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Polargebiete: Nordpol im Dunst

So abgelegen die Arktis auch sein mag, sie ist nicht gefeit vor dem Import von Schmutzpartikel aus dem Süden. Wer Prognosen für die Zukunft dieses empfindlichen Lebensraumes wagen will, muss daher wissen, woher diese Belastung kommt und was sie anrichtet. Doch vieles davon liegt noch im Dunst verborgen.
Dunst über der Arktis
Reines Weiß, so weit das Auge reicht – diese Vorstellung dürften viele Menschen vom Nordpol haben. Doch schon 1883 bemerkten Forscher, dass die Luft über der Arktis getrübt und der Schnee verdreckt erschien. Eine ungewöhnliche Beobachtung für ein derart einsames Gebiet, dem jegliche Verschmutzung fremd sein sollte. In den 1950er Jahren schließlich berichteten Piloten regelmäßig von Dunst, wenn sie über die nordamerikanischen Polargebiete flogen. Aber erst zwanzig Jahre später wurde klar, dass es sich dabei um Partikel handelte, die von den mittleren Breiten hierher verfrachtet wurden. Die wenigen Emissionsquellen vor Ort – wie vulkanische Ausgasungen in Alaska und Kamtschatka sowie Abgase aus lokaler Industrie, Siedlungen und Schiffsverkehr – reichten bei weitem nicht aus, um die Aerosolkonzentrationen zu erklären.

Und obwohl inzwischen in vielen Industrieländern Emissionsvorschriften den Ausstoß dieser Partikel begrenzen konnten, bleibt der arktische Dunst ein Umweltproblem. Am stärksten ausgeprägt zeigt sich das Phänomen im späten Winter und beginnenden Frühjahr, es ist aber das ganze Jahr über vorhanden. Der Schleier besteht, so fassen Kathy Law von der Universität Pierre und Marie Curie in Paris und Andreas Stohl vom Norwegischen Institut für Luftforschung in Kjeller den aktuellen Wissensstand zusammen, aus einem Gemisch von Sulfaten und organischen Partikeln sowie, zu geringeren Anteilen, aus Ammonium, Nitrat, Kohlenstoffteilchen (black carbon) und Staubaerosolen [1]. Er bringt außerdem zahlreiche Ozonvorläufer wie Stickoxide (NOx) und flüchtige organische Substanzen (volatile organic compounds, VOC) mit.

Dabei trägt der Nordpol eine Art Schutzglocke über sich: Stellt man sich Flächen gleicher Temperatur vor, wölben sich diese über dem eiskalten Kern im Zentrum auf und schirmen das Innere durch die arktische Front von der restlichen Atmosphäre des Planeten ab. Von Süden herantransportierte, wärmere und meist auch feuchtere Luft steigt daher in den hohen Breiten in die mittleren und oberen Troposphärenschichten auf – nur selbst sehr kalte Luftmassen können in Zeiträumen von Tagen bis wenige Wochen Schmutzpartikel in diese Glocke eintragen. Da diese "Kuppel" über Eurasien bis zum 40. Breitengrad reichen kann, stammen die meisten Aerosole aus diesem Raum. Grönland allerdings, durch seine gebirgige Landschaft, kämmt quasi noch Partikel aus den aufsteigenden Luftmassen aus und ist dadurch zudem betroffen vom Ferntransport aus Asien und Nordamerika. Die Zirkulation ändert sich dabei mit der Jahreszeit: Während die Luftmassen im Winter vorwiegend vom nördlichen Eurasien über die Arktis in Richtung Nordamerika strömen, geht es im Sommer vom Nordatlantik über den Pol zum Nordpazifik – und das nur halb so schnell. Die geringere Geschwindigkeit und effizientere Abbauprozesse halten daher im Sommerhalbjahr die Verschmutzung gering; gleichzeitig nimmt aber die Bedeutung lokaler Emissionsquellen zu.

Sommersmog im Arktisfrühling

Dunst über der Arktis | Das Satellitenbild vom 5. Juli 2004 zeigt, wie dicker Rauch aus Waldbränden (rote Punkte) in die kanadische Arktis vordringt.
Die genannten Ozonvorläufer sorgen, wie ihr Name schon vermuten lässt, für die Bildung von Ozon. Na und, mag mancher denken, was macht das schon in diesen abgelegenen Gegenden. Aber die Folgen sind gravierend: Klimasimulationen machen troposphärisches Ozon für ein halbes Grad Temperaturanstieg im arktischen Winter und Frühjahr verantwortlich – das sind immerhin etwa dreißig Prozent des beobachteten Trends. Denn das Gas beeinflusst den Strahlungshaushalt in den Eisgebieten, indem im trockenen Winter mehr Infrarotstrahlung absorbiert wird. Eine entsprechende Erwärmung und kleinere sowie früher schmelzende Schneeflächen verringern ihrerseits die Albedo, also die Rückstrahlung der Erdoberfläche – und heizen damit der Region weiter ein.

Hauptquelle des Ozons sind die flüchtigen organischen Substanzen: Werden sie oxidiert, entsteht Peroxyacetylnitrat (PAN), das bei steigenden Frühjahrstemperaturen die Ozonbildung aus Stickoxiden ankurbelt. Zersetzt wird das unwillkommene Gas unter anderem durch Bromoxide. Das Halogen stammt aus dem Meerwasser, doch wie genau es als reaktive Spezies in die Atmosphäre gelangt, ist noch unklar – wie so vieles andere in diesem System. Beispielsweise die Ozonkonzentrationen im Sommer: Welchen Einfluss nehmen hier Waldbrände, die durch den starken Eintrag von Stickoxiden die Ozonherstellung begünstigen müssten? Und welche Mengen NOx liefert der erst kürzlich entdeckte Prozess, bei dem Nitrat in Schnee fotolytisch gespalten wird?

Strahlungsdimmer

Schlechte Fernsicht auf Spitzbergen | Normalerweise bietet sich dieser Blick von den Zeppelin-Bergen auf Spitzbergen (oben). Im Mai 2006 jedoch hing eine Dunstglocke über der Insel.
Im Strahlungshaushalt mischen auch die schwarzen Kohlenstoffteilchen mit. Sie absorbieren einfallendes Sonnenlicht, das vielfach gestreut und reflektiert den Dunst mehrfach durchquert. Als dunkler Schmutz abgelagert, verringern sie die Albedo weiter – und zwar keineswegs vernachlässigbar. Ihr Einfluss ist womöglich sogar größer als der von Kohlendioxid. Noch streiten sich Wissenschaftler, welche Quelle hauptsächlich den Dreck in die Arktis bringt. Die Emissonszunahme in Teilen Asiens könnte zwar entsprechende Massen liefern, doch spricht der starke Temperaturunterschied insbesondere im Winter gegen einen direkten Eintrag in die Arktis. Vielleicht sind daher doch russische Gebiete die ergiebigsten Verursacher. Im Sommer gelangen dafür überwiegend Rußteilchen aus Bränden in die Polargebiete; im Sommer 2006 sorgten landwirtschaftliche Feuer in Osteuropa für die bislang höchsten Konzentrationen an Luftschadstoffen an der Zeppelin-Station auf Spitzbergen, verknüpft mit massiven Sichtbehinderungen durch den Dunst.

Und auch indirekt wirken die Partikel auf den Strahlungshaushalt: indem sie die mikrophysikalischen Eigenschaften von Wolken verändern. Bekanntermaßen verursachen Aerosole mehr, aber dafür kleinere Tropfen, was seinerseits die Albedo erhöht. Auch können sie die Lebenszeit von Wolken verlängern und gleichzeitig die Niederschläge verzögern. Diesem verstärkten Rückstrahlungseffekt wirkt jedoch entgegen, dass die Teilchen andererseits das Emissionsvermögen mancher Wolken im Bereich langwelliger Strahlung beeinflussen – die Gebilde geben mehr Wärme ab. Das führt wiederum zu früher und stärker steigenden Temperaturen mit Schneeschmelze, die sich über positive Rückkopplungen immer weiter ankurbeln.

Was bringt die Zukunft?

Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, dass die Arktis ab Mitte des Jahrhunderts im Sommer eisfrei bleibt, wird sich das tiefgreifend auf die Verteilung der Spurengase und Aerosole im Gebiet auswirken. Die dann offenen Meeresbereiche könnten beispielsweise den Dimethylsulfid-Eintrag in die Atmosphäre verstärken – das natürlicherweise entstehende Gas lieferte Material für weitere Sulfataerosole, die dann als saurer Niederschlag ein weiteres Problem darstellt. Andererseits würden sich die Freisetzung von Halogenen und Stickoxiden aus Eis und Schnee wahrscheinlich verringern. Eine durchgängige Schiffspassage im Eismeer dagegen dürfte die lokale Belastung durch Ruß-Abgase verschärfen und das Schmelzen der Eisreste weiter fördern. Simulationen gehen von der zwei- bis dreifachen Menge an Ozon durch Stickoxide aus Schiffsdiesel aus, berichten Law und Stohl. Nicht vernachlässigen sollte man zudem die Folgen einer womöglich intensiveren Ölexploration in dieser Region.

Mit der Erwärmung der höheren Breiten wird auch die Zahl der Brände steigen, die ihre Rückstände in die Arktis befördern – wiederum mit entsprechender Rückkopplung. Dieses beschleunigte Einheizen in der Arktis – sie hat sich bisher weit stärker erwärmt als jede andere Region des Planeten – könnte ihr letztendlich sogar ihren Schutzschild, die arktische Front, rauben: Je mehr die Temperaturunterschiede schwinden, desto leichter können Dreck herantransportierende Luftmassen in das entlegene Gebiet eindringen. Logischerweise fordern die Autoren daher eine Begrenzung des Treibhausgas-Ausstoßes und Maßnahmen zur Verringerung der Aerosol-Freisetzung. Gerade die Arktis würde aber auch davon profitieren, lokale Belastungen möglichst zu beschränken, so die Forscher weiter – ein Anstieg der Ausstoßes von Kohlenstoffteilchen und Ozonvorläufern müsse daher dringend vermieden werden.

Oder schon ein Problem der Vergangenheit?

Da machen die Zahlen von Michael Mishchenko und seinen Kollegen zunächst hoffen. Die Wissenschaftler vom Goddard Institute for Space Studies hatten Daten zur "Durchsichtigkeit" der Atmosphäre seit Beginn der 1980er Jahre ausgewertet, aufgezeichnet von Wettersatelliten. Sie zeigen seit den 1990er Jahren eine "Aufhellung", also eine geringere Aerosolbelastung, während die Ausbrüche des El Chichon im März 1982 und des Pinatubo im Juni 1991 als deutliche Peaks zu erkennen sind [2]. Die damit verbundene verstärkte Einstrahlung könnte vielleicht, so die Forscher, den überraschend starken Temperaturanstieg im letzten Jahrzehnt erklären.

Doch regen sich Zweifel an den Daten: Die Instrumente wurden nicht dafür entwickelt, die Aerosolkonzentration genau zu erfassen und wären auch nicht in der Lage, Änderungen im Reflexionsverhalten der Teilchen zu berücksichtigen. Auch fehlt es am Abgleich der Daten verschiedener Instrumente untereinander. Alles in allem wäre es eine frohe Botschaft – doch ob sie stimmt? Sarah Doherty von der Universität von Washington in Seattle bleibt skeptisch: "Es gibt zu viele Unsicherheiten."

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