell betrifft. Eine davon besteht darin, sich Gedanken zu machen und dies mit Handeln zu verwechseln. »Wenn man viel über etwas nachdenkt«, sagt er, »bedeutet das nicht, dass man wirklich daran arbeitet.«

Außerdem gebe es den Irrglauben, dass man einen längeren Zeitraum brauche, um überhaupt schreiben zu können. Diese Idee kann zu Prokrastination – Aufschieberitis – führen, weil sie eine Ausrede liefert, gar nicht erst mit der Arbeit zu beginnen. Silvia nennt ein typisches Beispiel: Ein Akademiker zieht sich zum Schreiben für eine Woche in eine gemütliche Hütte auf dem Land zurück, um sich dort ausschließlich auf das Schreiben zu konzentrieren. Dies könne zu Enttäuschungen führen, wenn er am Ende zum Beispiel viel Zeit im örtlichen Café vergeudet, anstatt sich auf die eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. »Der Anspruch ist sehr hoch«, sagt er, »und wenn der erste Tag schiefgeht, ist das richtig deprimierend.«

2. Routinen schaffen

Silvia empfiehlt Forschenden, das Schreiben wie eine eigene Lehrveranstaltung einzuplanen: Die Zeit dafür sollen sie in den Kalender eintragen und sich an den Zeitplan halten. Um seine eigene Schreibblockade zu überwinden, hat Silvia jeden Wochentag zwischen 8 und 10 Uhr zur »Schreibzeit« erklärt. Er bestimmte auch ein Zimmer zu Hause als festen Arbeitsplatz.

Diese Beständigkeit nahm eine Menge Druck von ihm. Wenn er in den zwei Stunden nicht produktiv war, wusste er, dass er am nächsten Tag wieder dieselbe Chance hatte. Auf diese Weise bekam er nicht das Gefühl, seine Zeit unwiederbringlich vergeudet zu haben. Und sobald er anfing, Fortschritte zu machen, fiel ihm das Schreiben immer leichter. »Produktivität baut auf Schwung auf«, sagt er. »Wenn man sieht, dass etwas vorangeht, wird es zum Selbstläufer.«

3. Die zentrale Botschaft finden

Andrea Armani, Chemieingenieurin an der University of Southern California in Los Angeles, erlebt oft, dass sich Studierende vor allem zu Beginn mit einer Schreibaufgabe schwertun, weil sie gar nicht wissen, was sie eigentlich sagen wollen. Sie empfiehlt daher, sich selbst einige zentrale Fragen zu stellen: »Was ist meine Hypothese? Was ist das Ziel meiner Arbeit? Was versuche ich zu belegen?«

Anhand der Antworten auf diese Fragen sollten die Studierenden eine Vision entwickeln und »die wichtigste Entdeckung oder Errungenschaft in einem einzigen Satz« formulieren. Das rät Armani in einem Artikel aus dem Jahr 2020, in dem er sie in zehn Schritten zum Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit anleitet.

»Wissenschaftliches Schreiben kann oft sehr nüchtern sein. Doch man darf nicht vergessen, dem Leser eine Geschichte zu erzählen«Lynn Von Hagen, Biologin

Wenn man sich die zentrale Erkenntnis vergegenwärtigt, kann man das Gefühl überwinden, festzustecken, sagt auch Lynn Von Hagen, Biologin im Zoo von Denver, USA. Als sie 2023 einen Artikel über Konflikte zwischen Menschen und Elefanten schrieb, war ihre wichtigste Botschaft, dass Forschende beim Versuch, komplexe Probleme im Naturschutz zu verstehen, die betroffenen Menschen einbeziehen müssen. Daraufhin konnte sie jeden Abschnitt um diese Idee herum aufbauen. »Wissenschaftliches Schreiben kann oft sehr nüchtern sein«, sagt Von Hagen. »Aber man darf nicht vergessen, dem Leser eine Geschichte zu erzählen.«

4. Einen Plan machen

Unerfahrene Autorinnen und Autoren stürzen sich oft Hals über Kopf in ein neues Projekt, weiß Paul Silvia. Das führt dazu, dass sie sofort das Offensichtlichste aufschreiben, anstatt zunächst zu planen. Und dann bleiben sie am ersten Hindernis hängen. Eine klare Gliederung eines Aufsatzes, Kapitels oder Buchs kann dem vorbeugen. Es gibt viele Möglichkeiten, eine solche Gliederung zu erstellen, von altmodischen Karteikarten bis hin zu Softwarelösungen.

Andrea Armani beispielsweise erstellt als Erstes eine digitale Präsentation mit den wichtigsten Zahlen, Diagrammen, Datensätzen und Ergebnissen. Sie verwendet Präsentationsprogramme wie Powerpoint, Prezi oder Keynote, mit denen sich die Folien leicht verschieben lassen. Soto Valero plant jeden Absatz, indem er eine Reihe von Fragen in sein Dokument schreibt.

Valero gibt in einem Blogbeitrag aus dem Jahr 2021 Beispiele für Fragen, die ihm selbst halfen, eine Einleitung für eine Studie zu strukturieren. Die Arbeit beschäftigte sich mit einem Software-Problem namens »Bloat« (englisch für aufblähen), das Computerprogramme verlangsamt. »Was ist ein Software-Bloat? Warum ist das ein Problem?«, schrieb er. Als Nächstes kam: »Was ist der aktuelle Stand der Forschung? Was fehlt noch?«

»Meine Studierenden können ihre Experimente gut strukturieren, aber wenn sie sich dem Ende eines Projekts nähern und sagen: ›Okay, jetzt muss ich das aufschreiben‹, dann ist es, als würden sie ohne Taschenlampe in einen dunklen Wald gehen«Andrea Armani, Chemikerin

Eine Schreibblockade resultiert oft daraus, dass man zwar das Ziel im Kopf hat, aber nicht die Schritte, die nötig sind, um dorthin zu gelangen, sagt Armani. Sie erklärt ihren Studierenden, dass sie diesen Prozess so aufschlüsseln sollten, wie sie es auch bei ihrer Forschung tun. »Alle meine Doktoranden sind sehr gut darin, Versuche zu planen und in Teilschritte zu zerlegen«, sagt sie. »Doch wenn sie sich dem Ende eines Projekts nähern und sagen: ›Okay, jetzt muss ich das aufschreiben und eine Arbeit verfassen‹, dann ist es, als würden sie ohne Taschenlampe in einen dunklen Wald gehen.«

5. Die leere Seite füllen

Soto Valero begann als Student in Kuba damit, wissenschaftliche Aufsätze zu verfassen. Da Englisch nicht seine Muttersprache war, war das Schreiben zunächst mühsam. »Es dauerte Stunden, jeden einzelnen Satz zu schreiben«, sagt er. Da es einfacher ist, einen Text zu überarbeiten, als ihn von Grund auf zu schreiben, suchte er sich Vorlagen.

Mit Hilfe von Google Scholar, einer kostenlosen akademischen Suchmaschine für Forschungsarbeiten, fand Soto Valero Beispiele für Studien, die seiner Meinung nach gut aufbereitet und klar erklärt waren. Er erstellte eine ähnliche Struktur und füllte den Inhalt mit seinen eigenen Daten und Erkenntnissen. Heute schreibt er gleich selbst auf Englisch. Einige seiner Kollegen hingegen verwenden Google Translate, um ihr Spanisch ins Englische zu übertragen. Manche Universitäten engagieren Korrekturleser, um solche Übersetzungen überprüfen zu lassen.

Auch Lynn Von Hagen kämpft zu Beginn ihrer Schreibarbeiten regelmäßig mit dem leeren Blatt. Ihre Strategie: Sie schreibt einfach irgendetwas auf, selbst wenn es nur ein völlig ungeordneter Strom von Gedanken ist. Diese grobe Ideenliste nutzt sie als Ausgangspunkt: »Sobald man etwas zu Papier gebracht hat, kann man damit arbeiten, es bearbeiten und überarbeiten«, sagt sie. »Wenn etwas auf dem Papier steht, dann fließt es, dann kann ich daraus etwas machen.«

6. Das Ergebnis visualisieren

Mentale Strategien können ebenfalls helfen, eine Schreibblockade zu überwinden, sagt Valero. Bevor er sich an die einzelnen Abschnitte eines Aufsatzes macht, stellt er sich gerne vor, dass der Text schon fertig ist. »Wenn man sieht, dass etwas fertig ist, scheint es mental leichter zu erreichen«, schreibt er. Ihn erinnert das an das gedankliche Planen der nächsten Züge in einem Schachspiel: »Stellen Sie sich vor, der nächste Absatz ist fertig, machen Sie Ihren Zug und schreiben Sie ihn dann auf!«

7. In der falschen Reihenfolge schreiben

Es mag logisch erscheinen, zuerst den Titel, die Zusammenfassung und die Einleitung zu schreiben. Aber das könne später zu Problemen führen, so Armani: Wenn man es am Ende wieder umformulieren muss, macht das unnötige Arbeit. »Man weiß vorab nicht genau, wie der Ergebnisteil aussehen wird«, erklärt sie. Wenn man am Anfang beginne, »versucht man, in etwas einzuleiten, was man noch gar nicht geschrieben hat«.

Armani empfiehlt, zunächst eine Vision zu formulieren, eine Präsentation zu erstellen und dann direkt den Methodenteil zu schreiben. Schließlich wisse man als Forscherin, was man in der Forschung getan habe. »Man kann das fast diktieren und dann den Text aufräumen.« Als Nächstes entwirft sie den Abschnitt über die Ergebnisse, gefolgt von der Diskussion und der Schlussfolgerung, die großteils das bereits Geschriebene zusammenfassen. Erst am Ende formuliert sie die Einleitung, die Zusammenfassung und schließlich den Titel.

»Wenn man mit dem einfachsten Teil beginnt, vermeidet man das Blink-Cursor-Syndrom«Daniela Weiskopf, Immunologin

Die Immunologin Daniela Weiskopf vom La Jolla Institute for Immunology in San Diego, Kalifornien, sagt: »Wenn man mit dem einfachsten Teil beginnt, vermeidet man das Blink-Cursor-Syndrom: das Starren auf eine Seite, die nur einen blinkenden Cursor zeigt.« Wichtig sei es, mit etwas zu beginnen, was man sehr gut kann – »zum Beispiel die Absätze über Materialien und Methoden«, sagt Weiskopf. »Dann haben Sie schon etwas« – und der Gedanke, eine ganze Seite füllen zu müssen, sei weniger überwältigend.

8. Sich mehr Zeit nehmen

Da Schreiben harte Arbeit ist, kann es hilfreich sein, einen Puffer einzuplanen. Denn oft braucht man mehr Zeit, als man ursprünglich geplant hatte. Armani rät ihren Studierenden, mit dem Schreiben anzufangen, wenn sie etwa 75 Prozent der Forschung hinter sich haben. Während ihrer eigenen Arbeit macht sich Weiskopf bereits Notizen zu verschiedensten Dingen, über die sie möglicherweise berichten möchte.

Wenn Soto Valero genug Zeit hat, erlaubt er sich ein oder zwei Tage, nichts zu tun, was mit seinem aktuellen Projekt zu tun hat. Das könne genug Schuldgefühle erzeugen, um ihn wieder zum Schreiben zu motivieren. »Es scheint dumm zu sein, aber es funktioniert wirklich«, sagt er. »Man muss sich dem Schmerz aussetzen. Man kann ihn nicht vermeiden.«

9. Feedback einholen

Rückmeldung zu einem ersten Entwurf kann helfen, eine Schreibblockade zu überwinden, vor allem, wenn sie von einer Person kommt, die mehr Erfahrung mit Veröffentlichungen hat, sagt Lynn Von Hagen. Konstruktive Kritik ist ein Teil des Lernprozesses. »Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte: ›Ich bin mir einfach nicht sicher, wohin ich damit gehen soll. Ich bin mir nicht sicher, ob es das ausdrückt, was ich wirklich vermitteln will‹«, erzählt sie. »Jemand anderen auf die Arbeit schauen zu lassen, kann helfen, diese Unsicherheit zu überwinden.«

10. Zu hohe Ansprüche reduzieren

Manchmal entsteht eine Schreibblockade auch, weil man sich selbst unter Druck setzt und zum Beispiel besonders wortgewandt oder perfekt formulieren möchte. Armani empfiehlt, sich das eigentliche Ziel vor Augen zu halten: nicht den Pulitzer-Preis gewinnen zu wollen, sondern klar und wissenschaftlich präzise zu kommunizieren.

Er sage seinen Studierenden: »Mit komplizierten Sätzen in der Einleitung verliert man nur das Publikum. Es geht darum, ein Subjekt, ein Verb und vielleicht ein Objekt zu haben. Wenn du anfängst, viele komplizierte Sätze zu schreiben, wird niemand verstehen, was du sagen willst.«

11. Geduld haben

Auch wenn der erste Entwurf stehe, sei die Arbeit noch nicht vorbei, so Soto Valero. Es brauche viele Durchgänge, den Text zu verbessern und zu ergänzen. »Ich habe Monate damit verbracht, wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben«, sagt er. »Das geht nicht an ein oder zwei Tagen.«

Im Verlauf von mehr als 200 Veröffentlichungen hat Armani immer besser gelernt, sich zu organisieren und den Einstieg zu finden. Doch jede Arbeit hat ihre Herausforderungen. »Es ist immer noch genauso schwierig, weil man sichergehen will, alles wie beabsichtigt zum Ausdruck zu bringen«, sagt sie. »Diesen Prozess darf man nicht überstürzen.«

12. Erfahrungen austauschen

Weiskopf weist darauf hin, dass die meisten Menschen das wissenschaftliche Schreiben nicht über Nacht lernen und Schreibblockaden immer wieder auftreten können. Deshalb sei es hilfreich, mit anderen darüber zu sprechen: um sich bewusst zu machen, dass viele dieselben Schwierigkeiten haben. »Es ist wichtig, sich über seine Probleme auszutauschen. Niemand kommt als Meister zur Welt.«

Eine kleine Schreibgruppe zu gründen, könne helfen, gemeinsam in den Prozess hineinzufinden und sich daran zu erinnern, dass man nicht allein ist, fügt Silvia hinzu. Er empfiehlt, sich wöchentlich mit der Gruppe zu treffen, um den Stand der Arbeit zu besprechen und die Ziele für die kommende Woche festzulegen. »Fast jeder hat mit dem Schreiben zu kämpfen«, sagt er. »Ich habe nur wenige Menschen getroffen, die das einfach mühelos können.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.