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Umwelt: Nicht Fisch, sondern Fleisch

Chemikalien können zu Plagegeistern mutieren, wenn sie in der Umwelt nicht abgebaut werden. Daher sollen Laborexperimente simulieren, wie sich künstliche Substanzen im natürlichen Stoffkreislauf verhalten. Aber liefern die bisherigen Tests im Reagenzglas immer das richtige Ergebnis?
Fischender Braunbär
Heute fühlt sich Plastik an wie echtes Leder, und wir können unsere Kleidung mit einem Spray gegen Schmutz und Feuchtigkeit imprägnieren – dank speziell entwickelter, chemischer Substanzen, die der Mensch in großem Maßstab herstellt. Für kommerzielle Produkte greift eine Industrienation auf rund 12 000 künstliche Stoffe zurück.

Jedoch können die unauffälligen Inhaltsstoffe ein Problem darstellen, selbst wenn sie nur in geringer Konzentration in die Umwelt gelangen: Ist eine Verbindung stabil gegen einen schnellen Abbau in der Natur, kann sie sich in Lebewesen anreichern und dabei gesundheitsschädliche Konzentrationen im Körpergewebe erreichen.

Die für die Zulassung von Chemikalien zuständigen Behörden sind daher bemüht, das Risiko einer solchen Bioakkumulation auch für bereits etablierte Stoffe angemessen zu bewerten. Entsprechende Untersuchungen in der Biosphäre sind allerdings sehr aufwändig, sodass im Allgemeinen Messwerte aus Laboruntersuchungen als Behelfslösung dienen. Hierbei bestimmen Wissenschaftler, wie gut sich eine chemische Verbindung in Wasser und Fett löst. Chemikalien, die sich vergleichsweise gut in Wasser lösen, gelten dabei als ungefährlich. Untersuchungen an Laborfischen in den 1980er Jahren hatten ergeben, dass solche Substanzen im Körper der Tiere nur niedrige Konzentrationen erreichten. Auch war bei Fischen in natürlichen Ökosystemen keine Anreicherung nachzuweisen.

Kabeljau | Schadstoffbelastungen, die in Fischen gemessen werden, lassen nicht immer Rückschlüsse auf andere Tiere, geschweige denn den Menschen zu.
"Trotzdem spiegeln derlei Modelluntersuchungen die Wirklichkeit in der Natur nicht immer angemessen wider", stellt Frank Gobas von der Simon-Fraser-Universität in Burnaby fest. "Die Anreicherung von Schadstoffen in Nahrungsnetzen hängt nicht alleine davon ab, wie sich eine Substanz zwischen Fett und Wasser verteilt", fasst der Forscher die Ergebnisse von Untersuchungen zusammen, die er und seine Mitarbeiter in der Arktis durchführten.

Für bestimmte Verbindungen wie etwa beta-HCH, ein Nebenprodukt der Lindan-Herstellung, fanden sie gravierende Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten. So ist die Konzentration der chlororganischen Verbindung in Algen, Muscheln, Kabeljau, Stichling und Lachs gleich niedrig, was im Einklang mit den Laborexperimenten steht. Eiderente, Beluga, Ringelrobben, Eisbär und Mensch aber reichern das Gift bis auf das 80-Fache in ihrem Fettgewebe an.

Eisbären | Eisbären sind wegen ihrer gehobenen Stellung in Nahrungsnetzen von vielen Schadstoffen sehr viel stärker belastet.
Seine Beobachtungen führt der Biologe darauf zurück, dass sich manche organischen Verbindungen zwar einigermaßen leidlich in Wasser lösen, aber kaum in die Luft übergehen. "Diese Chemikalien bleiben in unserem Körper gespeichert, weil wir sie nicht abatmen können", sagt er. Nur Lebewesen mit Kiemen können ihr Atmungsorgan nutzen, um solche Stoffe wieder aus ihrem Körper auszuschleusen. Tieren mit Lungenatmung fehlt dieser Entgiftungsweg, sodass sie von vielen Schadstoffen in ihrer Umwelt ungleich höher belastet werden.

Inuit | Auch die Inuit sind stark von vielen Umweltgiften betroffen, da sie sich von Robben und Beluga ernähren.
"Wir müssen überdenken, wie wir solche Chemikalien bewerten", fordert Gobas. Bei ihrer Risikoeinstufung müssten die Zulassungsbehörden daher neben der Löslichkeit in Wasser auch berücksichtigen, wie flüchtig eine Substanz sei. Entsprechende Kennzahlen, die für die meisten Stoffe schon bekannt sind, konnte er mit seinen Feldbeobachtungen in Einklang bringen. Bis zu 36 Prozent der heutzutage gebräuchlichen chemischen Substanzen wären von einer Neubewertung betroffen, darunter nicht nur Pestizide, sondern auch Flammschutzmittel und Bestandteile von Parfümen, schätzt Gobas.

Mit seinen Bedenken steht er nicht allein: "Hier leuchtet in der Tat ein rotes Warnlicht auf und mahnt uns zu mehr Aufmerksamkeit", beurteilt auch der Ökotoxikologe Lawrence Burkhard von der US-Umweltschutzbehörde die neuen Befunde.

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