Beziehungsprobleme: Richtig streiten
»Du bist genau wie deine Mutter!« Das sitzt. Beim ehelichen Schlagabtausch wird gerne mal unter die Gürtellinie gezielt. »Ich weiß nicht einmal mehr, wie es eigentlich losgeht«, sagt Pam über die Wortgefechte mit ihrem Mann Jim. Das Paar ist schon viele Jahre verheiratet, in letzter Zeit hat sich ihre Beziehung jedoch zusehends verschlechtert. Die ständigen Streitereien drohen ihre Ehe zu zerstören. »Ich warte regelrecht darauf, dass er eine herabsetzende Bemerkung macht, und bin jederzeit bereit, zurückzuschießen. Gut möglich, dass ich abdrücke, noch bevor er überhaupt den Mund aufmacht.«
Rund jede dritte Ehe ist nach 25 Jahren wieder geschieden, wie das Statistische Bundesamt angibt. Zuletzt ließen sich rund 150 000 Paare im Jahr scheiden, im Schnitt nach 15 Jahren Ehe – die Männer mit durchschnittlich 47, die Frauen mit 43 Jahren.
»Sind extreme negative Gefühle im Spiel, schaltet sich der Frontalkortex sozusagen aus«
Christian Roesler, Paartherapeut und Professor für klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg
Teils scheitert die Liebe am schleichenden Desinteresse, teils am großen Krach. Einer Umfrage zufolge sind die größten Streitthemen unter deutschen Paaren schlechte Angewohnheiten des Partners und unterschiedliche Auffassungen von Ordnung und Sauberkeit, gefolgt von Geldfragen, der Aufteilung der Hausarbeit und den Eltern beziehungsweise Schwiegereltern. Anlass für Zoff sind gelegentlich auch persönliche Freiräume, Kindererziehung und Kommentare beim Autofahren. Manche Paare verstricken sich darüber so sehr in gegenseitigen Vorwürfen und Anschuldigungen, dass die Liebe daran zerbricht. »Ist ein bestimmtes Level an emotionaler Erregung überschritten, schaffen die Beteiligten es nicht mehr, in rücksichtsvollen Ich-Botschaften zu sprechen oder Formulierungen wie ›immer machst du‹ oder ›nie kannst du‹ zu vermeiden«, sagt Christian Roesler, Paartherapeut und Professor für Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg. »Sind extreme negative Gefühle im Spiel, schaltet sich der Frontalkortex sozusagen aus.« Mit Vernunft und Besonnenheit ist es dann vorbei.
Die gute Nachricht für alle Hitzköpfe: Hin und wieder darf es ruhig auch mal krachen. Ganz ohne Meinungsverschiedenheiten kommt keine Beziehung aus. Denn die eigenen Bedürfnisse zu leugnen, wahrt vielleicht kurzfristig den Frieden, löst aber keine Probleme. Wer Wut stets herunterschluckt, tut noch dazu seiner Gesundheit keinen Gefallen. Ein Team um Sonja Rohrmann von der Goethe-Universität Frankfurt ließ Probanden in einem fiktiven Callcenter arbeiten. Eine Gruppe wurde gebeten, stets freundlich zu bleiben – egal in welchem Ton sich der vermeintliche Kunde am Telefon beschwerte. Die andere Gruppe sollte sich möglichst authentisch verhalten und ihren Gefühlen bei Bedarf freien Lauf lassen. Bei jenen, die ihren Unmut verbergen sollten, stieg der Blutdruck höher als bei denen, die zurückpöbeln durften.
Ähnliches fanden Psychologen der Universität Stockholm in einer Langzeitstudie heraus. Sie hatten 2755 Arbeitnehmer gefragt, wie sie gewöhnlich reagierten, wenn sie sich im Job unfair behandelt fühlten. Wer Konflikten aus dem Weg ging, hatte ein doppelt so hohes Risiko, in den darauf folgenden zehn Jahren einen Herzinfarkt zu bekommen.
Auch privat tut es nicht gut, Gefühle zurückzuhalten, wie Untersuchungen in Australien zeigten. Demnach waren beide Partner mit der Zeit weniger zufrieden mit ihrer Beziehung, wenn die Frauen angaben, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Die größte Zufriedenheit bekundeten Paare, bei denen beide Seiten einander hohe emotionale Intelligenz bescheinigten und die miteinander über Beziehungsprobleme diskutierten.
Konflikte sollte man also ansprechen und austragen. Nur: Wie kommt man dabei zu einem guten Ergebnis?
Mit dem »Konfliktlösungsstil-Inventar für Paare« haben Forscher ein Instrument entwickelt, das den Streitstil erfasst. Anhand von 32 Fragen lassen sich vier typische Stile unterscheiden. Der kämpferische Konfliktstil zeigt sich in persönlichen Angriffen und Beleidigungen, die man später bereut. Wer dagegen auf Rückzug setzt, vermeidet die Konfrontation und straft den Partner mit Schweigen. Und wer allzu nachgiebig ist, gibt die eigenen Interessen widerstandslos auf. Die besten Chancen haben Paare, die einen positiven Konfliktstil pflegen, das heißt: die Auseinandersetzung nicht scheuen, in Ruhe über das Problem reden und Kompromisse eingehen. Sie sind langfristig zufriedener. Der Grundstein für den Umgang mit Konflikten wird schon in der Kindheit gelegt. Eltern sind in der Regel unsere ersten Vorbilder für partnerschaftliches Verhalten, und die Kinder übernehmen unbewusst oft auch deren Streitmuster.
Die Gottman-Konstante
Ein Pionier der Paarforschung ist der US-Psychologe und Mathematiker John Gottman von der University of Washington in Seattle. Er untersuchte 40 Jahre lang die Kommunikation von Männern und Frauen. Sein Ziel: eine Formel für die Liebe zu finden. Dem rätselhaften Gefühl versuchte er dabei mit allerlei Gerätschaften auf die Spur zu kommen, die den Schweiß oder den Puls maßen. Um Paare besser beobachten zu können, stattete er sogar eine ganze Wohnung mit Kameras aus. Von den Daten erhoffte er sich Hinweise darauf, was glückliche von unglücklichen Beziehungen unterscheidet. Wer würde Schluss machen, wer noch Jahre später zusammen sein?
Gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Levenson lud er im Jahr 1980 verheiratete heterosexuelle Paare ein, verkabelte sie, befragte sie zu ihrer Beziehung und ließ sie vor der Kamera erst Alltägliches und dann ein besonders heikles Thema besprechen. Drei Jahre später brachten die Forscher in Erfahrung, welche der damals untersuchten Paare sich mittlerweile auseinandergelebt hatten. Hatte es Anhaltspunkte für diese Entwicklung gegeben?
Gottman und Levenson wurden fündig: Die mittlerweile unglücklichen Paare wirkten auf den Videoaufnahmen zwar oberflächlich ruhig. Die physiologischen Messungen zeigten aber, dass sie selbst beim Gespräch über Alltägliches unter Stress standen. Die glücklichen Paare schienen dagegen körperlich entspannter, wie ihr Puls verriet. Und sie verhielten sich selbst bei Krisengesprächen noch zugewandt, wie Gottman in mehreren Studien dieser Art beobachtete: Sie witzelten, lachten und berührten sich gelegentlich. Der Beziehungsforscher fand bei diesen Paaren ein Verhältnis von 5 zu 1 von solchen positiven zu eher feindseligen Momenten während eines Konflikts. Diese Quote ging als Gottman-Konstante in die Lehrbücher ein. Es reicht offenbar nicht, eine spitze Bemerkung mit einer liebevollen Geste auszugleichen, damit der Haussegen wieder ins Lot kommt. In stabilen Beziehungen überwiegt die positive Interaktion deutlich – selbst wenn mal die Fetzen fliegen.
Vorboten der Scheidung: Die vier apokalyptischen Reiter
Bei seinen Langzeitanalysen machte Gottman vier Beziehungskiller aus, die eine Scheidung weniger als sechs Jahre nach der Hochzeit ankündigen. Er nannte sie die apokalyptischen Reiter: Wenn sie erscheinen, steht der Untergang bevor. Der erste Reiter ist die Kritik, aber keine sachliche Kritik, sondern verletzende persönliche Angriffe. Wer derart angegiftet wird, reagiert meist aus Reflex mit Verteidigung, dem zweiten apokalyptischen Reiter. Er bringt die Streitspirale erst so richtig in Gang, denn der Angreifer fühlt sich nun übergangen und attackiert erneut. Stoppen ließe sich die Auseinandersetzung laut Gottman, indem man das Bedürfnis erkennt und einfühlsam auf den anderen eingeht.
Der dritte und laut Gottman am meisten Unheil bringende Reiter ist die Verachtung. Hat sie einmal Einzug in die Beziehung gehalten, ist diese so gut wie am Ende. Jetzt geht es nicht mehr um die Lösung von Konflikten – man will den anderen bewusst verletzen. Die »Schwefelsäure der Liebe«, wie Gottman die Verachtung nennt, zersetzt Stück für Stück die Zweisamkeit. Ist es an diesem Punkt noch nicht zur Trennung gekommen, holt der vierte Reiter zum Todesstoß aus: das Mauern. Dabei zieht sich ein Partner vollkommen aus der Beziehung zurück, legt demonstrative Gleichgültigkeit an den Tag und heizt damit die Streitspirale erneut an.
Frauen nehmen laut Gottman eher die aktive Rolle ein: Sie versuchen verzweifelt, Verbindung zum Partner herzustellen, zur Not per Konfrontation. Männer neigen eher dazu, weitere Konfrontationen zu vermeiden, und scheuen am Ende jeden Kontakt, um nicht verletzt zu werden. Gottman macht dafür eine angeblich stärkere Erregbarkeit des männlichen Nervensystems verantwortlich. Christian Roesler glaubt eher an kulturelle als an biologische Ursachen: »Frauen werden in unserer Gesellschaft eher Gefühle zugestanden. Deswegen lernen sie, offensiver mit ihnen umzugehen, beziehungsweise können diese schlechter regulieren.«
Glückliche Paare wählen ihre Schlachten mit Bedacht
Damit dieses Horrorszenario gar nicht erst eintritt, sollten Paare einige Regeln beachten. Gottman empfiehlt unter anderem, lösbare von unlösbaren Konflikten unterscheiden zu lernen. Eine 2019 veröffentlichte Studie gibt ihm Recht: Glückliche Paare wählen ihre Schlachten mit Bedacht. Forscher um die Psychologin Amy Rauer von der University of Tennessee in Knoxville baten 120 zufriedene langjährige Paare, sich im Labor über ein Thema ihrer Wahl zu streiten.
Die Paare beschäftigten sich, wie sich herausstellte, eher mit Fragen mit potenziell klareren Lösungen, etwa den Haushaltsaufgaben oder der Freizeitgestaltung. Sie zofften sich seltener über Probleme, bei denen man schwer zu einer Einigung kommt. Um diese machten sie einen Bogen, solange es ging. Die Autoren halten dies für eines der Geheimnisse glücklicher Partnerschaften. Sich konstruktiv und lösungsorientiert mit konkreten Problemen zu beschäftigen, beschere den Partnern regelmäßig Erfolgserlebnisse. Fraglich bleibt allerdings, ob sich die untersuchten Paare auch privat so verhalten wie in der künstlichen Laborsituation.
Hat sich der Streit einmal verselbstständigt, lässt sich der Kreislauf aus Zank und Zorn zuweilen nicht mehr durchbrechen. Dann ist es ratsam, sich frühzeitig Unterstützung zu holen. Hier hilft der Gang zu einer meist kostenlosen Beratungsstelle oder die Suche nach einem geeigneten Paartherapeuten. »Besonders effektiv ist die so genannte emotionsfokussierte Paartherapie, die an den belastenden negativen Gefühlen in der Partnerschaft arbeitet. Sie ist bisher vor allem in den USA und Kanada verbreitet«, rät Roesler.
Pam und Jim haben den Schritt gewagt und sich an die Psychologin Sue Johnson gewandt, die die emotionsfokussierte Paartherapie entwickelt hat. In ihrem Ratgeber beschreibt sie, wie sie den beiden hilft, ihre Differenzen zu klären. Und wie Pam langsam neue Hoffnung schöpft: »Wenn wir es schaffen, einen Schritt zurückzutreten und zu sagen: ›Achtung, wir haben uns wieder festgefahren. Wir sollten uns abkühlen, statt uns gegenseitig weiter zu verletzen‹, dann können wir bessere Freunde sein und vielleicht noch ein wenig mehr als das! Vielleicht ein bisschen so wie früher.«
In fünf Schritten aus der Streitspirale
- Rekapitulieren Sie einen Konflikt mit etwas Abstand. Nur wenn Sie die ersten Anzeichen der Eskalation erkennen, können Sie vermeiden, dass der nächste Disput aus dem Ruder läuft. Sprechen Sie in einem ruhigen Moment über eine zurückliegende Situation, die ausgeartet ist: Welches Thema war der Auslöser? Wer hat mit welchem Verhalten zur Streitdynamik beigetragen? Und wie könnten Sie beide in Zukunft besser reagieren?
- Sprechen Sie offen über Ihre Bedürfnisse. Häufig steckt hinter Dauerkonflikten in der Beziehung ein unerfülltes Bedürfnis – etwa nach Fürsorge, Trost, Geborgenheit oder Akzeptanz. Auch wenn die Selbstoffenbarung zunächst schwerfällt: Wünsche frühzeitig deutlich, direkt und klar anzusprechen, beugt Frustration vor und hat eher Erfolg als Vorwürfe und Forderungen.
- Schließen Sie Kompromisse. In jeder glücklichen Beziehung gibt es Reibungspunkte. Egal, ob es um die Aufteilung der Hausarbeit oder das nächste Urlaubsziel geht – wo verschiedene Interessen bestehen, braucht es Verhandlungsgeschick. Definieren Sie Bereiche innerhalb des jeweiligen Anliegens, die Ihnen besonders wichtig sind, und solche, die flexibel gehandhabt werden können. Arbeiten Sie auf der Grundlage der Wünsche beider Partner einen Kompromiss aus. Wird die Diskussion dabei zu hitzig, lenken Sie das Gespräch wieder in eine konstruktive Richtung oder legen Sie eine Pause ein.
- Legen Sie unlösbare Konflikte bei. Es wird nicht gelingen, jede Differenz in Ihrer Beziehung zu überwinden. Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten lassen sich oft nicht auflösen, genauso wenig, wie sich der chaotische Partner zum Ordnungsfanatiker umerziehen lässt. Schauen Sie also genau hin, ob es sich bei einem wiederkehrenden Streitthema überhaupt um ein lösbares Problem handelt. Wenn nicht, versuchen Sie, unterschiedliche Charakterzüge oder Vorlieben zu akzeptieren, statt sich immer wieder ergebnislos daran aufzureiben.
- Stärken Sie das Wir-Gefühl. In einer guten Beziehung muss man sich nicht über jede Kleinigkeit einig sein. Behalten Sie stattdessen lieber Ihre gemeinsamen Ziele im Blick – sie sind die Säulen einer stabilen Partnerschaft. Zeigen Sie sich außerdem gegenseitige Wertschätzung im Alltag. Kleine Rituale wie der Abschiedskuss oder der abendliche Austausch über den Tag schaffen ein starkes Gegengewicht zu gelegentlichen Auseinandersetzungen.
Quellen: »Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe« von John Gottman (Ullstein, Berlin 2014) und »Halt mich fest. Sieben Gespräche über lebenslange Liebe« von Sue Johnson (Junfermann, Paderborn 2019)
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