Inselbiogeografie: Spinnen im Sturm
Die Wirbelsturm-Saison 2005 war lang und Furcht erregend - nicht nur für die Menschen, sondern ebenso für die Natur. Zumindest auf den Bahamas nutzen Spinnen Katastrophen wie diese aber auch als Chance, sofern sie sich nicht zu sehr häufen oder Echsen ihnen im Weg stehen.
Hurrikan Katrina zog im letzten September eine Spur der Verwüstung durch den Süden der USA. Der Wirbelsturm der höchsten Kategorie V setzte New Orleans unter Wasser, zerstörte ganze Landstriche der Bundesstaaten Mississippi, Louisiana sowie Alabama und tötete mehr als tausend Menschen. Auch die Natur litt unter den Gewalten der tosenden Regenfälle, der extremen Windböen und der reißenden Kraft der Sturmfluten: Sie entwurzelten Bäume oder legten gleich komplette Wälder flach. Sie zerrissen sogar ganze Inseln im Mündungsdelta des Mississippi sowie vor den Küsten der amerikanischen Südstaaten und zerstörten dabei Brutkolonien von Vögeln oder die Kinderstube von Fischen.
Für die Natur gehören diese Störungen allerdings zum normalen Ablauf von Werden, Vergehen und neuerlichem Werden zwingend dazu – so wie Borkenkäferplagen in überalterten Fichtenwäldern in Bayern, Feuer in mediterranen Strauchländern oder Erdrutsche in ecuadorianischen Bergregenwäldern. Sie schaffen Raum für neue Arten, setzen Nährstoffe frei oder beseitigen alte und kranke Bestände, damit der Nachwuchs eine Chance hat. In einem Sukzession genannten Prozess erobern dann zuerst Pionierarten das frei gewordene Terrain, denen nach und nach weitere Mitglieder der Artengemeinschaften folgen, bis sich wieder ein dem Vorkatastrophenzustand entsprechendes Ökosystem entwickelt hat.
Nur selten aber haben Wissenschaftler das Glück, die Wiederbesiedelung eines zuvor gut dokumentierten, mehr oder weniger isolierten Lebensraums nach dessen Zerstörung von Null an zu beobachten. Dazu gehören Thomas Schoener und David Spiller von der Universität in Kalifornien in Davis: Die beiden Biologen konnten diese Entwicklung nun anhand der Lebensgemeinschaften von Radnetzspinnen und Anolis-Echsen auf winzig kleinen Inseln der Bahamas-Gruppe nachvollziehen. Sie studierten das Beziehungsgefüge der beiden Tiergruppen auf 41 Eilanden in jeweils vier Jahren vor und nach dem Hurrikan Floyd – einem Wirbelsturm der zweithöchsten Kategorie IV.
Vor dem Durchzug von Floyd standen die Spinnen untereinander und mit den Echsen der Art Anolis sagrei (Brauner oder Bahama-Anolis) in einem engen Zusammenhang. Sofern vorhanden, machten die Reptilien Jagd auf die Spinnen, was deren Gesamtzahl wie Vielfalt negativ beeinträchtigte: Die Arachniden erreichten auf diesen Landflecken nur 60 und 66 Prozent der Vergleichswerte von Anolis-freien Inseln, wo sie sich zumindest von diesen Räubern ungestört dem Netzbau und Insektenfang widmen konnten.
Im September 1999 schlug dann der Wirbelsturm zu, der direkt das Untersuchungsgebiet kreuzte. Die Folgen waren für beide Gruppen gleichermaßen verheerend: Ihr Lebensraum stand wegen der Sturmfluten und ergiebigen Regenfälle zeitweise komplett unter Wasser, dazu kamen die heftigen Winde. Die Forscher gehen daher davon aus, dass keine einzige Spinne dieses Desaster überlebt haben dürfte. Auch die Echsen entkamen nicht ungeschoren, aber immerhin haben wohl einige ihrer Gelege die Wetterunbilden überstanden. Denn als Schoener und Spiller erstmalig zwei Monate nach Floyd wieder zu den Inseln kamen, fanden sie wenige Anolis sagrei vor, die alle die Überschwemmung in unterirdischen Gelegen überlebt haben mussten – ihre Größe wies sie als Jungtiere aus.
Sie konnten auch schon wieder Jagd machen auf die ersten neu angekommenen Spinnen, die wahrscheinlich per Lufttransport anlandeten. Deren Artenvielfalt erreichte allerdings nur ein knappes Fünftel des vorherigen Durchschnitts, die Individuenzahl lag sogar nur bei etwa 1,7 Prozent im Vergleich zum Vierjahresmittel vor dem Hurrikan. Ein halbes Jahr nach der Stunde Null, im April 2000, waren dann elf der 41 Eilande wieder von Braunen Anolis besiedelt – wesentlich weniger als zuvor, als sie 26 Inseln ihre Heimat nennen durften –, während die Arachniden bereits überall neuerlich ihre Netze spannten.
Innerhalb von nur zwölf Monaten erholte sich dann die Diversität der Krabbeltiere auf die Werte direkt vor dem Hurrikan – gleich, ob sie nun im Existenzkampf mit Echsen standen oder nicht. Die Individuenzahl der Spinnen blieb aber im ersten Jahr nach Floyd weit hinter dem vorherigen Stand zurück, denn ihre Populationen waren jetzt noch immer um die Hälfte kleiner. Unterschiede zwischen den beiden Inseltypen waren allerdings noch marginal.
In den Folgejahren wuchsen die Spinnenbestände dann überall, aber Anolis sagrei drückte ihnen nun zunehmend seinen Stempel auf: Die ebenfalls steigende Zahl an Echsen sorgte dafür, dass die Populationsdichte der Beute auf ihren Inseln deutlich niedriger blieb als auf den Vergleichsflächen. Doch an der Artenzahl änderte sich zum Erstaunen der Forscher nicht mehr viel: Der Zuwachs blieb überall minimal, und die absoluten Höchstwerte der achtjährigen Untersuchungsperiode aus der Zeit vor dem Wirbelsturm wurden nicht mehr erreicht. Und die Anolis hatten darauf sogar keinen direkten Einfluss mehr, denn deutliche Differenzen zwischen den Inselgruppen waren weiterhin Fehlanzeige.
Vielmehr setzte sich ein langjähriger Trend fort, der auf allen Eilanden bereits vor dem Hurrikan mit einer Abnahme der Spinnenvielfalt ein- und sich danach fortsetzte. Die Gründe dafür sind den Wissenschaftlern jedoch unbekannt. Eine Erklärung könnten die höheren Regenfälle in der zweiten Hälfte der Untersuchungsperiode sein, die eine Ansiedelung neuer Spezies verzögerten oder gänzlich verhinderten. Gravierender schätzen die Forscher allerdings die großräumigen Veränderungen durch die Wirbelstürme ein, die auf breiter Spur Verwüstung hinterlassen.
Durch sie werden die Lebensräume in weitem Umfeld regelrecht leer geräumt, sodass erst diese wieder besiedelt werden müssen, bevor auch nur das erste Exemplar der jeweiligen Art in das eigentliche Untersuchungsgebiet übersetzen und die dortige Vielfalt steigern kann. Je häufiger eine derartige Störung eintritt, desto schwieriger und langwieriger wird dieser Prozess. Wegen der steigenden Zahlen von heftigen Hurrikanen in der Karibik sind das zumindest für die Spinnen derzeit keine guten Aussichten.
Für die Natur gehören diese Störungen allerdings zum normalen Ablauf von Werden, Vergehen und neuerlichem Werden zwingend dazu – so wie Borkenkäferplagen in überalterten Fichtenwäldern in Bayern, Feuer in mediterranen Strauchländern oder Erdrutsche in ecuadorianischen Bergregenwäldern. Sie schaffen Raum für neue Arten, setzen Nährstoffe frei oder beseitigen alte und kranke Bestände, damit der Nachwuchs eine Chance hat. In einem Sukzession genannten Prozess erobern dann zuerst Pionierarten das frei gewordene Terrain, denen nach und nach weitere Mitglieder der Artengemeinschaften folgen, bis sich wieder ein dem Vorkatastrophenzustand entsprechendes Ökosystem entwickelt hat.
Nur selten aber haben Wissenschaftler das Glück, die Wiederbesiedelung eines zuvor gut dokumentierten, mehr oder weniger isolierten Lebensraums nach dessen Zerstörung von Null an zu beobachten. Dazu gehören Thomas Schoener und David Spiller von der Universität in Kalifornien in Davis: Die beiden Biologen konnten diese Entwicklung nun anhand der Lebensgemeinschaften von Radnetzspinnen und Anolis-Echsen auf winzig kleinen Inseln der Bahamas-Gruppe nachvollziehen. Sie studierten das Beziehungsgefüge der beiden Tiergruppen auf 41 Eilanden in jeweils vier Jahren vor und nach dem Hurrikan Floyd – einem Wirbelsturm der zweithöchsten Kategorie IV.
Vor dem Durchzug von Floyd standen die Spinnen untereinander und mit den Echsen der Art Anolis sagrei (Brauner oder Bahama-Anolis) in einem engen Zusammenhang. Sofern vorhanden, machten die Reptilien Jagd auf die Spinnen, was deren Gesamtzahl wie Vielfalt negativ beeinträchtigte: Die Arachniden erreichten auf diesen Landflecken nur 60 und 66 Prozent der Vergleichswerte von Anolis-freien Inseln, wo sie sich zumindest von diesen Räubern ungestört dem Netzbau und Insektenfang widmen konnten.
Im September 1999 schlug dann der Wirbelsturm zu, der direkt das Untersuchungsgebiet kreuzte. Die Folgen waren für beide Gruppen gleichermaßen verheerend: Ihr Lebensraum stand wegen der Sturmfluten und ergiebigen Regenfälle zeitweise komplett unter Wasser, dazu kamen die heftigen Winde. Die Forscher gehen daher davon aus, dass keine einzige Spinne dieses Desaster überlebt haben dürfte. Auch die Echsen entkamen nicht ungeschoren, aber immerhin haben wohl einige ihrer Gelege die Wetterunbilden überstanden. Denn als Schoener und Spiller erstmalig zwei Monate nach Floyd wieder zu den Inseln kamen, fanden sie wenige Anolis sagrei vor, die alle die Überschwemmung in unterirdischen Gelegen überlebt haben mussten – ihre Größe wies sie als Jungtiere aus.
Sie konnten auch schon wieder Jagd machen auf die ersten neu angekommenen Spinnen, die wahrscheinlich per Lufttransport anlandeten. Deren Artenvielfalt erreichte allerdings nur ein knappes Fünftel des vorherigen Durchschnitts, die Individuenzahl lag sogar nur bei etwa 1,7 Prozent im Vergleich zum Vierjahresmittel vor dem Hurrikan. Ein halbes Jahr nach der Stunde Null, im April 2000, waren dann elf der 41 Eilande wieder von Braunen Anolis besiedelt – wesentlich weniger als zuvor, als sie 26 Inseln ihre Heimat nennen durften –, während die Arachniden bereits überall neuerlich ihre Netze spannten.
Innerhalb von nur zwölf Monaten erholte sich dann die Diversität der Krabbeltiere auf die Werte direkt vor dem Hurrikan – gleich, ob sie nun im Existenzkampf mit Echsen standen oder nicht. Die Individuenzahl der Spinnen blieb aber im ersten Jahr nach Floyd weit hinter dem vorherigen Stand zurück, denn ihre Populationen waren jetzt noch immer um die Hälfte kleiner. Unterschiede zwischen den beiden Inseltypen waren allerdings noch marginal.
In den Folgejahren wuchsen die Spinnenbestände dann überall, aber Anolis sagrei drückte ihnen nun zunehmend seinen Stempel auf: Die ebenfalls steigende Zahl an Echsen sorgte dafür, dass die Populationsdichte der Beute auf ihren Inseln deutlich niedriger blieb als auf den Vergleichsflächen. Doch an der Artenzahl änderte sich zum Erstaunen der Forscher nicht mehr viel: Der Zuwachs blieb überall minimal, und die absoluten Höchstwerte der achtjährigen Untersuchungsperiode aus der Zeit vor dem Wirbelsturm wurden nicht mehr erreicht. Und die Anolis hatten darauf sogar keinen direkten Einfluss mehr, denn deutliche Differenzen zwischen den Inselgruppen waren weiterhin Fehlanzeige.
Vielmehr setzte sich ein langjähriger Trend fort, der auf allen Eilanden bereits vor dem Hurrikan mit einer Abnahme der Spinnenvielfalt ein- und sich danach fortsetzte. Die Gründe dafür sind den Wissenschaftlern jedoch unbekannt. Eine Erklärung könnten die höheren Regenfälle in der zweiten Hälfte der Untersuchungsperiode sein, die eine Ansiedelung neuer Spezies verzögerten oder gänzlich verhinderten. Gravierender schätzen die Forscher allerdings die großräumigen Veränderungen durch die Wirbelstürme ein, die auf breiter Spur Verwüstung hinterlassen.
Durch sie werden die Lebensräume in weitem Umfeld regelrecht leer geräumt, sodass erst diese wieder besiedelt werden müssen, bevor auch nur das erste Exemplar der jeweiligen Art in das eigentliche Untersuchungsgebiet übersetzen und die dortige Vielfalt steigern kann. Je häufiger eine derartige Störung eintritt, desto schwieriger und langwieriger wird dieser Prozess. Wegen der steigenden Zahlen von heftigen Hurrikanen in der Karibik sind das zumindest für die Spinnen derzeit keine guten Aussichten.
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