Augen: Blaulichtalarm
Mit den Augen ist es wie mit jedem anderen Körperteil auch: Bewusst nimmt man sie erst wahr, wenn sie nicht richtig funktionieren. Wenn sie brennen und jucken, wenn die Sehkraft nachlässt oder die Linse eintrübt. Doch unsere Augen sind das zentrale Sinnesorgan: Bis zu 80 Prozent der Informationen aus unserer Umwelt nehmen wir mit ihnen wahr – und mit unserem heutigen Lebensstil muten wir ihnen einiges zu.
Wir arbeiten am Computer, blicken oft und gerne auf das Smartphone, und abends sehen wir fern. Kurz: Wir schauen Tag für Tag viele Stunden aus nächster Nähe in erleuchtete Bildschirme. Experten sprechen vom digitalen Sehstress: Die Augen ermüden, und nicht wenige klagen über trockene Augen, ein Phänomen, dass man auch »Office Eye Syndrom« oder »Gamer Eye« nennt: Blickt man konzentriert auf PC, Laptop oder Handy, sinkt die Lidschlagfrequenz. Die Folge: Der Tränenfilm wird nicht mehr gleichmäßig auf dem Auge verteilt und kann aufreißen.
Doch der permanente Blick auf Bildschirme könnte noch weit unangenehmere Folgen haben: Denn die Displays von Handys, Tablets und Co nutzen heute vorwiegend Leuchtdioden (LED = light-emitting diode) zur Hintergrundbeleuchtung. Und diese mischen, um weißes Licht zu erzeugen, vor allem gelbes und blaues Licht. »Es häufen sich die Anzeichen, dass blaues Licht schädlich sein könnte für das Auge«, sagt der Augenarzt Peter Heilig von der Universität Wien.
»Es häufen sich die Anzeichen, dass blaues Licht schädlich sein könnte für das Auge«
Peter Heilig
LEDs verbrauchen im Vergleich zu klassischen Glühbirnen deutlich weniger Energie, weswegen sie nicht nur in Bildschirmen zum Einsatz kommen, sondern auch in Lampen, Werbeplakaten und Scheinwerfern: »Im Verkehr sind LEDs die Hölle: Scheinwerfer sind heute gleißend hell, die Menschen beschweren sich, selbst Radfahrer blenden sich gegenseitig«, sagt Heilig, der den allgegenwärtigen Einsatz der LEDs kritisch sieht: »Blaues Licht blendet stärker, lenkt mehr ab und leistet keinen nennenswerten Beitrag für das zentrale Sehen.« Aber ist es deswegen schädlich für die Augen?
Das Licht, das auf und in unsere Augen trifft, unterteilt man in sichtbares Licht – zwischen einer Wellenlänge von 380 und 780 Nanometern – und nicht sichtbare Strahlung im ultravioletten und Infrarotbereich. Das Spektrum des Sonnenlichts ist gleichmäßig über den gesamten Wellenlängenbereich verteilt. Das Spektrum von LEDs hingegen weist einen deutlichen Höcker im blauen Bereich von 400 bis 480 Nanometern auf: Dieses Licht ist energiereich und dringt – anders als UV-Licht, das im vorderen Augenbereich absorbiert wird – fast ungefiltert durch das Auge auf die Netzhaut. Durch die weite Verbreitung von LEDs, deren andere spektrale Lichtzusammensetzung und unser verändertes Sehverhalten sind wir blauem Licht heute also stärker ausgesetzt als früher.
Schadet blaues Licht der Netzhaut?
Die Studienlage zur Wirkung von blauem Licht auf die Augen ist unumstritten: »In experimentellen Ansätzen hat sich gezeigt, dass blaues Licht – im Gegensatz zum Beispiel zu grünem – starken Schaden an Netzhaut und Sehzellen hervorrufen kann«, sagt der Netzhautforscher Christian Grimm von der Universität Zürich. So führt energiereiches Licht zu fotooxidativem Stress, das heißt, es entstehen Sauerstoffradikale, die Proteine und Lipide schädigen können und letztlich zum Tod von Sehzellen führen. Ein Schaden, der nicht mehr wiedergutzumachen ist, denn abgestorbene Sehzellen werden nicht mehr ersetzt, das heißt, die Sicht verschlechtert sich. »Wie viel blaues Licht notwendig ist, um einen Schaden zu verursachen, ist nicht klar definiert«, so Grimm.
2016 hatten französische Forscher des staatlichen Forschungsinstituts Inserm die Wirkung verschiedener Lichtarten an Ratten getestet. Bei extrem hoher Intensität von 6000 Lux schadeten Glühbirne, Leuchtstoffröhre und LED-Lampe den Augen der Nager gleichermaßen. Doch bei 500 Lux, also normaler Zimmerlichtstärke, hatten nur LEDs eine schädliche Wirkung: Die Bestrahlung führte im Rattenauge zum Tod der Sehzellen.
So könnte blaues Licht, neben anderen Risikofaktoren, zur Entwicklung einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) beitragen. Bei der AMD gehen Sehzellen der Makula, dem Ort des schärfsten Sehens, in der Netzhaut zu Grunde. Die Erkrankung trifft bislang vor allem Menschen ab dem 50. Lebensjahr und gilt als Hauptursache für schwere Sehbeeinträchtigung und Erblindung in den Industriestaaten. Im Endstadium nehmen Betroffene nur noch einen schwarzen Fleck im zentralen Sehbereich wahr.
Schon lange diskutieren Augenärzte darüber, dass die ein Leben lang akkumulierte blaue Lichtmenge ein Auslöser für die AMD sein könnte: Denn fotooxidativer Stress begünstigt die Entstehung des Stoffwechselprodukts Lipofuszin. Durch seine jahrzehntelange Anreicherung kommt es allmählich zum Absterben der Sehzellen und einem Verlust an Sehvermögen. Und eine hohe Konzentration an Lipofuszin erhöht die Wahrscheinlichkeit einer AMD. »Ab 15 Jahren reichert sich Lipofuszin langsam im retinalen Pigmentepithel an«, sagt der Netzhautforscher Olaf Strauß von der Berliner Charité. Das Blaulichtproblem sei der Evolution im Übrigen schon lange bekannt: In der Makula, die auch als gelber Fleck bezeichnet wird, ist ein natürlicher Blaulichtfilter eingebaut: Karotinoide, gelbe Pigmente, fangen dort einen Teil des blauen Lichtes ab. Denn nicht nur LEDs strahlen blaues Licht ab, sondern es ist auch Bestandteil des Sonnenlichts.
Genügend Umgebungslicht ist wichtig
Durch unser verändertes Sehverhalten könnte aber auch blaues Licht geringer Intensität eine Gefahr darstellen: »Bildschirme werden direkt angeschaut. Die Wirkung dieser direkten Exposition ist noch nicht systematisch untersucht, doch man kann sich gut vorstellen, dass das Konsequenzen hat«, so Strauß. Zumal oft nicht auf eine ausreichende Gesamthelligkeit geachtet wird: Wer tagsüber am Computer arbeitet, hat enge Pupillen und bekommt weniger blaues Licht ab. Ist das Auge aber an Dunkelheit adaptiert, ist die Pupille weit, um möglichst viel Licht einzufangen. So sind die Augen beim nächtlichen Chatten, Spielen und Fernsehen Blaulicht besonders stark ausgesetzt. »Wir wissen nicht, was das für Folgen hat. Wir können weder warnen noch entwarnen«, sagt Strauß.
Ähnliches gilt für ein anderes Problemfeld: Das blaue Licht von Bildschirmen könnte unseren Schlafrhythmus durcheinanderbringen, ist eine häufig zu lesende Hypothese. Tatsächlich hemmt blaues, aber auch weißes Licht, die abendliche Bildung des körpereigenen Schlafhormons Melatonin. Laut der Website »Medizin-transparent.at«, eines Service des Departments für evidenzbasierte Medizin und klinische Epidemiologie an der Donau-Universität Krems und Cochrane Österreich, ist die Frage bislang jedoch nur unzureichend erforscht, so dass man den Zusammenhang weder bestätigen noch ausschließen kann. Auch Strauß ist überzeugt: »Wir stören unseren Schlafrhythmus bereits durch andere Lichtquellen.«
»Wir stören unseren Schlafrhythmus bereits durch andere Lichtquellen«
Olaf Strauß
Ein gänzlich neuer Ansatz ist die Vermutung, dass blaues Licht zur Entwicklung der Kurzsichtigkeit beitragen könnte. Die Fehlentwicklung nimmt gerade epidemisch zu. In Europa ist mittlerweile fast jedes zweite Schulkind betroffen, in Asien sind es bereits rund 90 Prozent der jungen Menschen. »›Naharbeit‹ bei Kindern und Jugendlichen – also lesen oder auf den Bildschirm von Handy oder Computer schauen – scheint die Entwicklung der Kurzsichtigkeit zu fördern«, sagt Ludger Wollring vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands.
Eine Kurzsichtigkeit ist Folge eines zu starken Längenwachstums des Augapfels im Kindes- und Jugendalter, vor allem zwischen dem 8. und 15. Lebensjahr – also just jenem Alter, in dem Handys und Tablets Heranwachsende magisch anziehen. Den Zusammenhang von Kurzsichtigkeit und Naharbeit konnte man wissenschaftlich allerdings nicht zweifelsfrei belegen. Einen anderen hingegen schon: Kinder, die sich viel im Freien aufhalten, haben ein deutlich reduziertes Risiko, kurzsichtig zu werden. Für die gesunde Entwicklung des Auges braucht es also Tageslicht.
»Es gibt neuerdings einen interessanten Ansatz«, sagt Heilig. »Im Jahr 2017 wurde eine neue, sehr lichtempfindliche Sinneszelle in der Netzhaut von Mäusen entdeckt, die das Wachstum des Auges beeinflusst. Das vom Sonnenlicht abweichende Kunstlicht könnte diese Sinneszellen überstimulieren, so dass das Auge zu lange wächst.« Damit wäre nicht die »Naharbeit« das eigentliche Problem, sondern zu viel LED-Licht – beziehungsweise das Missverhältnis von Sonnen- und Kunstlichtexposition.
Dass die LEDs der Bildschirme den Augen schaden, ist wissenschaftlich nicht bewiesen – doch es existieren Verdachtsmomente. Hoffnung macht die Weiterentwicklung von LEDs. »Die Industrie hat bereits reagiert und das Lichtspektrum von LEDs dem des Sonnenlichts angepasst, das heißt, der Blaulichtanteil ist geringer«, sagt Strauß. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, könne sich aber durch leicht gelb getönte Brillen schützen. Grundsätzlich gilt: Die Dosis macht das Gift. Gerade bei Kindern sollte man die Bildschirmzeit begrenzen und sie raus ins Freie schicken – in den ursprünglichen Lebensraum von Homo sapiens, der nicht nur den Augen guttut.
Was hilft gegen zu viel blaues Licht?
UV-Strahlung: Bei starker Sonneneinstrahlung – vor allem im Schnee oder auf dem Wasser – sind Sonnenbrillen Pflicht. Vor allem für Kinder und Menschen mit heller Augenfarbe. Was viele nicht wissen: Die Tönung der Gläser sagt nichts über den UV-Schutz aus.
Lichthygiene: Warmweiße LEDs bevorzugen. Sehr helle LEDs so einstellen, dass man nicht direkt hineinsehen kann. Beim Fernsehen eine weitere Lichtquelle anschalten.
Bildschirmarbeit: Bewusst blinzeln und Augenyoga: Öfter in die Ferne schauen. Die Blautöne herunterregeln und den Gelbanteil erhöhen. Für Smartphones gibt es spezielle Filterapps. Das Tragen einer Brille mit einer leichten Gelbtönung schützt sicher vor blauem Licht.
Vorsorge: Ab 40 in regelmäßigen Abständen zum Augenarzt – denn viele Augenerkrankungen treten schleichend auf. Und für Kinder gilt: nicht mehr als 30 Wochenstunden Naharbeit fürs Auge und mindestens 15 Stunden Aufenthalt im Freien, um Kurzsichtigkeit zu verhindern.
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