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Teilchenphysik: Wer baut den nächsten Super-Beschleuniger?

Die Teilchenphysik ist zunehmend uneins, auf welchem Weg in Zukunft bahnbrechende Entdeckungen gelingen sollen. Gegen diesen Trend sprießen Pläne für immer neue, noch größere Beschleunigeranlagen.
LHC-Tunnel

Es war ein Triumph für die Teilchenphysik, und viele wollten davon profitieren: Nach der Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012 am größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider LHC, preschten japanische Forscher mit der Idee vor, einen noch größeren Beschleuniger in ihrer Heimat zu errichten. Das Großinstrument soll auf dem Erfolg des LHC aufbauen und die Eigenschaften des Higgs-Bosons – und weiterer, bereits bekannter oder noch zu entdeckender Teilchen – mit hoher Genauigkeit vermessen.

Zuletzt kam nun aber wieder Unsicherheit über die nächsten Schritte in der Teilchenphysik auf. Das konnte man gut an den Diskussionen ablesen, die Anfang August auf der "International Conference on High Energy Physics" ICHEP geführt wurden. Viel hängt davon ab, ob der LHC auf Phänomene jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik stößt. Bislang ist das zwar nicht geschehen, doch viele Physiker rechnen fest damit. Entscheidend ist aber auch, ob China an seinem Plan festhält, einen LHC-Nachfolger zu bauen.

Als die japanischen Wissenschaftler damals ihre Idee vortrugen, hatte ein internationales Team bereits einen Entwurf für den Beschleuniger vorbereitet. Demnach sollen im 31 Kilometer langen "International Linear Collider" ILC Elektronen und Positronen zusammenstoßen. Am LHC des europäischen Forschungszentrums CERN bei Genf waren dagegen Protonen auf ihrer kreisförmigen Bahn mit einem Umfang von 27 Kilometern kollidiert.

Saubere Zusammenstöße

Protonen sind aus Quarks zusammengesetzte Teilchen, und ihre Kollisionen produzieren daher eine unübersichtliche Menge an Trümmern. Im Gegensatz dazu sind Elektronen und Positronen elementare Teilchen und produzieren deshalb "saubere" Zusammenstöße, die genauere Messungen ermöglichen. Und so ließen sich, das ist die Hoffnung der Physiker, endlich Abweichungen vom im Rahmen des Standardmodells vorhergesagten Verhalten der Teilchen aufspüren.

Detaillierte Untersuchungen am Higgs-Boson und an Top-Quarks durchführen zu können – diese Möglichkeiten sind Grund genug für Physiker, den Bau eines LHC-Nachfolgers zu unterstützen. Doch das Beratergremium des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie MEXT ließ im vergangenen Jahr verlauten, dass es diese Begründung für nicht ausreichend hält: Mit einer Entscheidung wolle man bis nach den für 2018 geplanten Experimenten mit maximaler Energie am LHC warten.

Das Beratergremium ist also nicht davon überzeugt, dass der ILC unabhängig von den Ergebnissen der LHC-Experimente in jedem Fall gebaut werden sollte, erläutert Masanori Yamauchi, Generaldirektor von KEK, der japanischen Forschungsorganisation für Hochenergie- und Beschleuniger-Physik. "Das ist die Aussage, die hinter der Stellungnahme verborgen ist." Erst die Entdeckung neuer Phänomene durch den LHC würde ausreichende Argumente für den Bau des ILC liefern.

Neue Teilchenbeschleuniger?

Physiker in den USA machen sich seit Langem für den Bau eines neuen Linear-Beschleunigers stark. Experten des MEXT und des U.S. Departments of Energy beraten darüber, so Yamauchi, wie sich die bislang auf zehn Milliarden US-Dollar geschätzten Kosten des ILC reduzieren lassen. Es scheint möglich, die Kosten um 15 Prozent zu drücken – trotzdem aber benötige Japan die Zusagen anderer Staaten, bevor es sich für einen Bau des ILC entscheidet.

Konkurrenz aus China

Dieses Zögern könnte die chinesische Konkurrenz nutzen. In den Monaten nach der Entdeckung des Higgs-Bosons stellten Physiker um Wang Yifang, den Direktor des Instituts für Hochenergiephysik in Peking, ihren Plan für den Bau eines großen Beschleunigers in China vor, der in den 2030er Jahren umgesetzt werden könnte. Auch dieser soll zum Teil durch die internationale Forschungsgemeinschaft finanziert werden und auf die präzise Untersuchung des Higgs-Bosons und anderer Teilchen spezialisiert sein. Angelegt als Ringbeschleuniger mit 50 bis 100 Kilometer Umfang würde er für Elektron-Positron-Kollisionen zwar nicht die Energien des ILC erreichen. Aber in einem für diesen Beschleuniger benötigten Tunnel ließe sich später zusätzlich ein Proton-Proton-Collider errichten – mit dann erheblich geringeren Kosten.

Wang und sein Team sicherten sich in diesem Jahr 35 Millionen Yuan – umgerechnet etwa 4,7 Millionen Euro – vom chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technik, um das Projekt voranzutreiben. Zwar lehnte im Juli die chinesische Nationale Entwicklungs- und Reformkommission einen Antrag auf weitere 800 Millionen Yuan ab, doch es gäbe noch andere Möglichkeiten der Finanzierung, so Wang. Derzeit will sich das Team darauf konzentrieren, das internationale Interesse an dem Vorhaben zu erhöhen.

Indem die chinesischen Forscher das weltweite Interesse an der Higgs-Physik anfeuern, fördern sie zugleich das ILC-Projekt, sagt Yamauchi. Aber wenn die Chinesen erst einen Vorsprung haben, könnte das die internationale Finanzierung vom ILC abziehen: "Das mag vielleicht schon negative Folgen haben", befürchtet er.

Der Super-LHC

Die Option, Chinas Elektron-Positron-Collider als Basis für einen riesigen Protonen-Collider zu verwenden, würde auch Pläne des CERN durcheinanderbringen. Dort soll ein neuer Beschleunigerring mit 100 Kilometer Durchmesser gebaut werden, in dem Protonen mit der siebenfachen Energie des LHC zusammenstoßen könnten. Bis Mitte der 2030er Jahre ist das CERN zunächst damit beschäftigt, die Intensität – aber nicht die Energie – des Protonenstrahls am LHC zu erhöhen. Bis dahin könnte China jedoch bereits einen geeigneten Tunnel für einen Protonen-Speicherring haben. Und das dürfte es erschweren, Unterstützung für einen Super-LHC am CERN zu erhalten.

Während der ICHEP brachte Fabiola Gianotti, die Generaldirektorin des CERN, eine Zwischenlösung ins Gespräch: Um das Jahr 2035 könnten die Magneten des LHC so frisiert werden, dass eine moderate Steigerung der Energie von 14 Teraelektronvolt (TeV) auf 28 TeV möglich wird. Dafür gäbe es gute wissenschaftliche Gründe, jedenfalls wenn der LHC bei 14 TeV tatsächlich neue Physik nachweist, so Gianotti. Die Kosten in Höhe von fünf Milliarden Dollar ließen sich aus dem normalen Etat des CERN begleichen.

Jahrzehntelang haben immer neue Beschleunigeranlagen Teilchen aufgespürt, deren Existenz das Standardmodell vorhergesagt hatte. Es gibt keine Garantie dafür, dass der LHC oder einer seiner angedachten Nachfolger tatsächlich Anzeichen für eine neue Physik finden. Die Nachfragen von ICHEP-Teilnehmern lassen denn auch auf eine eher unentschiedene Stimmungslage schließen: Schließlich müsse man, so konstatierten einige, junge Hochenergie-Physiker auch davon überzeugen, dass ihr Forschungsgebiet eine Zukunft hat. Andere dachten laut darüber nach, ob die hohen Summen nicht lieber anders als in immer größere Beschleuniger investiert werden sollten.

In den USA beispielsweise setzen viele Forscher nicht auf große Beschleuniger, sondern auf Neutrinos als die Elementarteilchen, die Hinweise auf eine Physik jenseits des Standardmodells liefern werden. Das Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia im US-Bundesstaat Illinois hofft, zum Weltzentrum der Neutrinophysik zu werden: Dort wird für eine Milliarde Dollar die "Long-Baseline Neutrino Faciliy" errichtet, die ab 2025 Neutrinostrahlen auf eine ganze Batterie von Detektoren richten soll.

Die Finanzierung hängt von einer positiven Entscheidung des amerikanischen Kongresses im kommenden Jahr ab. Doch auf der ICHEP zeigte sich Fermilab-Direktor Nigel Lockyer zuversichtlich: "Wir sind bereits über den Punkt hinaus, an dem eine Ablehnung möglich wäre – die Einrichtung wird kommen!"


Der Artikel ist im Original "Who will host the next LHC?" in "Nature" erschienen.

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