Plötzlicher Kindstod: Signalstörung
Eine Horrorvorstellung für alle Eltern: morgens ins Kinderzimmer zu kommen und ihren Säugling tot vorzufinden. Obwohl inzwischen zahlreiche Risikofaktoren bekannt sind für den plötzlichen Kindstod, liegt die eigentliche Ursache noch immer im Dunkeln. Genetisch veränderte Mäuse könnten jetzt Licht in die Angelegenheit bringen.
Rauchende Eltern, Bauchlage, zu schwere Bettdecken, zu warme Schlafzimmer: Es gibt eine ganze Reihe von Umweltfaktoren, die das Risiko eines plötzlichen Kindstodes erhöhen. Das Gute daran ist – sie lassen sich vermeiden. Und dank entsprechender Aufklärungsarbeit durch Ärzte, Hebammen und verschiedensten Organisationen ist so die Zahl der an SIDS (Sudden Infant Death Syndrome) verstorbenen Kinder in Deutschland unter 300 pro Jahr gesunken. Trotzdem bleibt es die häufigste Todesursache bei unter Einjährigen in den Industrieländern.
Denn diese Umgebungsfaktoren sind nicht des ganzen Rätsels Lösung. Lange schon wird diskutiert, dass der Botenstoff Serotonin ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt: Bei an Kindstod verstorbenen Säuglingen hatte man Veränderungen in den durch Serotonin aktivierten Nervenzellen im Hirnstamm gefunden. Die Neuronen wirkten nicht ausgereift und waren daher womöglich in ihrer Funktion eingeschränkt. Zudem beobachteten Pathologen eine verringerte Zahl des Serotonin-Rezeptors 1A (Htr1a) und insgesamt niedrige Serotonin-Gehalte im Gehirn der Kinder.
Im Jahr 2006 hatten Forscher der University of Chicago bereits herausgefunden, dass die Notfallatmung, die bei Sauerstoffmangel einsetzt, durch Serotoninmangel gehemmt wird: Die Schrittmacherzellen, die das überlebenswichtige Luftschnappen steuern, lösen nur noch ein Zehntel der sonst üblichen tiefen Atemzüge aus. Das reicht nicht aus, um den Säugling mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen oder ihn zu wecken – das Kleine erstickt.
Zu viel statt zu wenig
Gentechnisch veränderte Mäuse haben Forscher in Italien nun weitere Einzelheiten des Serotonineinflusses enthüllt. Die Tiere bilden nicht etwa zu wenig, sondern sogar zu viel, nämlich ein Zehnfaches, des Htr1a-Rezeptors aus – was zunächst widersinnig erscheinen lässt, sie als Modell für den plötzlichen Kindstod einzusetzen. Zumal selbst Mäuse, die überhaupt keine auf Serotonin reagierenden Neuronen bilden, prinzipiell lebensfähig sind. Doch die meisten Nager im Labor von Cornelius Gross am European Molecular Biology Laboratory in Monterotondo starben im Alter von weniger als drei Monaten.
Dass die Tiere trotzdem ein geeignetes Modell sind, liegt an der Aufgabe von Htr1a: Der Rezeptor reguliert über negative Rückkopplung die Gehalte des Botenstoffes – im normalen Fall auf ein gesundes, bei den genetisch veränderten Tieren aber auf ein zu niedriges Niveau. Allerdings ließ sich der Tod verhindern: mit Doxycyclin, durch das die Forscher die übermäßige Herstellung der Htr1a-Rezeptoren ausgleichen konnten. So bot sich die Gelegenheit, gezielt zu untersuchen, in welchem Entwicklungsabschnitt der Nager und in welcher Form sich unnatürliche Rezeptormengen und der daraus resultierende Serotoninmangel auf den Körper auswirken.
Ganz offensichtlich reagierten junge Mäuse anfälliger auf die übermäßige Htr1-Produktion als ältere Tiere, bei denen Gross und seine Kollegen die Synthese entsprechend länger unterdrückt hatten. Doch zeigten die Nager nicht etwa generell schlechtere Werte bei Atmung oder Herzschlag – sie erschienen bis zu ihrem plötzlichen Tod völlig gesund. Von einem Moment auf den anderen konnten sie jedoch in eine lebensbedrohliche Krise verfallen, in der Herzschlag und Körpertemperatur rapide absanken. 37 Prozent der Betroffenen überstanden diesen Zusammenbruch nicht, sie starben. Die Überlebenden brauchten Tage, um sich davon zu erholen.
Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass die Aktivierung von Htr1a die Körpertemperatur und den Herzschlag senken – und das der Rezeptor über negative Rückkopplung die Serotonin-Spiegel im Stammhirn reguliert. Ebenso wussten Forscher bereits, dass Serotonin über spezialisierte Zellen des Rückenmarks in Regelkreise von Herz oder auch braunem Fettgewebe eingreift.
Tiefgehende Eingriffe
Und hier fanden Gross und seine Mitarbeiter nun einen weiteren interessanten Zusammenhang: Die veränderten Mäuse reagierten auf Kälte nicht wie ihre normalen Artgenossen, die einfach bei Unterkühlung ihr Körperfett zur Energiegewinnung abbauen. Das entsprechende Schlüsselgen blieb bei ihnen still – die Nager waren nicht in der Lage, ihren inneren Heizofen zu aktiveren.
Der Serotoninmangel in ihrem Gehirn führte also dazu, dass elementare Schaltkreise in anderen Organen und lebenswichtige Funktionen gestört sind und sogar ohne erkennbare äußere Einflüsse ihren Tod auslösen. Eine vergleichbare Verlangsamung des Herzschlages wurde auch bei einigen SIDS-Opfern beobachtet, woraus die Forscher ableiten: "Die autonomen Krisen bei unseren Tieren scheinen einige wichtige Übereinstimmungen mit SIDS zu zeigen."
Sicher ist nicht geklärt, ob sich die Daten von jungen Mäusen einfach auf junge Menschen übertragen lassen. Auch konnten die Forscher den von SIDS bekannten Geschlechtereffekt – Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen – bei den Nagern nicht beobachten. Trotz allem zeigten die Ergebnisse, dass auch bei Säuglingen eine Abweichung im Serotonin-Haushalt womöglich solche Krisen auslösen könnte, erklären die Forscher – mit ebenfalls tödlichem Ausgang. Vielleicht eröffnen sich so neue Wege, besonders gefährdete Kinder rechtzeitig zu identifizieren. Die Vorbeugung der klassischen Risikofaktoren bleibt trotzdem akut.
Denn diese Umgebungsfaktoren sind nicht des ganzen Rätsels Lösung. Lange schon wird diskutiert, dass der Botenstoff Serotonin ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt: Bei an Kindstod verstorbenen Säuglingen hatte man Veränderungen in den durch Serotonin aktivierten Nervenzellen im Hirnstamm gefunden. Die Neuronen wirkten nicht ausgereift und waren daher womöglich in ihrer Funktion eingeschränkt. Zudem beobachteten Pathologen eine verringerte Zahl des Serotonin-Rezeptors 1A (Htr1a) und insgesamt niedrige Serotonin-Gehalte im Gehirn der Kinder.
Im Jahr 2006 hatten Forscher der University of Chicago bereits herausgefunden, dass die Notfallatmung, die bei Sauerstoffmangel einsetzt, durch Serotoninmangel gehemmt wird: Die Schrittmacherzellen, die das überlebenswichtige Luftschnappen steuern, lösen nur noch ein Zehntel der sonst üblichen tiefen Atemzüge aus. Das reicht nicht aus, um den Säugling mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen oder ihn zu wecken – das Kleine erstickt.
Zu viel statt zu wenig
Gentechnisch veränderte Mäuse haben Forscher in Italien nun weitere Einzelheiten des Serotonineinflusses enthüllt. Die Tiere bilden nicht etwa zu wenig, sondern sogar zu viel, nämlich ein Zehnfaches, des Htr1a-Rezeptors aus – was zunächst widersinnig erscheinen lässt, sie als Modell für den plötzlichen Kindstod einzusetzen. Zumal selbst Mäuse, die überhaupt keine auf Serotonin reagierenden Neuronen bilden, prinzipiell lebensfähig sind. Doch die meisten Nager im Labor von Cornelius Gross am European Molecular Biology Laboratory in Monterotondo starben im Alter von weniger als drei Monaten.
Dass die Tiere trotzdem ein geeignetes Modell sind, liegt an der Aufgabe von Htr1a: Der Rezeptor reguliert über negative Rückkopplung die Gehalte des Botenstoffes – im normalen Fall auf ein gesundes, bei den genetisch veränderten Tieren aber auf ein zu niedriges Niveau. Allerdings ließ sich der Tod verhindern: mit Doxycyclin, durch das die Forscher die übermäßige Herstellung der Htr1a-Rezeptoren ausgleichen konnten. So bot sich die Gelegenheit, gezielt zu untersuchen, in welchem Entwicklungsabschnitt der Nager und in welcher Form sich unnatürliche Rezeptormengen und der daraus resultierende Serotoninmangel auf den Körper auswirken.
Ganz offensichtlich reagierten junge Mäuse anfälliger auf die übermäßige Htr1-Produktion als ältere Tiere, bei denen Gross und seine Kollegen die Synthese entsprechend länger unterdrückt hatten. Doch zeigten die Nager nicht etwa generell schlechtere Werte bei Atmung oder Herzschlag – sie erschienen bis zu ihrem plötzlichen Tod völlig gesund. Von einem Moment auf den anderen konnten sie jedoch in eine lebensbedrohliche Krise verfallen, in der Herzschlag und Körpertemperatur rapide absanken. 37 Prozent der Betroffenen überstanden diesen Zusammenbruch nicht, sie starben. Die Überlebenden brauchten Tage, um sich davon zu erholen.
Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass die Aktivierung von Htr1a die Körpertemperatur und den Herzschlag senken – und das der Rezeptor über negative Rückkopplung die Serotonin-Spiegel im Stammhirn reguliert. Ebenso wussten Forscher bereits, dass Serotonin über spezialisierte Zellen des Rückenmarks in Regelkreise von Herz oder auch braunem Fettgewebe eingreift.
Tiefgehende Eingriffe
Und hier fanden Gross und seine Mitarbeiter nun einen weiteren interessanten Zusammenhang: Die veränderten Mäuse reagierten auf Kälte nicht wie ihre normalen Artgenossen, die einfach bei Unterkühlung ihr Körperfett zur Energiegewinnung abbauen. Das entsprechende Schlüsselgen blieb bei ihnen still – die Nager waren nicht in der Lage, ihren inneren Heizofen zu aktiveren.
Der Serotoninmangel in ihrem Gehirn führte also dazu, dass elementare Schaltkreise in anderen Organen und lebenswichtige Funktionen gestört sind und sogar ohne erkennbare äußere Einflüsse ihren Tod auslösen. Eine vergleichbare Verlangsamung des Herzschlages wurde auch bei einigen SIDS-Opfern beobachtet, woraus die Forscher ableiten: "Die autonomen Krisen bei unseren Tieren scheinen einige wichtige Übereinstimmungen mit SIDS zu zeigen."
Sicher ist nicht geklärt, ob sich die Daten von jungen Mäusen einfach auf junge Menschen übertragen lassen. Auch konnten die Forscher den von SIDS bekannten Geschlechtereffekt – Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen – bei den Nagern nicht beobachten. Trotz allem zeigten die Ergebnisse, dass auch bei Säuglingen eine Abweichung im Serotonin-Haushalt womöglich solche Krisen auslösen könnte, erklären die Forscher – mit ebenfalls tödlichem Ausgang. Vielleicht eröffnen sich so neue Wege, besonders gefährdete Kinder rechtzeitig zu identifizieren. Die Vorbeugung der klassischen Risikofaktoren bleibt trotzdem akut.
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