Jerusalem: Pilgerstraße aus der Zeit von Pontius Pilatus
Pontius Pilatus gehört zu den bekanntesten biblischen Berühmtheiten. Der römische Präfekt, der unter Kaiser Tiberius zwischen 26 und 37 n. Chr. Jerusalem und die Provinz Judäa verwaltete, hatte das Todesurteil über Jesus von Nazareth ausgesprochen. Wie nun die beiden Archäologen Nahshon Szanton und Joe Uziel von der israelischen Altertumsbehörde und der Tel Aviv University herausfanden, hatte der hohe römische Beamte auch als Bauherr in Jerusalem gewirkt. Der Präfekt ließ einen wichtigen Pilgerweg zu einer Straße ausbauen, die vom Teich von Siloah am südlichen Stadttor zum Tempelberg hinaufführte. Das ergaben Grabungen, bei denen mehr als 100 Münzen aus der Amtszeit des Pilatus ans Licht kamen. Die Ergebnisse sind im Fachjournal »Tel Aviv – Journal of the Institute of Archaeology of Tel Aviv University« erschienen.
Teile der zirka 600 Meter langen und 8 Meter breiten Pilgerstraße haben erstmals 1894 britische Archäologen frei gelegt. Seither ist der mit Kalksteinplatten gepflasterte Weg, der in großen Stufen den Hang hinaufführt, an verschiedenen Stellen ausgegraben worden – zuletzt von einem Team unter der Leitung von Szanton und Uziel. Sie haben aus den Bau- und Füllschichten unter dem Pflaster römische Münzen geborgen, die demnach während der Bauzeit der Straße in den Boden gelangt waren. Die jüngsten Stücke gehören zu einer Münzemission, die zwischen 17 und 31 n. Chr. geprägt wurde. Einige dieser Geldstücke können die Forscher recht genau auf das Jahr 30 oder 31 n. Chr. datieren. Das heißt, die Münzen liefern einen »terminus post quem« für die Erbauung der Prachtstraße. Diese muss also nach 30 oder 31 n. Chr. fertig gestellt worden sein. In dieser Zeit hat Pontius Pilatus von Jerusalem aus als Präfekt der Provinz Judäa gewirkt.
Für mehr römische Grandeur in Jerusalem?
Die israelischen Archäologen sind zudem davon überzeugt, dass die Straße nicht viel später nach Pilatus erbaut worden sein kann. Das ergab ein Negativbefund: Etwa zehn Jahre nach der Münzserie von 17 bis 31 n. Chr. kursierten in Jerusalem vor allem Münzen, die Herodes Agrippa I. hatte prägen lassen. Er war vom römischen Kaiser um 37 n. Chr. als Tetrarch und ab 41 n. Chr. als König von Judäa eingesetzt worden. Die von Agrippa I. geprägten Münzen waren in Jerusalem stark in Umlauf gewesen. Von diesen Münzen kam jedoch keine einzige unter dem Straßenpflaster ans Licht.
Warum Pontius Pilatus die Straße ausbauen ließ, darüber können die Forscher bislang nur spekulieren. »Womöglich wollte Pilatus die Bewohner Jerusalems besänftigen oder Jerusalem mehr der römischen Welt anpassen oder durch solche großen Bauprojekte sein Ansehen erhöhen«, vermutet Nahshon Szanton. Die Forscher schätzen, dass für die Straße vom Siloah-Teich zum Tempelberg ungefähr 10 000 Tonnen Kalkstein verbaut wurden. Von Pilatus ist durch den jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus (37-100 n. Chr.) überliefert, dass er für Jerusalem auch einen Aquädukt errichten ließ.
Über dem Straßenpflaster lag eine ausgedehnte Schuttschicht, in der die Ausgräber Pfeilspitzen, Schleudersteine und verbrannte Bäume dokumentierten. Auch in dieser Schicht stießen die Archäologen auf Münzen: Die jüngsten Stücke stammen aus der Zeit des ersten jüdischen Aufstands im Jahr 66 n. Chr. Die Pilgerstraße wurde schließlich unter Häuserschutt begraben – 70 n. Chr. hatten die Römer Jerusalem erobert und die Stadt samt dem zweiten jüdischen Tempel auf dem Tempelberg zerstört.
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