Vogelzug: Umgepolt
Nun ist wieder Zeit des Abschieds: Die Zugvögel verlassen den unwirtlichen Norden und suchen Wärme wie Nahrung im Süden. Was aber passiert, wenn ein Sturm sie kräftig aus der Bahn bläst? Fliegen sie dann in die falsche Richtung?
Vor der Erfindung von GPS und Satellitentelefon war es für einsame Wanderer oder mehrköpfige Expeditionen zumindest mühsam, häufiger aber desaströs, wenn der einfache Kompass versagte – aus welchen Gründen auch immer: Ohne zuverlässige Orientierungshilfe irrten die Betroffenen umher, verdursteten, erfroren oder entkamen dem Exitus nur knapp.
Zugvögel dagegen können natürlich nicht auf technische Navigationsmittel zurückgreifen, sondern müssen mit dem Vorlieb nehmen, was die Evolution für sie vorgesehen hat: Sie nutzen das Erdmagnetfeld, richten sich nach dem Stand der Sonne oder der Sterne, analysieren das in der Atmosphäre gestreute polarisierte Licht unseres Zentralgestirns oder lassen sich von Flüssen oder Straßen leiten. Doch diese scheinbar primitiven Wegweisungen funktionieren perfekt, was alljährlich Abermillionen wandernde Enten, Gänse, Greife, Stare, Drosseln und Konsorten beweisen.
Dass sie in der Mehrheit der Fälle sicher an ihr Ziel gelangen, hängt auch mit der System-Absicherung der Tiere zusammen, denn sie verlassen sich nicht nur auf einen Sinn. Ist etwa das Erdmagnetfeld zu schwach, nutzen sie ihren Sternenkompass oder umgekehrt. Was aber machen die Vögel, wenn sie von einem Orkan weitab der gewohnten Heimat verdriftet werden? Oder wie ziehen sie während des Polartags ohne ersichtliche Sternenwelt und mit milchigem Tageslicht in der Nähe des magnetischen Nordpols? Bringen sie diese Störungen vom Kurs ab?
Die amerikanischen Singvögel mussten mit ihren Sinnen also nicht nur die hier sehr steil ins Innere der Erde führenden Feldlinien des Erdmagnetfelds und das Dauerlicht der Mitternachtssonne kompensieren, sondern ebenso in einer völlig fremden Topografie mit einer teils extremen Verschiebung des gewohnten Längengrads umgehen. Dessen exakte Bestimmung durch Magnetismus und Sternenkompass erschien den Forschern allerdings für die Tiere weit schwieriger als deren Erkennung zu überfliegender Breitenkreise.
Daher gingen sie davon aus, dass sich die umgesiedelten Jungvögel – erstmalig bereit für den Flug gen Winterquartier – in den präparierten Flugkäfigen unabhängig von ihrem Zwangsstandort stets nach Südosten orientieren: die Richtung, die sie auch von ihrem Geburtsort aus einschlagen würden. Die Erwachsenen sollten dagegen je nach jeweiligem Standort – alle Vögel wurden immer mit dem Schiff zu neuen Positionen gebracht – erst nach Südosten fliegen und dann bei Annäherung an die eigentlich Heimat mehr und mehr nach Süden wenden.
Die in runden Orientierungskäfigen gehaltene Vergleichsgruppe in der ursprünglichen Heimat der Dachsammern verhielt sich auch so. Tag für Tag richteten sie ihr Flugverhalten nach Südosten aus, wo die texanische Winterresidenz lockt. Und ebenso hielten es die in der Arktis kreuzfahrenden Artgenossen nach jeweils ein bis zwei Tagen der Eingewöhnung, in der sie ihren Kompass anscheinend neu kalibrierten: So lange sie sich westlich des magnetischen Nordpols aufhielten, steuerten sie jedenfalls die gewohnte Flugrichtung Südost an.
Eine Überraschung erlebten die Wissenschaftler allerdings, nachdem sie die Ellef-Ringnes-Insel und ihre geophysikalische Besonderheit auf dem Weg nach Osten hinter sich gelassen hatten. Nun zeigten dieselben alten wie jungen Vögel einen starken Drang nach Westen oder Nordwesten, wo ihr eigentliches Ursprungsgebiet und ihre natürliche Wanderungslinie lagen. Keiner wollte dagegen mehr von hier aus nach Südosten durchstarten.
Was aber veranlasste die Dachsammern zu einem derartig radikalen Wechsel in der Navigation? Es waren jedenfalls nicht die steilen Feldlinien, denn Versuche mit künstlichen Magnetfeldern am Fangort der Tiere lösten diesen Effekt bei der Vergleichsgruppe nicht aus. Und da sich auch Feldstärke, Sonnenstand und -einstrahlung während der Versuchsperiode nicht wesentlich änderten, zieht das Team um Åkesson einen vierten Aspekt ins Kalkül: die Deklination – den Grad der Abweichung zwischen dem magnetischen und dem geografischen Nordpol.
Nur dieser Aspekt wechselte im Testgebiet in größerem Maßstab, denn seine Vorzeichen kehren sich beim Passieren der Ellef-Ringnes-Insel um. Damit waren aber die von den Vögeln in ihre Heimat angelegten geistigen Magnetkarten hinfällig; sie versuchten stattdessen durch ihren Westkurs wieder in vertraute Magnetfeldregionen zu kommen, in denen die Deklination wieder einigermaßen stimmig war und sie so dann den gewohnten Zugbahnen einigermaßen folgen konnten.
Zur Bestimmung dieser Abweichung kam den Dachsammern nun jedoch gegen Ende der Versuchsperiode auch die zunehmende Nachtlänge zu Hilfe. Denn wohl erst der Sternenhimmel ermöglichte ihnen den Abgleich zwischen den beiden Polen richtig zu erkennen und damit die Flugrichtung zu ändern. Damit konnten die Wissenschaftler erstmals zeigen, dass auch Vögel durchaus in der Lage sind, ihre Position nicht nur nach Breiten- sondern ebenso nach Längengraden zu bestimmen, und entdeckten so eine weitere Funktion des Magnetsinns der Tiere. Selbst Experimente aus der Wissenschaft werfen sie da allenfalls temporär aus der Bahn Richtung Winterdomizil.
Zugvögel dagegen können natürlich nicht auf technische Navigationsmittel zurückgreifen, sondern müssen mit dem Vorlieb nehmen, was die Evolution für sie vorgesehen hat: Sie nutzen das Erdmagnetfeld, richten sich nach dem Stand der Sonne oder der Sterne, analysieren das in der Atmosphäre gestreute polarisierte Licht unseres Zentralgestirns oder lassen sich von Flüssen oder Straßen leiten. Doch diese scheinbar primitiven Wegweisungen funktionieren perfekt, was alljährlich Abermillionen wandernde Enten, Gänse, Greife, Stare, Drosseln und Konsorten beweisen.
Dass sie in der Mehrheit der Fälle sicher an ihr Ziel gelangen, hängt auch mit der System-Absicherung der Tiere zusammen, denn sie verlassen sich nicht nur auf einen Sinn. Ist etwa das Erdmagnetfeld zu schwach, nutzen sie ihren Sternenkompass oder umgekehrt. Was aber machen die Vögel, wenn sie von einem Orkan weitab der gewohnten Heimat verdriftet werden? Oder wie ziehen sie während des Polartags ohne ersichtliche Sternenwelt und mit milchigem Tageslicht in der Nähe des magnetischen Nordpols? Bringen sie diese Störungen vom Kurs ab?
Diese Fragen stellten sich auch Susanne Åkesson und ihre Kollegen von der schwedischen Universität Lund. Folglich "verschleppten" sie mehrere junge und erwachsene Dachsammern (Zonotrichia leucophrys gambelii) kurz nach der Brutzeit aus ihrer angestammten Heimat in den kanadischen Nordwest-Territorien bis zu knapp 3000 Kilometer weit ostwärts in die Gegend des magnetischen Nordpols und darüber hinaus – per Eisbrecher und Hubschrauber. Zur Zeit des Experiments weilte der wandernde Nullpunkt aller Kompassnadeln unter der ebenfalls zu Kanada zählenden Ellef-Ringnes-Insel jenseits des Polarkreises.
Die amerikanischen Singvögel mussten mit ihren Sinnen also nicht nur die hier sehr steil ins Innere der Erde führenden Feldlinien des Erdmagnetfelds und das Dauerlicht der Mitternachtssonne kompensieren, sondern ebenso in einer völlig fremden Topografie mit einer teils extremen Verschiebung des gewohnten Längengrads umgehen. Dessen exakte Bestimmung durch Magnetismus und Sternenkompass erschien den Forschern allerdings für die Tiere weit schwieriger als deren Erkennung zu überfliegender Breitenkreise.
Daher gingen sie davon aus, dass sich die umgesiedelten Jungvögel – erstmalig bereit für den Flug gen Winterquartier – in den präparierten Flugkäfigen unabhängig von ihrem Zwangsstandort stets nach Südosten orientieren: die Richtung, die sie auch von ihrem Geburtsort aus einschlagen würden. Die Erwachsenen sollten dagegen je nach jeweiligem Standort – alle Vögel wurden immer mit dem Schiff zu neuen Positionen gebracht – erst nach Südosten fliegen und dann bei Annäherung an die eigentlich Heimat mehr und mehr nach Süden wenden.
Die in runden Orientierungskäfigen gehaltene Vergleichsgruppe in der ursprünglichen Heimat der Dachsammern verhielt sich auch so. Tag für Tag richteten sie ihr Flugverhalten nach Südosten aus, wo die texanische Winterresidenz lockt. Und ebenso hielten es die in der Arktis kreuzfahrenden Artgenossen nach jeweils ein bis zwei Tagen der Eingewöhnung, in der sie ihren Kompass anscheinend neu kalibrierten: So lange sie sich westlich des magnetischen Nordpols aufhielten, steuerten sie jedenfalls die gewohnte Flugrichtung Südost an.
Eine Überraschung erlebten die Wissenschaftler allerdings, nachdem sie die Ellef-Ringnes-Insel und ihre geophysikalische Besonderheit auf dem Weg nach Osten hinter sich gelassen hatten. Nun zeigten dieselben alten wie jungen Vögel einen starken Drang nach Westen oder Nordwesten, wo ihr eigentliches Ursprungsgebiet und ihre natürliche Wanderungslinie lagen. Keiner wollte dagegen mehr von hier aus nach Südosten durchstarten.
Was aber veranlasste die Dachsammern zu einem derartig radikalen Wechsel in der Navigation? Es waren jedenfalls nicht die steilen Feldlinien, denn Versuche mit künstlichen Magnetfeldern am Fangort der Tiere lösten diesen Effekt bei der Vergleichsgruppe nicht aus. Und da sich auch Feldstärke, Sonnenstand und -einstrahlung während der Versuchsperiode nicht wesentlich änderten, zieht das Team um Åkesson einen vierten Aspekt ins Kalkül: die Deklination – den Grad der Abweichung zwischen dem magnetischen und dem geografischen Nordpol.
Nur dieser Aspekt wechselte im Testgebiet in größerem Maßstab, denn seine Vorzeichen kehren sich beim Passieren der Ellef-Ringnes-Insel um. Damit waren aber die von den Vögeln in ihre Heimat angelegten geistigen Magnetkarten hinfällig; sie versuchten stattdessen durch ihren Westkurs wieder in vertraute Magnetfeldregionen zu kommen, in denen die Deklination wieder einigermaßen stimmig war und sie so dann den gewohnten Zugbahnen einigermaßen folgen konnten.
Zur Bestimmung dieser Abweichung kam den Dachsammern nun jedoch gegen Ende der Versuchsperiode auch die zunehmende Nachtlänge zu Hilfe. Denn wohl erst der Sternenhimmel ermöglichte ihnen den Abgleich zwischen den beiden Polen richtig zu erkennen und damit die Flugrichtung zu ändern. Damit konnten die Wissenschaftler erstmals zeigen, dass auch Vögel durchaus in der Lage sind, ihre Position nicht nur nach Breiten- sondern ebenso nach Längengraden zu bestimmen, und entdeckten so eine weitere Funktion des Magnetsinns der Tiere. Selbst Experimente aus der Wissenschaft werfen sie da allenfalls temporär aus der Bahn Richtung Winterdomizil.
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