Asteroid Bennu: Proben aus dem Weltraum offenbaren Bausteine des Lebens
![In einem Behältnis, in das ein Teil des Probenmaterials von Asteroid Bennu überführt wurde, lassen sich feinste Körnchen erkennen In einem Behältnis, in das ein Teil des Probenmaterials von Asteroid Bennu überführt wurde, lassen sich feinste Körnchen erkennen](https://static.spektrum.de/fm/912/f2000x857/jsc2024e023025_orig_9900.jpg)
Die Wüsten in den USA sind seit langem berüchtigte Orte für vermeintliche Landungen von Aliens. Im September 2023 stürzte in Utah allerdings ein tatsächlicher außerirdischer Botschafter ab. Nun lag hier, auf kargem Wüstenboden, eine Kapsel aus dem Weltall, etwas größer als ein Kugelgrill. Ihre Fracht: Mehr als 120 Gramm unberührtes Gesteinsmaterial aus der Anfangsphase des Sonnensystems. Im Jahr 2020 hatte es die US-Raumsonde OSIRIS-REx der Oberfläche des Asteroiden Bennu entnommen und drei Jahre später auf die Erde abgeworfen. Mit dem kohleschwarzen Geröll, so die Hoffnung, würden sich alte Menschheitsfragen etwas besser beantworten lassen. Fragen danach, wie das Sonnensystem entstanden ist, mit ihm die Erde und das Leben, und ob wir damit auf unserem Planeten allein sind.
Mit entsprechend großen Erwartungen folgten nach der Bergung der Kapsel erste Analysen in hochspezialisierten Laboren. Vorläufige Resultate faszinierten die Beteiligten schon zu Beginn des Jahres 2024, ein Jahr später bestätigen eingehendere Untersuchungen den enormen wissenschaftlichen Wert der Proben. Die am 29. Januar 2025 veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass sich selbst in weit entfernten, kalten Regionen im frühen Sonnensystem erstaunlich vielfältige chemische Vorgänge abspielten und dass sie zahlreiche Bausteine des Lebens entstehen ließen.
Zu jener Zeit, vor etwa 4,5 Milliarden Jahren, stießen zahllose Himmelskörper in einem chaotischen protoplanetaren Billardspiel immer wieder zusammen, zerschmetterten einander, verklumpten erneut. Als eines dieser Trümmerteile ging der Asteroid Bennu hervor, von dem die Proben stammen. Bennu wiederum entsprang einem größeren Himmelskörper, der irgendwann Opfer der turbulenten Massencrashs wurde. Doch Zeugnisse, wie es dort aussah, überdauerten auf Bennu – es ist Rohmaterial aus der Jugend des Sonnensystems, konserviert in der Kälte des Alls.
Offenbar enthielt Bennus Mutterkörper reichlich Wasser, wie die erste Publikation im Fachmagazin »Nature« beschreibt. Es verdunstete zum Teil und hinterließ salzigen Schlamm. In diesem befanden sich laut der zweiten in »Nature Astronomy« erschienenen Veröffentlichung Tausende von organischen Verbindungen, darunter 14 der 20 Aminosäuren, die in irdischen Organismen vorkommen, sowie alle Nukleinbasen, aus denen sich unsere DNA und RNA zusammensetzen. Das heißt: Die grundlegenden Moleküle des Lebens existierten lange vor der Erde.
![Die gelandete Rückkehrkapsel in der Wüste von Utah Die gelandete Rückkehrkapsel in der Wüste von Utah](https://static.spektrum.de/fm/912/f2000/53210429686_51262be46d_o.jpg)
Der Erstautor der »Nature«-Studie, Meteoritenexperte Timothy McCoy vom National Museum of Natural History in Washington, D.C., war schon an den ersten Analysen der Bennu-Proben beteiligt, die noch im September 2023 begannen. Bereits damals offenbarten sich zahlreiche Minerale, von denen heute klar ist, dass sie die Rückstände von verdunsteten Wasservorkommen sind.
»Die Entdeckungen zeigen nicht nur, dass die Zutaten für die ersten Schritte zum Leben vorhanden waren, sondern dass es für solche Schritte auch die passende Umgebung gab«Timothy McCoy, Meteoritenexperte
Allerdings war der ursprüngliche Himmelskörper, von dem Bennu stammt, wohl nicht von Meeren bedeckt wie die Erde. »Zwar war es sicherlich eine nasse Welt«, ordnet McCoy gegenüber »Spektrum« seine Funde ein, »aber vermutlich handelte es sich eher um eine schlammige Welt als um eine, die auf oder unter ihrer Oberfläche Ozeane beherbergte.« McCoy zufolge seien die Wasservorkommen wohl nur wenige Meter dick gewesen und hätten sich nicht sehr lange gehalten. Dennoch: »Die Entdeckung von Tonmineralen, Phosphaten, Salzen und der Nachweis einer natriumreichen Sole zeigen nicht nur, dass die Zutaten für die ersten Schritte zum Leben vorhanden waren, sondern dass es für solche Schritte auch die passende Umgebung gab.«
Überwältigend vielfältig
Wie nah kam die salzreiche Lake auf Bennus Mutterkörper einer Ursuppe, in der Leben entstehen konnte? Das untersucht der NASA-Wissenschaftler Daniel Glavin. Er ist Erstautor der zweiten, gleichzeitig in »Nature Astronomy« erschienenen Veröffentlichung. Glavin leitet das etwa 60-köpfige internationale Analyseteam der OSIRIS-REx-Mission, das im Probenmaterial nach organischen Verbindungen fahndet. Es fand in Bennu den Großteil der Aminosäuren sowie alle Nukleinbasen, die für irdisches Leben nötig sind. Zwar seien solche Verbindungen zuvor schon in Meteoriten auf der Erde identifiziert worden, erklärt Glavin auf Anfrage von »Spektrum«, »doch im Gegensatz zu Meteoriten waren die unberührten Proben von Bennu beim Eintritt in die Atmosphäre vor Hitze geschützt und niemals irdischer Biologie ausgesetzt, so dass wir den Ergebnissen viel besser vertrauen können.«
»Die Chancen sind gestiegen, dass Leben noch anderswo jenseits der Erde hervorgegangen ist«Daniel Glavin, Astrobiologe
Laut einigen Theorien könnten Asteroiden die Bausteine des frühen Lebens auf die Erde gebracht und somit dessen Saat gelegt haben. Solche Vorstellungen sieht Glavin mit dem Fund der organischen Moleküle bestärkt. Mehr noch: Glavin zufolge sind mit dem Beweis, dass die chemischen Bausteine im frühen Sonnensystem weit verbreitet waren, »die Chancen dafür gestiegen, dass Leben noch anderswo jenseits der Erde hervorgegangen ist«.
Die Proben von Bennu wurden – und werden weiterhin – mit unterschiedlichsten, modernsten Methoden in Laboren auf der ganzen Welt analysiert. Eines davon ist das Schwiete Cosmochemisty Laboratory an der Goethe-Universität Frankfurt. Hier steht ein leistungsfähiges Transmissionselektronenmikroskop (TEM), mit dem sich feinste Strukturen hochgenau unter die elektronische Lupe nehmen lassen; es hat als bisher einziges TEM-Labor außerhalb der USA dafür eine kleine Menge der Bennu-Probe erhalten. Hier arbeitet die Mineralogin Sheri Singerling, Mitautorin der »Nature«-Studie. »TEM eignet sich besonders gut dafür, die Interaktionen zwischen Wasser und Gestein zu untersuchen, denn vieles davon schlägt sich auf der Nanometerskala nieder«, erklärt sie. Und unterstreicht, dass ihre Arbeit nur ein Puzzleteil liefert: »Je mehr Fachleute mit unterschiedlicher Expertise diese Proben begutachten können, desto besser.«
Ein Bild der Frühzeit des Sonnensystems
Was können Singerlings Analysen zusammen mit den anderen über den Mutterkörper von Bennu verraten, also jene schlammige Welt, die irgendwann vernichtet wurde? Im Vergleich zu Bennu, der aus vielen Bruchstücken zusammengewachsen ist, sei sein Mutterkörper größer und dichter gewesen, bilanziert Singerling. Bei seiner Zerstörung hätte er flüchtige Bestandteile wie Flüssigkeiten verloren, aber gleichzeitig wären womöglich tiefer gelegene Teile freigelegt worden. In Bennu verbanden sich solche Trümmer. »Wenn wir heute die Oberfläche von Bennu betrachten, könnten wir Material sehen, das sich weit innerhalb des Mutterkörpers gebildet hat.«
![Asteroid Bennu im Porträt Asteroid Bennu im Porträt](https://static.spektrum.de/fm/912/f2000/full__1190x1125_.jpg)
Mittlerweile umrundet Bennu in einem erdnahen Abstand die Sonne, doch der ursprüngliche Himmelskörper entstand viel weiter draußen. Doch wie weit? »Es fehlen bestimmte, bei Meteoriten übliche Merkmale, wie Chondren oder kalzium- und aluminiumreiche Einschlüsse«, erläutert Singerling. Solche Strukturen entstehen bei hohen Temperaturen, insbesondere in der Nähe der Sonne. »Das sowie die Isotope und organischen Stoffe in Bennu deuten darauf hin, dass der Mutterkörper aus dem äußeren Sonnensystem stammt.« Auch Timothy McCoy verortet Bennus Ursprung in den weit entfernten Regionen des frühen Sonnensystems. Der Mutterkörper hätte sich mit Sicherheit dort bilden müssen, wo Eis stabil war, »also wahrscheinlich im heutigen Abstand von Jupiter oder darüber hinaus«. Ebenso sei das reichliche Vorkommen von Ammoniak in den Proben »ein weiterer Beweis für die Entstehung in den kalten, äußeren Bereichen unseres Sonnensystems«.
Exoten auf der Erde, Alltag im All
Die Proben von Bennu sind gleich in mehrerlei Hinsicht wertvoller als all die Meteoriten, die seit Jahrzehnten auf der Erdoberfläche gefunden und untersucht werden. Erstens waren sie keinen Umwelteinflüssen unterworfen. Zweitens wissen wir genau, woher sie kommen – oder zumindest, wie der Asteroid, von dem wir sie entnommen haben, heute aussieht. Und drittens sind sie auf eine weitere Art außergewöhnlich, wie Singerling erläutert: »Wir haben nun die Ergebnisse von zwei Missionen zu ursprünglichen kohlenstoffreichen Himmelskörpern, Hayabusa-2 zum Asteroiden Ryugu und OSIRIS-REx zu Bennu.« Die japanische Sonde Hayabusa-2 hat im Jahr 2020 immerhin 5,5 Gramm Asteroidenmaterial zur Erde gebracht. Beide Proben seien einander bemerkenswert ähnlich und glichen noch am ehesten Meteoriten, die CI-Chondriten genannt werden. »Diese sind in Meteoritensammlungen auf der Erde äußerst selten«, sagt Singerling. Das poröse Gestein übersteht den feurigen Ritt durch die Erdatmosphäre kaum. »Das zeigt uns, dass unsere Sammlungen systematisch verzerrt sind und dass diese Art von Material im Weltraum häufiger vorkommt«, bilanziert Singerling. Auch deswegen seien solche Missionen zu Asteroiden unverzichtbar.
Unterdessen gehen die Analysen des auf Bennu gesammelten Materials auch nach den beiden Veröffentlichungen vom Januar 2025 weiter – sie nehmen jetzt sogar erst richtig Fahrt auf. »Wir stehen noch ganz am Anfang«, betont Glavin gegenüber »Spektrum«. Sein Team untersuche derzeit eine viel größere, etwa sechs Gramm schwere Probe von Bennu. »Sie wird es uns ermöglichen, nach anderen Arten organischer Moleküle zu suchen, die eventuell in geringeren Mengen vorhanden sind, wie Zucker und komplexere organische Polymere.« Das könnten Peptide sein, das heißt kurze Ketten von miteinander verbundenen Aminosäuren, »und vielleicht sogar Nukleotide ähnlich wie in DNA und RNA«. Glavins Ziel ist es, eine präzisere Vorstellung davon zu bekommen, wie sich die organischen Moleküle im Mutterkörper von Bennu gebildet haben.
Solche Studien zeichnen einerseits ein detaillierteres Bild davon, wie im frühen Sonnensystem die Moleküle herangewachsen sind, die für die Entstehung von Leben entscheidend waren. Andererseits zeigen sie, wo überall die passenden Bedingungen dafür herrschten. Und diese scheinen, das lässt sich jetzt schon sagen, viel häufiger aufzutreten als zuvor gedacht, weit über die Erde hinaus. Für McCoy ist deshalb die größte offene Frage, »wie sich diese uralte Salzlösung mit heutigen Solen vergleichen lässt, die auf Eiskörpern des äußeren Sonnensystems vorkommen, wie dem Saturnmond Enceladus«. Sprich: Lagern in unserer heutigen planetaren Nachbarschaft noch überall Baukästen des Lebens, haben sich daraus mancherorts unter günstigen Voraussetzungen über Jahrmilliarden womöglich außerirdische Organismen zusammengesetzt, analog zu denen auf der Erde? »Diese Frage wird sich erst dann beantworten lassen, wenn wir diese Orte mit Instrumenten besuchen und Proben nehmen können.«
Anhand von Bennus Bröckchen werden sich in Laboren also noch über viele Jahre weitere unbekannte Kapitel aufdecken lassen – aus der Geschichte des Sonnensystems, aus der Geschichte des Lebens selbst. Ebenso klar ist aber: Vieles wird sich erst mit neuen Missionen zu weiteren Himmelskörpern offenbaren. »Jede Erkenntnis wirft weitere Fragen auf«, stellt Singerling fest. »Das ist gerade das Schöne an der Wissenschaft und ihrer unermüdlichen Suche nach Antworten.«
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