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Sexualverhalten: Romea und Julian

Wenn es doch so einfach wäre wie bei Fliegen. Obwohl sich Menschen, wenn sie um Menschen werben, schon seit Ewigkeiten den Kopf zerbrechen, wie sie den anderen für sich gewinnen können, bleibt ein Patentrezept bis auf weiteres Fantasie. Bei Drosophila indes genügt ein einziges Gen, das komplette Turtelrepertoire abzurufen.
Drosophila-Sex
"Ir roservarwer munde, ir brüste, ir arm, ir blankiu bein" gellte es zu Lautenklang drunten vom Hof hinauf zum Turmzimmer. Ziemlich angetan schien der Minnesänger von den Liebreizen des adligen weiblichen Körpers dort droben. Leider wollte es aber die Sitte der mittelalterlichen Troubadouren, dass die Angehimmelte hartherzig und die besungene Liebe eine unerreichbare blieb. Das schmachtende Beschallen der hochgeborenen Vrouwe also schon von vornherein umsonst? Kein Wunder, dass das höfische Ritual nicht dauerhaft Schule machte, wenn für den Werbenden unterm Strich – abgesehen von ein wenig Ehre ob gelungener Verse – nichts dabei herauskam.

Die singenden Kavaliere, die wie Fliegen zu den Burgen der Angebeteten schwirrten, sind aber nicht die einzigen männlichen Wesen, die zur Vröide des anderen Geschlechts ein ziemliches Spektakel veranstalten – quakende Frösche, radschlagende Pfauen, tanzende Stichlinge geizen auch nicht mit Reizen. Selbst die Männchen der Taufliege Drosophila melanogaster machen ihren in unseren Augen eher schmucklosen Weibchen auf originelle Weise den Hof.

Singende Fliege | Männliches Werbeverhalten bei Taufliegen, wie es durch das Gen fruitless veranlasst wird
Angelockt von der attraktiven weiblichen Duftwolke nähern sich die Männchen der Angeschwärmten, umrunden sie, krabbeln ihr zunächst eine ganze Weile hinterher und versuchen immer wieder, ihren Leib zu betasten. Dann beginnen beide Geschlechter konzertiert ihre Flügel zu öffnen und zu schließen, bis das maskuline Tier den Akt vollführt, den Verhaltensforscher als Singen bezeichnen: Es spreizt einen Flügel vom Körper ab und lässt ihn vibrieren. Das Weibchen registriert das Tremolo und lässt den Verfolger, obwohl immer noch in Fluchtbewegung, seine Genitalien lecken. Das forsche Männchen versucht nun das Weibchen zu besteigen, krümmt dabei gewandt seinen Hinterleib, wird aber noch einige Male abgewehrt. Wenn die Fliegendame endlich genügend stimuliert ist, verlangsamt sie ihr Tempo, öffnet ihren Vaginalapparat und erlaubt damit die Kopulation.

Anders als das verfeinerte Ritual der Minne ist das Balzritual der Taufliegen keine Sache von Kultur. Auf jedem Misthaufen und in jeder Mülltonne, wo Obst ein wenig zu lange vor sich hin gärt, stimmt ist es bis ins Detail überein. Das liegt daran, dass das Werbeverhalten bereits angeboren ist: Jeder Schritt ergibt bei Erwiderung – genetisch vorprogrammiert – den nächsten. Der Verhaltensforscher Niklas Tinbergen, der in den 1950er Jahren eine ähnliche automatische Handlungsabfolge beim Stichling beschrieb, brachte es auf die Formel, dass Tiere nicht nur mit einem arttypischen Körperbauplan zur Welt kommen, sondern auch mit einer Reihe von stereotypen Verhaltensanweisungen, anhand derer sie auf bestimmte Stimuli ihrer Umwelt reagieren.

Bei Drosophila regelt eine ganze Hierarchie von Genen die Differenzierung der Geschlechter. An der Spitze steht das Gen tra, weiter unten dann einzelne Gene, die bestimmte Attribute der jeweiligen geschlechtlichen Identität verwirklichen. So bestimmt das Gen doublesex die weibliche beziehungsweise männliche Morphologie der Geschlechtsorgane, das Gen fruitless wiederum hat die Kontrolle des Sexualverhaltens unter seiner Fuchtel.

Für die Namen von Drosophila-Genen lassen sich Biologen zumeist von Auffälligkeiten inspirieren, die sie an Fliegen beobachten, bei denen die betreffenden Erbfaktoren mutiert sind. Der Name fruitless – fruchtlos, unergiebig – weist darauf hin, dass die verschiedenen Mutanten bezüglich des Gens kein zum Erfolg führendes Sexualverhalten an den Tag legen. Bei fruitless gibt es gleich mehrere Verhaltensmutanten – bei jeder Fliege bricht der Balztanz nach einem anderen Schritt ab.

Der Grund dafür ist, dass das fruitless-Gen aus mehreren Flicken besteht. Bevor die Fliegenzellen fruitless in ein Protein übersetzen, müssen sie die einzelnen Flicken korrekt zurechtschneidern. Dazu öffnen sie den langgestreckten genetischen Teppich – genau genommen handelt es sich um Boten-RNA – an einzelnen Nahtstellen, nehmen einige Flicken heraus und nähen die verbleibenden Stücke wieder zusammen. Bei den Mutanten fehlt dann jeweils ein bestimmter Flicken oder diese weisen einen Webfehler auf. Das Zurechtschneidern des genetischen Flickwerks nennen Genetiker übrigens Spleißen.

In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass fruitless in Taufliegenweibchen und -männchen ein unterschiedliches Spleißen erfährt. Die männliche Spleißvariante steuert das Balzgehabe, die weibliche die Reaktion darauf. Barry Dickson, Neurobiologe an der Östereichischen Akademie der Wisssenschaften in Wien fragte sich nun, was wohl passiert, wenn man auf weibliche Webart zusammengenähtes fruitless in Männchen unterbringt und umgekehrt.

Geplant, getan – die Forscher vertauschten im Genom der Sechsbeiner die Schnittbögen für das Balzgen, sperrten die Tierchen jeweils mit unterschiedlichen Partnern zusammen in ein Glas und warteten ab, was geschah.

Kettenbildung | Immer eine nach der anderen: Taufliegenmutanten bei sinnlosem Balzverhalten
Waren Weibchen, die alle das maskulin geschnippelte fruitless innehatten, gemeinsam eingebunkert, lief eines hinter dem anderen her, bis die Fliegen regelrecht rotierende Ketten bildeten. Ein zwar markantes, aber keineswegs sinnvolles Verhalten – bei freilebenden Tieren ist es jedenfalls nicht zu beobachten. Wahrscheinlich fehlte es den sich männlich gebärdenden Weibchen an der entsprechenden femininen Reaktion, um mit ihren Avancen mehr als nur versuchsweise fortzufahren.

Aber Weibchen mit männlichem Baggerprogramm plus normale Weibchen könnte klappen, dachten sich die Wissenschaftler dann und steckten diese Kombination in das nächste Gefäß. Und tatsächlich konnten sie nun beinah alle Elemente des Paarungsrituals bestaunen. Sogar das Singen mit dem abgespreizten Flügel beherrschten die Scheinweibchen genauso gut wie ihre männlichen Gegenstücke. Lediglich bei der Krümmung des Hinterleibs und der Kopulation haperte es – für erstere ist das weibliche Abdomen schlicht zu dick und für letztere fehlen die männlichen Begattungsorgane.

Die Fliegenmännchen ihrerseits verloren mit ihrem fruitless-Schnittmuster auch den nötigen Schmiss beim Anbändeln. Gegenüber Fliegenfrauen fiel ihr Werbeverhalten ganz aus. Untereinander bilden verhaltensfeminisierte Männchen verblüffenderweise ähnliche Ketten wie die maskulinisierten Weibchen – allerdings müssen sie dazu schon Stunden bis Tage zusammensitzen. Dickson und sein Team schließen aus dem Befund eine zweite Funktion des männlich gespleißten fruitless: Es könnte verhindern, dass sich Drosophila-Männchen gleichgeschlechtlichen Fliegen annähern.

Drosophila-Gehirn | Auch auf neuronaler Ebene spürte die Wiener Arbeitsgruppe dem fruitless-Gen nach: Die grünen Abschnitte zeigen, wo das Gen im Fliegenhirn aktiv ist. Zwischen Männchen und Weibchen sind keine Unterschiede festzustellen – neuroanatomisch sind die das jeweilige Sexualverhalten steuernden Areale also identisch.
Die Geschlechter zu verwirren, war den Wiener Forschern also zweifellos gelungen. Dickson interessierte nun, ob denn sogar ein vollendeter Rollentausch möglich sei – also ein Paarungstanz, bei dem die Weibchen den Männchen den Hof machen und diese sich das gerne gefallen lassen. Hierzu bedurfte es indes noch einmal einer kleinen Manipulation. Die Forscher hantieren per tra-Genen an den Hormondrüsen der feminisierten Männchen herum, bis diese weiblichen Sexuallockstoff freisetzten. Dadurch erwarben die Tierchen den erforderlichen Appeal, um die irritierten Weibchen zu entflammen. Tatsächlich vollzog sich dann das ganze Flirt-Zeremoniell mit vertauschten Rollen – nur zum Begatten kam es nicht. Letzlich sind es also nicht mehr als ein paar molekulare Schnipsel, die über sexuelle Identität und Verlangen der Fliegen entscheiden.

"Ich bin holt einer vrouwen: ich weiz vil wol umbe waz" – "Ich liebe eine Frau, ich weiß wohl, warum", sang Meinloh von Sevelingen vor gut 800 Jahren. Man kann getrost darauf wetten, dass er eine Schar von Gründen aufzuzählen wusste. Hinter dem Singen des Drosophila-Männchens dagegen steckt nicht sonderlich viel Tiefsinn. Eigentlich ungerecht, dass es heute trotzdem viel wahrscheinlicher ist, Fliegen im Liebesrausch auf einem faulen Apfel zu sichten als sangesfreudige Barden unter den Fenstern holder Frauen.

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