Frühmenschenkunst: Ritzmuster älter als der Mensch
Schon seit einiger Zeit wissen Forscher, dass schon die Vorgänger des modernen Menschen, Homo erectus, zu allerlei typischen menschlichen Verhaltensweisen in der Lage war. Nicht umsonst gelang es ihm zum Beispiel, von Afrika aus bis weit nach Asien, Europa und in den Pazifikraum vorzustoßen. Ein Zufallsfund ergänzt dieses Wissen nun: Offenbar ritzen die frühen Menschen auch Muster in Alltagsgegenstände um sie zu kennzeichnen oder schmücken. Darauf deutet ein präzise in eine Süßwassermuschel gekratzes geometrisches Rillenmuster hin, das vor etwa 430 000 bis 540 000 Jahre entstanden sein muss – also lange bevor es den ersten Homo sapiens gab.
Die verzierte Muschel hatte mit vielen anderen seit gut achtzig Jahren unbeachtet in einem Museumsarchiv in den Niederlanden gelegen, nachdem der Paläoanthropologe Eugène Dubois sie um 1890 am Fundorts seines berühmten "Java-Menschen"-Schädelfragmentes entdeckt hatte, des ersten entdeckten Exemplars eines Homo erectus. Nun hatte die Forscherin Josephine Joordens von der Universität die alten Schalen hervorgeholt, um die Nahrungsgewohnheiten von H. erectus genauer zu untersuchen. Dabei waren nicht nur Spuren von bedächtigem Werkzeuggebrauch zum Öffnen der Muscheln – wohl mit einer alten Art Austermesser – aufgefallen, sondern auch die heute nur noch sehr schwachen Ritzungen, die sich vor 500 000 wohl vor der dunkler gefärbten Muschel viel deutlicher abgezeichnet hatten.
Über die einstige Bedeutung der Ritzspuren kann nur spekuliert werden – einige Ethusiasten freuen sich, sie als "ältestes Kunstwerk" der Geschichte feiern zu können. Tatsächlich ist nicht ganz überraschend, dass auch H. erectus schon Verzierungen an Alltagsgegenständen angebracht hat. In jedem Fall schlägt das Alter der angeritzen Muschel den bis dato letzten Fund eines Frühmenschen-"Kunstwerkes" um einige Jahrhunderttausende: Die vielleicht von Neandertalern produzierten Ritzgraffiti in einer Höhle auf Gibraltar. Womöglich fehlen ältere Spuren von Kunst nicht deswegen, weil Menschenvorfahren keine produziert haben, sondern weil sie im Laufe der Jahrtausende verloren gingen.
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