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Covid-Forschung: Mit der Kettensäge gegen die Wissenschaft

Die US-Gesundheitsbehörden NIH und CDC streichen laut neuen Dokumenten massiv Forschungsgelder zu Covid-19. Auch Projekte zu Klimawandel und Impfskepsis sind betroffen.
Eine große Menschenmenge versammelt sich vor dem Lincoln Memorial. Im Vordergrund hält jemand ein Schild mit der Aufschrift: »Only idiots defund scientific research after a global pandemic«. Eine US-Flagge ist rechts im Bild zu sehen.
Demonstranten protestieren am 7. März 2025 am Lincoln Memorial unter anderem gegen Kürzungen bei den Etats und Stellenstreichungen in der Forschung.

Die US-Behörden National Institutes of Health (NIH) und Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben begonnen, Covid-19-Forschungsgelder in Milliardenhöhe zu kürzen. Laut einem internen NIH-Dokument, das dem Wissenschaftsmagazin »Nature« vorliegt, waren diese Mittel »für einen begrenzten Zweck vorgesehen: zur Linderung der Pandemie-Folgen«. Das Dokument dient Mitarbeitern der Behörde als Leitfaden, welche Forschungsförderungen gestrichen werden sollen. Begründet wird dies damit, dass »die Gelder nicht mehr benötigt werden, da die Pandemie offiziell beendet sei«. Wie viele Forschungsprojekte betroffen sind, ist nicht bekannt.

Die Kürzungen erfolgen vor dem Hintergrund, dass die NIH unter Präsident Donald Trump allein im vergangenen Monat fast 400 Forschungsprojekte gestoppt haben. In einer früheren Version des Dokuments, das »Nature« am 5. März einsehen konnte, wurden NIH-Mitarbeiter aufgefordert, Forschungsprojekte zu den Themen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI), Geschlechtsidentität sowie Umweltgerechtigkeit zu überprüfen und potenziell zu beenden. Die neue Wissenschaftspolitik der Trump-Regierung wirkt sich mittlerweile auch auf Forschungsprojekte in Europa aus.

Umfang der Kürzungen

Die NIH, der weltweit größte öffentliche Geldgeber für biomedizinische Forschung, finanzieren derzeit mit rund 850 Millionen US-Dollar etwa 600 laufende Projekte mit »Covid« im Titel. Das entspricht knapp zwei Prozent des NIH-Jahresbudgets von 47 Milliarden Dollar. Normalerweise beendet die Behörde jedes Jahr lediglich wenige Dutzend Projekte, meist bei Verdacht auf Fehlverhalten oder Betrug und üblicherweise auch nur als letztes Mittel nach anderen Maßnahmen wie einer vorübergehenden Aussetzung. Laut NBC News plant die CDC, zusätzlich 11,4 Milliarden Dollar an Mitteln für Pandemiemaßnahmen zu streichen.

Weltweit sind mehr als sieben Millionen Menschen an oder mit einer Sars-CoV-2-Infektion gestorben, davon mehr als 1,2 Millionen in den USA. Noch immer sterben Menschen, die sich mit dem Virus infizieren. Experten betonen, dass Studien zur Verbreitung und Bekämpfung von Sars-CoV-2 essenziell sind, um zukünftige Pandemien zu verhindern.

Die NIH beenden unter anderem ein 577-Millionen-Dollar-Programm zur Entwicklung antiviraler Medikamente gegen Sars-CoV-2 und sechs weitere potenziell pandemische Viren. »Die Streichungen sind definitiv zu kurzsichtig. Wir brauchen dringend neue Therapien gegen Viren«, sagt Jason McLellan, Virologe an der University of Texas, Austin. Sein Forschungsprojekt zu breit wirksamen, antiviralen Therapien wurde am 24. März beendet. »Den gesamten Zuschuss zu streichen, nur weil ein kleiner Teil Sars-CoV-2 betraf, ist für die Vorbereitung auf künftige Pandemien gefährlich«, sagt er.

Das aktualisierte Dokument nennt Covid-19 nur als eine von vielen »Forschungsaktivitäten, die von den NIH nicht mehr unterstützt werden«. Betroffen sind auch Forschungsprojekte zu »China«, »DEI«, »transgender« und »vaccine hesitancy« (Impfskepsis). In den neuen Leitlinien heißt es zudem, Zuschüsse im Zusammenhang mit »Südafrika« und »Klimawandel« sollten eingestellt werden. Auch sollen alle Projekte beendet werden, die auf einer Liste des NIH-Direktors oder des US-Gesundheitsministeriums (HHS) stehen, das von dem impfkritischen Robert F. Kennedy Jr. geleitet wird.

»Sie haben die Zuschüsse mit einer Kettensäge bearbeitet«Angela Rasmussen, Virologin

Die Leitlinien wurden an NIH-Mitarbeiter verschickt, die die Fördermittel von Forschungsstipendien verwalten. Ein NIH-Beamter, der anonym bleiben möchte, erklärte gegenüber »Nature«, die NIH-Führung halte die wissenschaftlichen Mitarbeiter für zu voreingenommen, um die Projekte zu identifizieren, die beendet werden sollen.

Einige Wissenschaftler befürchten, dass die Richtlinien zu vage sind. So könnte jedes Forschungsprojekt, das mit einem bestimmten Schlüsselwort verknüpft ist, unabhängig von seiner Relevanz gestrichen werden. »Sie haben die Zuschüsse mit einer Kettensäge bearbeitet, nicht mit einem chirurgischen Laser«, sagt die Virologin Angela Rasmussen von der University of Saskatchewan in Saskatoon, Kanada, die zu Sars-CoV-2 forscht.

Forschung zu Long Covid ungewiss

Unklar bleibt, ob die NIH im Rahmen der neuen Leitlinien auch die Forschung zu Long Covid einstellen werden, darunter die 1,6 Milliarden Dollar teure RECOVER-Initiative, die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten zu Long-Covid-Erkrankungen untersucht. Bekannt wurde bereits, dass das Gesundheitsministerium plant, das Office of Long COVID Research and Practice zu schließen. Es wurde unter der Biden-Administration gegründet, um staatliche Maßnahmen für Long-Covid-Betroffene zu koordinieren.

Die Beendigung von Covid-19-Forschungsprojekten sei ein »echter Schlag ins Gesicht der vielen Patienten, die mit den langfristigen gesundheitlichen Folgen von Covid-Infektionen kämpfen«, sagt Jennifer Nuzzo, Epidemiologin und Leiterin des Pandemic Center an der Brown University in Providence, Rhode Island.

Robert F. Kennedy Jr. hat angekündigt, »Amerika wieder gesund zu machen«, unter anderem durch eine Reform der US-Gesundheitsbehörden. Diese sollten sich stärker auf chronische Krankheiten konzentrieren. Jennifer Nuzzo kritisiert, dass das »totale Durchgreifen« gegen die Corona-Forschung nicht zu diesem Ziel passe. Solche Forschungsarbeiten hätten erst den Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und dem späteren Auftreten von multipler Sklerose aufgedeckt. »Wir müssen untersuchen, wie Covid-Infektionen einige der schlimmsten Krankheiten auslösen, die die Gesellschaft erleiden muss«, sagt sie.

Die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale School of Medicine in New Haven, Connecticut, forscht zu Immunreaktionen bei Long Covid und anderen postviralen Erkrankungen. Sie ergänzt: »Wenn wir das jetzt bei dieser Pandemie nicht herausfinden, befürchte ich, dass wir auf künftige Pandemien viel schlechter vorbereitet sein werden.«

Weder die NIH noch das US-Gesundheitsministerium (HHS) haben auf die Anfragen von »Nature« zu den Kürzungen der Fördermittel oder den Bedenken der Wissenschaftler geantwortet.

Neue Leitung der NIH

Am 26. März 2025 hat der US-Senat Jay Bhattacharya zum neuen NIH-Direktor ernannt. Der Gesundheitsökonom und Medizinprofessor von der Stanford University wurde 2020 als Mitautor der Great Barrington Declaration, eines umstrittenen Manifests gegen Covid-19-Lockdowns, bekannt. Darin plädierte er dafür, die Infektion unter jungen, gesunden Menschen zirkulieren zu lassen, während ältere, gefährdete Gruppen gezielt geschützt werden sollten. Die WHO und andere Fachgesellschaften kritisierten diesen Ansatz.

Bei seiner Anhörung im Senat Anfang März 2025 vermied Bhattacharya eine Stellungnahme zu den aktuellen Kürzungen der NIH. Stattdessen betonte er die Notwendigkeit einer gezielten Umverteilung der Mittel. Er fordert mehr Geld für »risikoreiche, innovative Projekte« und will verhindern, dass Ressourcen in seiner Ansicht nach redundante oder wenig aussagekräftige Studien fließen. Zudem drängt er auf eine strengere Überprüfung wissenschaftlicher Ergebnisse. Umstritten ist seine Haltung zur Impfstoffsicherheit. Während er Kinderimpfungen gegen Krankheiten wie Masern unterstützt, fordert er mehr Forschung zu möglichen Zusammenhängen zwischen Impfungen und Autismus-Spektrum-Störungen. Dabei haben bereits zahlreiche groß angelegte Studien gezeigt, dass Autismus bei geimpften und ungeimpften Kindern gleich häufig auftritt.

Die NIH unterstehen dem US-Gesundheitsministerium, das derzeit von Robert F. Kennedy Jr. geleitet wird. Kennedy, der wiederholt Zweifel am Nutzen von Impfungen geäußert hat und jüngst von Experten für seinen Aussagen zur Vogelgrippe und den Masernausbrüchen in Texas kritisiert wurde, sieht die NIH als reformbedürftige Behörde.

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