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Staatsgründung: Die nullte Dynastie der Ägypter

Welcher Pharao gründete das Reich am Nil? Eine Indiziensuche auf zirka 5000 Jahre alten Schminkpaletten und Siegelplomben engt den Kandidatenkreis ein. Und Grabungen am frühesten Königsfriedhof Ägyptens zeigen: Zu den ältesten Herrschern des Nillandes zählten auch Frauen.
Wie der Name am oberen Griff des zirka 5000 Jahre alten Schieferobjekts belegt, handeln die Bilder von Pharao Narmer.
Wie der Name oben auf dem Schieferobjekt belegt, handeln die Bilder von Pharao Narmer. Die zirka 5000 Jahre alte Palette aus Hierakonpolis zeigt womöglich die Ereignisse, die zur Reichseinigung führten.

In den mehr als 3000 Jahren, die das Pharaonenreich existierte, nannten die Ägypter ihren König stets den Herrn beider Länder. Gemeint waren die zwei Landesteile Ober- und Unterägypten, das Niltal im Süden und das Nildelta im Norden. Das Reich der Ägypter war geschaffen, als Kleinkönige erstmals jene beiden Länder zu einem großen Staat vereint hatten. Deshalb galt jeder Pharao als Reichseiniger, trug als Zeichen dafür die kombinierte Doppelkrone auf dem Haupt: die weiße Krone von Oberägypten und die rote Krone von Unterägypten. Und er stand unter dem Schutz von Nechbet und Wadjet, den beiden Landesgöttinnen in Gestalt eines Geiers und einer Kobra. Der König war auch nicht irgendwer: Unsterblich und zugleich ein Mensch sei er gewesen, so die Vorstellung der alten Ägypter. Zu Lebzeiten galt der Pharao als Abbild des Gottessohns Horus auf Erden und nach dem Tod ging er in der Totengottheit Osiris auf.

Wie felsenfest überzeugt die Ägypter von jenem Gottkönigtum waren, bezeugen die riesenhaften Grabmäler, die sie für ihre Herrscher errichteten – etwa die drei Pyramidenanlagen auf dem Gisehplateau aus dem 26. Jahrhundert v. Chr. oder der große Pyramidenkomplex des Djoser aus dem 27. Jahrhundert v. Chr. in Sakkara. Dies sind allerdings nicht die ältesten monumentalen Königsgräber. Um 3000 v. Chr. ließen die ersten Herrscher unweit von Abydos, in einem heute Umm el-Qaab genannten Gelände, Kammergräber aus Lehmziegeln anlegen. Die unterirdischen Räume waren angefüllt mit wertigen Beigaben – und den Leichnamen des Hofstaats. Dutzende Menschen waren einst neben ihren Pharaonen beigesetzt worden. Die Ausgräber fragten sich, ob auch diese als Jenseitsgaben für die Gottkönige dienten – dass es »die Gräber möglicherweise geopferter Höflinge« waren, wie der US-Archäologe und Pyramidenexperte Mark Lehner in seinem Buch »Geheimnis der Pyramiden« erklärt.

Bei ihren jüngsten Grabungen in der Königsnekropole von Abydos stießen ägyptische, deutsche und österreichische Archäologen allerdings auf Hinweise, dass es sich womöglich nicht so zugetragen hatte. Zudem mehren sich die Belege, dass unter jenen frühen Reichseinigern auch Frauen die Regentschaft über den Nilstaat innehatten. Die Funde verraten demnach mehr darüber, was in der Gründungs- und Konsolidierungsphase des pharaonischen Reichs zwischen 3200 und 3000 v. Chr., der so genannten 0. Dynastie oder Negade-III-Zeit, geschehen war. Denn wann und wie genau die beiden Länder eins wurden, ist nicht ganz klar.

Bei Grabungen in Oberägypten kamen jedoch Objekte ans Licht, die sehr nah an die damaligen Ereignisse heranführen und auf den Süden als Heimat der frühen Könige verweisen. Es sind aus Stein gefertigte Prunkstücke, bei denen es sich um die früheste Staatskunst Ägyptens handelt.

Narmer erschlägt die Feinde

Die Rede ist unter anderem von der Narmer-Palette. Die reliefierte Schieferplatte, die sich heute im Ägyptischen Museum am Tahrir-Platz in Kairo befindet, entdeckten Archäologen 1898 im Horus-Heiligtum von Hierakonpolis. Im Falkengott-Tempel war sie vor zirka 5000 Jahren als Weihgeschenk aufgestellt gewesen. Auf den beiden Seiten der Palette ist offenbar die Reichseinigung in ihren wesentlichen Schritten dargestellt.

Der König, übergroß wiedergegeben, hat einen Mann am Haarschopf gepackt und holt mit seiner Keule gegen ihn aus. Der Pharao trägt die weiße Krone auf dem Haupt, die den oberägyptischen Landesteil symbolisiert. Darüber hockt ein Falke auf einer Hieroglyphe, aus der ein Männerkopf hervorragt. Horus hat den Mann mit einer Leine am Nasenring gepackt. Die rebusartige Darstellung verweist auf das Nildelta, dessen Wappenpflanze die Papyrusstaude war. Sechs davon wachsen hier aus einer Land-Hieroglyphe. Es bedeutet demnach, dass der König die Region unterworfen hatte. Möglicherweise sind die Stauden auch als Zahl zu lesen. Dann hieße es, der Horus-Falke habe die 6000 Bewohner des Nildeltas unterworfen. Ebenso ist das Bild der beiden getöteten Feinde unter dem König zu verstehen: Sie stellen unterworfene Gegner oder Städte dar, deren Namen mit einer Hieroglyphe beigeschrieben sind.

Prunkpalette | Bei der zirka 64 Zentimeter großen Narmer-Palette handelt es sich um eine Schminkpalette. In der Vertiefung zwischen den verschlungenen Tierhälsen rührte man vielleicht aus natürlichen Pigmenten Schminke an.

Der Abschluss des offenbar blutigen Feldzugs ist auf der anderen Seite der Palette abgebildet. Über dem Bild zweier angeleinter Panther mit langen, verschlungenen Hälsen feiert Narmer seinen Triumph. Da er das Nildelta eingenommen hat, trägt er die unterägyptische rote Krone auf dem Kopf. Vor ihm schreiten Standartenträger, deren Embleme die neu dem Reich einverleibten Provinzen im Nildelta symbolisieren. Hinter dem Kopf wartet sein Sandalenträger auf, der auch auf der Rückseite der Palette den Pharao begleitet. Die Prozession bewegt sich auf zehn gefesselte und enthauptete Feinde zu – die abgeschlagenen Köpfe liegen zwischen ihren Beinen.

Wie die Reliefs belegen, existierte bereits unter Narmer vieles, was unverändert für rund drei Jahrtausende das pharaonische Ornat bilden sollte: die Kronen, die Keule, der Stierschweif am Schurz des Königs und seine Darstellung als »starker Stier«, ein Name, der zum festen Bestandteil der Königstitulatur wurde. Das Bild dazu ist am unteren Ende der Palette zu sehen: Der »starke Stier« reißt mit seinen Hörnern die Mauern einer Stadt ein und trampelt seinen Widersacher nieder.

Wie Narmer die Reichseinheit herstellte

Die Palette stiftete sehr wahrscheinlich Narmer dem Falken-Heiligtum von Hierakonpolis. Jedenfalls spielt er darauf die Hauptrolle und sein Name ist am oberen Ende beider Palettenseiten abgebildet. Zwischen zwei Köpfen der kuhgestaltigen Schutzgöttin Bat steckt eine stilisierte Palastfassade. Darin steht »Narmer«, geschrieben mit einer Fisch-Hieroglyphe, einem Wels (»nar«), und einem Meißel (»mer«). Übersetzt bedeutet der Name wahrscheinlich »schlimmer Wels«. Die Botschaft der Bilder ist klar: Der aus Oberägypten stammende Narmer unterwirft das unterägyptische Nildelta in einem groß angelegten Feldzug und stellt damit die Reichseinheit her.

Doch seit jeher bildete die pharaonische Staatskunst nicht unbedingt die Tatsachengeschichte ab. Sie war vor allem ein Mittel, um den König für alle Augen und unbestritten als gerecht, stark und unbesiegbar zu präsentieren. Doch im Fall der Narmer-Palette spricht einiges dafür, dass es sich nicht um Symbolbilder handelt, sondern dass sich die Abbildungen auf ein konkretes Ereignis beziehen.

In einer Abraumhalde in Abydos, auf dem Königsfriedhof der 0., 1. und 2. Dynastie, stieß 1998 der deutsche Archäologe Günter Dreyer (1943–2019) auf ein so genanntes Jahrestäfelchen. Solche Etiketten aus Elfenbein oder Knochen, die an einer Ecke durchbohrt wurden, um sie an den zu kennzeichnenden Waren zu befestigen, hatten ihre Funktion in der Vorratswirtschaft des Palasts. Als Datum ist darauf immer das bedeutendste Ereignis des entsprechenden Jahres verzeichnet – sie beziehen sich also auf tatsächliche Begebenheiten.

Auf dem besagten Täfelchen erschlägt Narmer in Gestalt seiner Namenshieroglyphe einen Bewohner des Marschlandes. Auch Zahlenangaben zur Kriegsbeute finden sich auf der kleinen Plakette. Eine ähnliche Darstellung ziert ein weiteres Objekt: ein Zylindersiegel, das wie die Narmer-Palette in Hierakonpolis ans Licht kam. Das Bild von Narmer als Kulturheros und Bezwinger seiner Widersacher propagiert auch ein drittes Fundstück aus dem Horus-Heiligtum. Es handelt sich um einen Keulenkopf aus Kalkstein. Allein die Größe und das Gewicht – knapp 20 Zentimeter hoch und zehn Kilogramm schwer – verdeutlichen, dass er als Prunkobjekt diente, das Narmer wie die Schminkpalette vermutlich als Weihgabe an das Heiligtum schenkte.

Narmer geriet offenbar in Vergessenheit

In merkwürdigem Kontrast zu den vielen zeitgenössischen Quellen über Narmer zu seiner zweifelsfrei großen historischen Bedeutung steht die Tatsache, dass er in der nachfolgenden Überlieferung anscheinend regelrecht in Vergessenheit geraten ist. Alle späteren Text- und Bildquellen, vor allem die Königslisten aus der Zeit des Neuen Reichs (um 1550–1069 v. Chr.), aber auch antike Historiker wie Manetho von Sebennytos (3. Jahrhundert v. Chr.) nennen als ersten Pharao des geeinten Ägypten einen Menes. Ihm wird auch die Gründung der Hauptstadt Memphis zugeschrieben, was vermutlich aber nicht stimmte. Jedenfalls beginnt im Tempel von Sethos I. (um 1323–1279 v. Chr.) in Abydos die lange Aufzählung seiner Amtsvorgänger nicht mit Narmer, der darin überhaupt nicht auftaucht, sondern mit Menes. Eine Generation später prangt ein Relief im Totentempel seines Sohns Ramses II. (1303–1213 v. Chr.) in Theben-West: Darauf ist eine Festprozession zu sehen, bei der Priester die Statuen der drei Reichseiniger Menes, Mentuhotep II. und Ahmose tragen. Die drei galten als die Begründer des Alten, Mittleren und Neuen Reichs. Von König Narmer wieder keine Spur.

Keule des Narmer | Fast 20 Zentimeter hoch und zehn Kilogramm schwer ist dieser Keulenkopf. Er fand sich in Hierakonpolis in einem Depot mit weiteren wertigen Objekten früher Könige. Die Steinkeule ist durchlocht und dürfte einst auf einem Schaft gesteckt haben.

Bekannt ist, dass die Pharaonen mit der Thronbesteigung einen neuen Namen annahmen, vergleichbar den christlichen Päpsten und Ordensleuten. Im Gegensatz zu den Geistlichen führten die ägyptischen Herrscher jedoch ihren Geburtsnamen weiter. Spätestens ab der 3. Dynastie, also ab etwa 2700 v. Chr., sind für die meisten Könige Geburts- und Thronname überliefert, weil beide in den Inschriften gemeinsam auftreten. Für die Zeit der 1. und 2. Dynastie trifft das aber nicht zu. Das erschwert die Sache.

Dennoch liegt es nahe, in Narmer und Menes ein und dieselbe Person zu erkennen, aber es lassen sich auch Argumente dafür finden, Menes mit seinem Nachfolger Pharao Hor Aha gleichzusetzen. Das legt ein weiteres Warenetikett aus Elfenbein nahe. In Negade, dem namengebenden Fundort für die Kulturstufen Ägyptens vor der Reichseinigung, fand sich 1896 ein Plättchen, auf dem der Königsname Aha und der so genannte Beide-Herrinnen-Name »mn« auftauchen – dieser auch »nebtj«-Name genannte Königstitel bezieht sich auf die beiden Landesgöttinnen Wadjet und Nechbet. Da die Ägypter nur Konsonanten verschriftlichten, aber keine Vokale wiedergaben, könnte sich hinter »mn« ein Meni oder gräzisiert Menes verbergen.

Wie Thomas Heagy, wissenschaftliches Ehrenmitglied des Griffith Institute an der University of Oxford, im Fachblatt »Archéo-Nil« erläutert, spreche allerdings einiges gegen diese Deutung. Der vermeintliche »nebtj«-Name ist auf dem Täfelchen von einer Art Schrein umgeben. Einige Ägyptologen interpretieren den Namen daher als Bezeichnung für ein Heiligtum. Jener Titel wurde nämlich sonst nie in ein »Häuschen« eingeschrieben. Zudem: Zwischen dem Plättchen und der ersten regulären Nennung des »nebtj«-Namen herrschten mehr als sieben weitere Könige, die nie mit diesem Titel überliefert sind. Kurzum: Ob Hor Aha jener Reichsgründer Menes war, ist völlig offen.

Bis wohin erstreckten sich Ober- und Unterägypten?

Wer aber war der erste Herrscher über das vereinigte Ägypten? Eine absolut zweifelsfreie Antwort zu finden, ist zurzeit nicht möglich – und das liegt nicht nur an Namen und Titeln, sondern auch an den politischen und geografischen Verhältnissen im frühdynastischen Ägypten, die alles andere als klar überliefert sind. Bis wohin erstreckte sich Oberägypten, bis wohin Unterägypten? Handelte es sich um dieselben Territorien wie später? Und wann galt »ganz Ägypten« als erobert? Vermutlich war die Ausdehnung von Ober- und Unterägypten in der frühdynastischen Zeit eine andere und auch die Grenze zwischen beiden Landeshälften verlief woanders als Jahrhunderte später, als der Titel »König von Ober- und Unterägypten« zum festen Bestandteil der insgesamt fünfteiligen Königstitulatur geworden war.

Libyerpalette | Auf dieser fragmentierten Palette sind symbolisch Könige der 0. Dynastie dargestellt. König Falke, König Löwe, König Skorpion II. und König Doppelfalke schlagen mit Hacken auf Stadtmauern ein. Das heißt, sie eroberten jene Städte, die sich vermutlich im Nildelta befanden.

Die Narmer-Palette legt nahe, dass jener Pharao durch die Eroberung des westlichen Nildeltas die Reichseinheit hergestellt hatte – die eroberten Provinzen, deren Namen auf der Palette zu erkennen sind, befanden sich wohl dort. In der östlichen Hälfte hingegen scheint sich die kulturelle Angleichung zwischen dem Niltal und dem Nildelta nach Ausweis von Grabungsfunden in einer Nekropole schon vor der politischen Einigung vollzogen zu haben. Damit wird auch klar: Der Prozess der Reichsgründung war möglicherweise nicht die Sache eines Herrschers, sondern mehrere Könige dehnten ihr Einflussgebiet allmählich aus.

Entsprechend der unsicheren Grenzziehung ist nicht klar, welche Gebiete die oberägyptische weiße Krone repräsentierte und welche der unterägyptischen roten Krone zugeordnet waren. Denn Letztere krönte vielleicht schon das Haupt eines Vorgängers von Narmer – wenn eine Lücke auf einer weiteren Prunkkeule korrekt ergänzt wurde. Das Stück kam aus dem Besitz des vordynastischen Königs Skorpion II. Zusammen mit dem Keulenkopf seines späteren Nachfolgers Narmer war es in Hierakonpolis gefunden worden. Darauf schreitet König Skorpion eine Reihe von Standarten ab, die vermutlich Gebiete im Delta symbolisieren. Sollte die Rekonstruktion einer beschädigten Stelle stimmen, dann trug Skorpion eine unterägyptische Krone und war womöglich entscheidend an der Reichseinigung beteiligt.

Der erste Königsfriedhof in Abydos

König Skorpion gehörte einer Epoche an, für die nur grob gesichert ist, welcher Pharao wann regierte. Ihre Zeit wird meist als 0. Dynastie bezeichnet. Diese Herrscher dürften schon ein erhebliches Gebiet Oberägyptens unter ihre Kontrolle gebracht haben. Ihre letzte Ruhe fanden einige von ihnen in der Nekropole von Umm el-Qaab bei Abydos. Die Architektur und Lage der Gräber dort liefern Hinweise auf die Reihenfolge ihrer Erbauung und die Identität der Grabherren.

Bis auf die Könige Iri-Hor und Ka, die gegen Ende der 0. Dynastie regierten, tragen alle Könige jener Dynastie Namen, die aus Tierhieroglyphen bestehen, deren fonetischer Lautwert oft nicht bekannt ist und die deshalb einfach als Tiernamen gelesen werden. Ein Teil davon ist auf einer fragmentierten Schminkpalette, der so genannten Libyerpalette, überliefert: Ein Falke, ein Löwe, ein Skorpion und zwei kleine Falken schlagen mit Hacken auf Stadtmauern ein. Auf der Rückseite sind Tiere und Pflanzen abgebildet und eine Hieroglyphe, die einen Wurfstock darstellt. Man liest sie »tehenu«, womit die libyschen Völker am Rand des Westdeltas bezeichnet wurden.

Wo die Libyerpalette zum Vorschein kam, ist unbekannt. Möglicherweise hatte ein Herrscher der 0. Dynastie sie an ein Heiligtum gestiftet, um auf die militärischen Leistungen seiner Vorgänger zu verweisen. Ebenso lässt sich der Fundort einiger ähnlicher Paletten nicht mehr rekonstruieren. Die Fragmente zeigen aber alle Schlachten und Kämpfe mit Libyern oder Bewohnern des Nildeltas, Königsnamen sind hingegen nicht überliefert. Sicher ist damit: Die Vereinigung von Unter- und Oberägypten dürfte durch zahlreiche militärische Auseinandersetzungen zu Stande gekommen sein.

Mindestens eine Frau auf dem Thron

Einige Ägyptologen sind überzeugt davon, dass Narmer der letzte Pharao der 0. Dynastie war und sein Nachfolger Hor Aha der erste Regent der 1. Dynastie, der mit dem Menes der späteren Überlieferung gleichzusetzen ist. Andere Fachleute rekonstruieren die Situation umgekehrt: Narmer war Menes und der erste König der 1. Dynastie. Ein Fund aus Abydos lässt allerdings wenig Zweifel daran, wer von den beiden dem anderen voranging.

Grab der Meretneith | Die Anlage aus Lehmziegeln misst ungefähr 26 mal 37 Meter und dürfte zirka 5000 Jahre alt sein. Die letzte Ruhestätte der Königin Meretneith war umgeben von den Gräbern ihrer Höflinge.

Im Jahr 1985 barg Günter Dreyer mit seinem Team vom Deutschen Archäologischen Institut in Abydos mehrere Tonplomben aus der Mitte der 1. Dynastie, auf der die Abdrücke eines Rollsiegels erhalten sind. Das daraus rekonstruierte »Nekropolensiegel« stellt eine miniaturhafte Königsliste dar. Darauf: die Namen der ersten sechs Herrscher in ihrer historischen Abfolge. Diese Liste beginnt mit Narmer und nennt als seinen unmittelbaren Nachfolger Hor Aha. Danach herrschten Djer, Djet, Den sowie dessen Mutter und Mitregentin Meretneith.

Jene Königin Meretneith führte vermutlich nach dem Tod ihres Mannes die Regierungsgeschäfte für ihren minderjährigen Sohn Den. Beigesetzt wurde sie in der Pharaonennekropole von Umm el-Qaab. Ihr Grab, das einzige einer Frau in Abydos, wurde 1899 entdeckt und 2023 erneut von einem Forscherteam um Christiana Köhler von der Universität Wien untersucht. Die Fachleute stießen in der Grabanlage auf hunderte gut erhaltene Vorratsgefäße, die zum Teil noch verschlossen waren und einst Wein enthielten – die Ausgräber sicherten auch unzählige Traubenkerne. Außerdem entdeckte Köhlers Team beschriftete Steingefäße, die bezeugen: Meretneith war für das königliche Schatzhaus verantwortlich. Folglich musste sie zentrale Regierungsämter innegehabt haben.

Keine Menschenopfer für die Könige

Die Grabstätte der Königin besteht aus ungebrannten Lehmziegeln und die einzelnen Kammern waren einst mit Holzbalken gedeckt. Der zentrale Grabraum ist von langen Gängen für Beigaben umgeben. An diesen Part wurden auf drei Seiten 41 Gräber von Mitgliedern des Hofstaats angefügt. Die Bestattungen der Gefolgschaft, die auch für die anderen Grablegen im Friedhof von Abydos belegt sind, deuteten Fachleute oft als Hinweise auf Menschenopfer. Die Beigesetzten seien ihrem Herrscher aus freien Stücken oder unfreiwillig ins Jenseits gefolgt.

Köhler und ihr Team konnten nun jedoch nachweisen, dass die einzelnen Gräber in zeitlichem Abstand voneinander angelegt und verschlossen wurden. Zudem entdeckten die Fachleute an den Überresten der Höflinge keine Spuren von Gewalteinwirkung. Die Annahme, die Dienerschaft sei nach dem Tod des Herrschers rituell getötet worden, hat sich also als Irrtum erwiesen.

Nach allem, was an Belegen vorliegt, sei Meretneith die erste Frau auf dem Pharaonenthron in der Geschichte des Nilreichs gewesen. So gaben es die Ausgräber in einer Pressemitteilung bekannt. Allerdings gibt es triftige Gründe, dies zu bezweifeln. Denn bald nach der Reichsgründung scheint bereits eine Königin Neithhotep, vermutlich die Witwe von Pharao Hor Aha, die Regierungsgeschäfte für den noch unmündigen Thronfolger Djer geführt zu haben. Das belegen einige Elfenbeinetiketten mit ihrem Namen aus Abydos, aber vor allem Felsinschriften im Wadi Ameyra auf der Sinai-Halbinsel.

Beigaben | In den Räumen um die Grabkammer der Meretneith entdeckten Archäologen teils noch verschlossene Vorratsgefäße und darin Überreste von Wein. Grab der Meretneith in Abydos.

Entdeckt hatte die Hieroglyphen 2012 ein französisches Forscherteam unter Pierre Tallet von der Pariser Sorbonne und publizierte sie 2016 in einem Buch. Aus der Inschrift im Wadi Ameyra geht hervor, dass die Königin eine Expedition auf den Sinai entsandt hatte, vermutlich um in der unwirtlichen Wüstenregion Rohstoffe zu gewinnen. Eine solche Unternehmung wäre ihr aber nur als souverän regierende Herrscherin möglich gewesen – nicht als bloße Königsgemahlin. Und die Wüstentexte legen nahe, dass sie die Frau von König Hor Aha war.

Neithhotep regierte vermutlich nicht lange. Denn im Turiner Königspapyrus, einer wohl unter Ramses II. zusammengestellten Liste aller Pharaonen, folgt auf Hor Aha ein Herrscher namens Teti – mit der verdächtig kurzen Amtszeit von nur einem Jahr und 45 Tagen. Bei ihm könnte es sich, wie Günter Dreyer annahm, um Neithhotep gehandelt haben. Teti wäre dann ein weiterer Name aus ihrer mehrteiligen Königstitulatur.

Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte haben Funde die Frühgeschichte des Pharaonenreichs immer weiter erhellt. Doch was vor rund 5000 Jahren tatsächlich geschehen war, lässt sich nur bedingt rekonstruieren. Schon wie sich die nachfolgenden Ägypter an diese Ereignisse erinnerten, dürfte sich nicht mehr exakt mit den Tatsachen gedeckt haben. Stücke aus der frühdynastischen Zeit wie die Narmer-Palette legen jedoch nahe, dass Narmer sich als Reichseiniger inszeniert hatte und seine Nachfahren ihn als solchen feierten. Womöglich war er für sie jener berühmte Menes.

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