Ohne Eizelle und Uterus: Embryonen aus Stammzellen nachgebaut
Ein Embryo wächst aus einer einzelnen Zelle heran – diese Grundregel haben Fachleute nun außer Kraft gesetzt. Einer Arbeitsgruppe um Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge ist es gelungen, mehrere Typen von Stammzellen zu Embryo-Attrappen zusammenzusetzen, die sich in einer Nährlösung rund acht Tage lang natürlich entwickelten. Das entspricht knapp der Hälfte der natürlichen Schwangerschaftsdauer einer Maus. Laut der jetzt in »Nature« veröffentlichten Arbeit entstanden dabei auch Vorläufer der Organe, darunter des Rückenmarks und verschiedener Hirnregionen. Die Arbeit zeigt, dass sich embryoähnliche Strukturen im Labor künstlich erzeugen und am Leben erhalten lassen, ohne dass eine Eizelle oder ein Uterus beteiligt ist.
»Die Entdeckung erinnert an so spektakuläre wissenschaftliche Fortschritte wie die Geburt des Klonschafs Dolly, das wir 1997 kennen gelernt haben, bei der ein Embryo aus dem Kern einer Körperzelle rekonstruiert wurde«, sagte zum Beispiel Lluís Montoliu vom spanischen Nationalen Zentrum für Biotechnologie in Madrid gegenüber dem britischen Science Media Center. Neben der Bedeutung für die Grundlagenforschung hat die Entwicklung auch weit reichende Konsequenzen für biomedizinische Anwendungen. Da es sich bei den Attrappen nicht um echte Embryonen handelt, könnten sie zum Beispiel bestimmte Tierversuche unnötig machen. Zudem spekulieren Fachleute, dass vergleichbare Konstrukte aus menschlichen Stammzellen Forschung und Anwendungen ermöglichen könnten, die bisher aus ethischen Gründen stark eingeschränkt oder ganz verboten sind.
Die Studie bestätigt die Ergebnisse einer sehr ähnlichen, bereits am 1. August erschienenen Studie einer Arbeitsgruppe um Jacob H. Hanna vom Weizmann-Institut in Haifa, die ebenfalls Stammzell-Gemeinschaften außerhalb des Körpers zu embryoähnlichen Gebilden heranwachsen ließ. Die neue Technik zeigt, dass etliche bisher für die Entwicklung eines Embryos als entscheidend geltende Einflüsse wohl eine geringere Rolle spielen als gedacht. So galt die Anordnung von Zellstrukturen in der Eizelle, die Polarität, bisher als wichtiger Faktor, der die Entwicklung zum Embryo steuert. Ebenso scheinen mütterliche Biomoleküle, also Proteine oder RNA – und sogar die Plazenta – prinzipiell verzichtbar zu sein.
Synthetische Embryonen im künstlichen Uterus
Die synthetischen Embryonen unterscheiden sich grundsätzlich von früher erzeugten embryoähnlichen Stammzellkolonien – vor allem auf Grund ihres hohen Entwicklungsgrads. Analysen zeigen, dass außer der Plazenta alle für einen Embryo typischen Zelltypen vertreten sind. Entscheidend für die Technik war ein künstlicher Uterus, den das Team um Hanna entwickelte. Mit diesem hielt es bereits 2021 erstmals Mäuseembryonen außerhalb des Körpers für mehr als die Hälfte der Dauer einer Schwangerschaft am Leben. In diesen Nährlösungen wuchsen auch die synthetischen Embryonen heran. Allerdings ist der Prozess noch extrem ineffizient. Nur ein kleiner Anteil der Stammzellklumpen schlug einen embryoähnlichen Entwicklungsweg ein – in der Arbeit von Hanna nur 0,5 Prozent. Das Team um Zernicka-Goetz gab keine Erfolgsquote an. Fachleute schätzen aber, dass sie nicht viel höher liegen wird.
Fachleute erwarten allerdings, dass mehr Erfahrung mit der Technik die Erfolgsquote steigen lässt – und sich dadurch auch biomedizinische Anwendungen erschließen lassen. So zeigte das Team um Zernicka-Goetz, dass ein inaktiviertes Gen namens Pax6 im synthetischen Embryo den gleichen Effekt hat wie in einem echten Embryo. Das ist insbesondere dann interessant, wenn es gelingt, synthetische menschliche Embryonen herzustellen, was womöglich nur eine Frage der Zeit ist. »Technisch gesehen ist die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen aus meiner Sicht gut vorstellbar«, erklärt Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin. Allerdings müsse der künstliche Uterus dafür nicht bloß einige Tage, sondern Wochen oder Monate funktionieren. Das sei eine große Herausforderung.
Wie viel Ärger macht die Technik?
Die Arbeitsgruppe um Jacob H. Hanna hat solche Versuche bereits vorgeschlagen. Mit synthetischen menschlichen Embryonen wären Versuche möglich, die an echten Embryonen aus ethischen Gründen verboten sind. Möglicherweise ließen sich auf diese Weise auch Gewebe für Transplantationen gewinnen. Sowohl die beteiligten Arbeitsgruppen als auch andere Fachleute betonen dabei, dass die synthetischen Embryonen den echten zwar ähneln, aber eben keine sind. Es sei entscheidend, »dass diese synthetischen Embryonen – wie das Mausmodell zeigt –, egal wie embryoähnlich sie aussehen, kein organismisches Potenzial haben: Sie können nicht zu einer Lebendgeburt führen«, sagt zum Beispiel Jesse Veenvliet vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik.
Allerdings ist derzeit sowohl der ethische als auch der rechtliche Status der synthetischen Embryonen noch völlig unklar. So umgeht die von Hanna entwickelte Nährlösungstechnik etwa eine wichtige Einschränkung in der Embryonenforschung: »Die Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) erlauben zwar die Herstellung synthetischer menschlicher Embryonen, verbieten aber deren Übertragung auf die Gebärmutter, was immer als die wichtigste Barriere zur Verhinderung von höchst unethischen Experimenten galt«, erklärt Boiani. »Wie wir in diesen beiden Mäusestudien sehen, ist die Übertragung auf die Gebärmutter unnötig.«
Nicht zuletzt ist keineswegs klar, ob die künstlich hergestellten Embryonen wirklich Attrappen sind – oder womöglich dank weiterer technischer Fortschritte irgendwann auch das Potenzial haben könnten, zu Lebendgeburten zu führen. Dann wären sie ethisch nicht anders zu behandeln als echte Embryonen. Doch bis zu den ersten menschlichen synthetischen Embryonen dürfte es ohnehin noch eine Weile dauern und das nicht nur wegen der technischen und ethischen Hürden. Bisher verbietet die so genannte 14-Tage-Regel, menschliche Embryonen länger als diese zwei Wochen im Labor zu kultivieren – viel zu kurz, um die aktuellen Versuche an Mäusen mit menschlichen Stammzellen nachzuahmen.
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