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News: Reifes Alter

Nachdem die Dinosaurier verschwunden waren, ergriffen kleine, auf Bäumen lebende Wesen ihre Chance und entwickelten sich zu unseren Vorfahren. So lautet die gängige Hypothese zum Ursprung der Primaten. Falsch, sagt jetzt eine Wissenschaftlergruppe. Primaten hätten bereits 20 Millionen Jahre früher auf der Erde gelebt - zusammen mit den Dinosauriern.
"Die bisherigen Annahmen zur Evolution der Primaten und des Menschen sind falsch, weil die Paläontologen zu stark den bisher bekannten Fossilien vertraut haben." Eine ziemlich provokante Behauptung, die Robert Martin vom Field Museum in Chicago aufstellt. Vermutlich wird er damit nicht auf die Gegenliebe seiner Kollegen aus der Paläontologie stoßen.

Die gängige Lehrmeinung geht von folgendem Szenario aus: Der Faunenschnitt an der Wende von der Kreide zum Tertiär vor 65 Millionen Jahren – als auch die Saurier das Feld räumen mussten – ließ neue ökologische Nischen für neue Arten frei. So entstand damals aus kleinen, baumlebenden Insektenfresser die Säugetierordnung der Primaten, die sich nach und nach in Halbaffen, Affen, Menschenaffen und schließlich Menschen aufspaltete. Gestützt wird diese Hypothese auf die ersten fossilen Spuren von Primaten, die nicht viel älter als 55 Millionen Jahre sind.

Und genau das kritisiert Martin: "Das funktioniert nicht, weil nur sehr wenige Primatenfossilien überhaupt gefunden worden sind. Etliche dieser Fossilien bestehen nur aus wenigen Zähnen oder Knochenfragmenten, und von vielen Arten kennen wir nur ein einziges fossiles Exemplar. Wir haben von nur etwa fünf Prozent aller ausgestorbenen Primaten fossile Belege. Paläontologen versuchen also ein 1000-Teile-Puzzle aus nur 50 Teile zu rekonstruieren."

Mit einem statistischen Ansatz versuchte Martin zusammen mit Simon Tavaré von der University of Southern California in Los Angeles und anderen Wissenschaftlern das Alter des ersten gemeinsamen Vorfahren der Primaten abzuschätzen. Dabei berücksichtigten die Forscher die Anzahl aller bekannten fossilen Belege in den verschiedenen Schichten und gingen von einer durchschnittlichen Lebenszeit einer Art von 2,5 Millionen Jahre aus. Demnach stehen den heute lebenden 235 Primatenarten etwa 8000 bis 9000 ausgestorbene Arten gegenüber, von denen der Wissenschaft bisher nur 474 bekannt sind. Mit diesen Daten fütterten sie ihren Computer, der daraufhin für die erste Primatenart ein Alter von 85 Millionen Jahren errechnete.

Diese Angabe, falls sie denn stimmt, dürfte einiges durcheinander werfen. Damit wird der Ursprung unserer Vorfahren weit in die Kreidezeit zurück verlegt – als Tyrannosaurus rex noch seine Beutezüge unternahm. Damals war ein Großteil des Festlandes noch in dem Riesenkontinent Gondwanaland zusammengefasst, der erst später zu den heutigen Erdteilen Südamerika und Afrika zerbrach. Und genau hier, in den tropischen Regionen des Gondwanalandes, sehen die Wissenschaftler den Ursprungsort der Primaten. Nachdem Gondwanaland auseinander fiel, so ihre Annahme, konnten sich die Primaten auf der ganzen Erde verbreiten.

Auch der Mensch soll demnach älter als angenommen sein: Nach den Berechnungen der Forscher tauchten die ersten menschenähnlichen Wesen nicht vor fünf, sondern bereits vor acht Millionen Jahren auf.

Doch die Frage bleibt: Warum gibt es keine Primatenfossilien aus der Kreide? Tavaré und seine Kollegen erklären dies mit schlechten Fossilierunsgbedingungen in den südlichen Breiten des Gondwanalandes. Außerdem wären die ersten Primaten vermutlich sehr klein, sodass Paläontologen heute nur geringe Chancen haben, geeignete Überreste zu finden.

Martin geht davon aus, dass die so genannten molekularen Uhren, die sich auf paläontologische Daten stützen, jetzt neu geeicht werden müssen: "Wir hoffen, dass unsere Arbeit dazu beiträgt, die Diskrepanzen, die zwischen vielen paläontologischen und molekularbiologischen Daten vorliegen, wieder in Einklang zu bringen – und zwar nicht nur bei Primaten, sondern auch bei anderen Organismengruppen."

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