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Diabetes: Unnötiges Leiden

Der Altersdiabetes kommt auf leisen Sohlen: Bei seiner Diagnose hat er meist schon irreparable Schäden angerichtet. Dabei ließe sich die Krankheit, die immer häufiger auch junge Menschen befällt, in vielen Fällen durch ausreichend Bewegung und gesunde Ernährung im Keim ersticken.
Zucker
Als der kleine Hundertkilomann wegen dieses lästigen Kribbelns in den Zehen den Arzt aufsuchte, war es – wie bei zahllosen Leidensgenossen – bereits viel zu spät. Denn schon seit Jahren verrichtete in seinem Körper – von ihm selbst vollkommen unbemerkt – eine Krankheit heimlich, still und leise ihre Zerstörungsarbeit: Diabetes mellitus Typ 2. Bei dieser Form der Zuckerkrankheit verlieren insbesondere die Zellen der Muskulatur, des Fettgewebes und der Leber die Fähigkeit, auf das Hormon Insulin zu reagieren – es besteht eine Insulinresistenz.

Normalerweise sorgt Insulin dafür, dass der Blutzuckerspiegel stets in etwa auf dem gleichen Level bleibt. Dafür bindet das Hormon, das die Betazellen der Bauchspeicheldrüse immer dann bilden, wenn ihnen ein zu hoher Glukosespiegel im Blut gemeldet wird, an einen Insulinrezeptor auf der Zelloberfläche. Dieser leitet daraufhin ein Signal in die Zelle weiter, das seinerseits über mehrere Zwischenschritte einen Glukosetransporter aktiviert, der schließlich Glukose aus dem Blut in die Zelle aufnimmt. Dadurch sinkt letztendlich der Glukosespiegel im Blut.

Liegt nun aber wie beim Diabetes Typ 2 eine Insulinresistenz vor, dann funktionieren diese Prozesse nicht richtig, und die Glukose wird deswegen nicht ausreichend aus dem Blut in die Zellen aufgenommen. Damit beginnt ein Teufelskreis: Die Bauchspeicheldrüse produziert noch mehr Insulin, das wieder keine Wirkung zeigt, was den Blutzuckerspiegel in die Höhe treibt und wiederum die Insulinproduktion ankurbelt. Irgendwann nach einigen Jahren ist die Bauchspeicheldrüse dann schlichtweg überarbeitet und produziert nur noch unzureichend Insulin – es kommt zum manifesten Diabetes mellitus Typ 2.

Heimlich, still und leise

Der Betroffene merkt während dieser langen Jahre meist kaum etwas von dem aus dem Lot geratenen Prozess – er fühlt sich eigentlich ganz gut. Doch die ganze Zeit nagt die Krankheit bereits an verschiedenen Organen: Bei der Diagnosestellung zeigen 20 bis 40 Prozent der Patienten schon Folgeschäden der Krankheit an Blutgefäßen und Nerven, bis zu 30 Prozent weisen Schäden an der Netzhaut und damit ein hohes Erblindungsrisiko auf, und bei 15 Prozent der Neudiagnostizierten beginnen zu diesem Zeitpunkt schon Nierenschäden. Im weiteren Verlauf der Krankheit drohen als Spätfolgen der Krankheit Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombosen und Amputationen.

Zuckerkrank – mit Folgen | Rund sechs Millionen Menschen leben mit Diabetes und müssen mit Folgekrankheiten rechnen.
Etwa sechs Millionen Menschen leben nach Angaben des Nationalen Aktionsforums Diabetes mellitus in Deutschland mit Diabetes Typ 2; bei schätzungsweise weiteren zwei bis drei Millionen ist die Krankheit noch nicht erkannt. Jährlich steigt die Zahl der Diabetiker um rund fünf Prozent, und immer mehr Patienten sterben an der Krankheit.

Doch nicht nur die absolute Zahl der Diabetiker nimmt zu, sondern es zeigt sich eine geradezu dramatische Entwicklung: Früher litten vorwiegend ältere Personen an der Zuckerkrankheit (deswegen wurde sie auch als Altersdiabetes bezeichnet), seit einigen Jahren haben aber auch immer mehr Kinder und Jugendliche bereits Altersdiabetes – der Preis für Übergewicht und Bewegungsarmut durch stundenlanges Stillsitzen vor Fernseher und Computer mit pappsüßen Softdrinks und fettigem Fastfood.

Denn entscheidende Krankheitsfaktoren bleiben zum einen eine genetische Veranlagung – Personen mit einem Typ-2-Diabetiker in der Verwandtschaft haben ein etwa doppelt so hohes Erkrankungsrisiko wie unbelastete Menschen. Zum anderen spielen auch Übergewicht und Bewegungsmangel eine große Rolle – etwa 80 Prozent der neu diagnostizierten Diabetiker bringen zu viele Kilos auf die Waage. Und noch eine Angewohnheit hat fatale Folgen: Wer raucht, trägt ein doppelt so hohes Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken wie Nichtraucher.

Vermeidbares Leiden

Umgekehrt lässt sich die Krankheit durch einfache Maßnahmen im Keim ersticken, wie eine finnische und eine amerikanische Studie bereits vor einigen Jahren eindrucksvoll zeigten: Wenn Personen mit beeinträchtigter Insulinwirkung ihr Gewicht reduzieren und regelmäßig Sport treiben, sinkt ihr Diabetes-Risiko innerhalb von drei bis vier Jahren gegenüber denjenigen, die nichts an ihrer Lebensweise ändern, um mehr als 50 Prozent.

Die finnische Diabetes-Präventionsgruppe um Jaana Lindström vom National Public Health Institute in Helsinki verfolgte die gesundheitliche Entwicklung der Personen, die ein individualisiertes Programm mit regelmäßiger Betreuung zur Änderung ihrer Lebensweise bekommen hatten (mehr Bewegung, weniger Fett und mehr Faserstoffe in der Nahrung), noch etliche Jahre nach Beendigung des Programms weiter [1].

Dabei zeigte sich, dass die individuell betreute Gruppe auch bis zu sieben Jahre danach besser dastand als die Vergleichsgruppe: Innerhalb dieses Zeitraums erkrankten deutlich weniger Personen an Diabetes – das individualisierte Programm hatte also auch nach seinem Ende noch nachhaltige Wirkung. Geeignete Präventionsprogramme können demnach recht effektiv Neuerkrankungen gefährdeter Personen verhindern oder zumindest hinauszögern.

Prävention tut auch dringend Not: In Deutschland fließen derzeit jedes Jahr rund 25 Milliarden Euro in die Behandlung von Diabetes und seinen Folgeerkrankungen – ganz abgesehen von dem Verlust an Lebensqualität und dem früheren Tod zahlreicher Menschen. Dramatisch ist auch die Entwicklung in Asien: Dort nimmt Diabetes Typ 2 ein geradezu epidemisches Ausmaß an.

Epidemieartige Ausbreitung in Asien

Eine Wissenschaftlergruppe um Kun-Ho Yoon vom Kangnam St Mary's Hospital in Seoul gibt einen Überblick über die Entwicklung von Diabetes Typ 2 in Asien [2]. Dort stieg demnach die Anzahl der Diabetes-Erkrankungen in den letzten 15 Jahren deutlich an – stärker als in den USA. Auffällig ist, dass in den asiatischen Ländern im Verhältnis viel mehr junge Menschen betroffen sind als in den USA – und das, obwohl in Asien im Verhältnis viel weniger Übergewichtige Menschen als in den westlichen Industrienationen leben.

Das Phänomen, dass Asiaten schon bei viel geringerem Körpergewicht als Europäer entwickeln, nahm nun das Team um Gerald Shulman vom Howard Hughes Medical Institute der Yale-Universität genauer unter die Lupe [3]. Die Wissenschaftler untersuchten junge, schlanke, nicht rauchende und körperlich nicht aktive Personen verschiedener ethnischer Abstammung auf Insulinresistenz. Dabei zeigte sich, dass asiatische Männer (nicht aber die Frauen) drei- bis viermal so häufig eine Insulinresistenz auswiesen als die Studienteilnehmer anderer Abstammung. Die Frauen sind möglicherweise durch den höheren Östrogenspiegel besser vor dieser Krankheit geschützt.

Yoons Team fordert dringend Präventionsmaßnahmen für Asien, wobei die Änderung der Lebensweise an erster Stelle stehen sollten. Etabliert sich aber aller Prävention zum Trotz ein Diabetes Typ 2, können den Patienten Medikamente helfen. Diese erreichen zum Teil mehr, als nur den Blutzuckerspiegel in den Griff zu bekommen: Unter Umständen schützen sie sogar vor einer Folgeerkrankung, wie die Arbeitsgruppe um Theodore Mazzone von der Universität von Illinois in Chicago beobachtete [4].

Schutz vor Folgeerkrankungen

Die Mediziner behandelten Patienten mit Diabetes Typ 2 entweder mit dem Medikament Pioglitazon, das die Insulinsensibilität des Körpers verbessert, oder mit Glimepirid, das die Bauchspeicheldrüse dazu anregt, mehr Insulin zu produzieren. Vor Beginn der Behandlung und nach 72 Wochen Therapie bestimmte das Team die Wanddicke der Karotis, der großen, zum Kopf führenden Arterie.

Präventionsmaßnahmen zur Eindämmung des Diabetes mellitus Typ 2:
  1. Erhalt eines normalen Körpergewichts
  2. gesunde, ausgewogene, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung
  3. regelmäßige körperliche Aktivität von mindestens 30 Minuten pro Tag an mindestens fünf Tagen pro Woche
Nationales Aktionsforum Diabetes mellitus
Die Medikamente hatten eine ganz unterschiedliche Wirkung auf die Dicke der Arterienwände: Bei den Patienten, die Glimerirpirid bekamen, verdickten sich die Gefäßwände im Verlauf der Studie, unter der Behandlung von Pioglitazon hingegen wurden die Arterienwände sogar geringfügig dünner – ein gutes Zeichen. Denn je langsamer die Gefäßwände dicker werden, umso geringer ist das Risiko für Herz und Kreislauf. Damit könnte der Einsatz von Pioglitazon in der Behandlung von Diabetes Typ 2 das Folgerisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken.

Der beste Schutz vor Folgeerkrankungen des Diabetes ist aber, die Krankheit gar nicht erst zum Ausbruch kommen zu lassen. Da aber fast jeder dritte Bundesbürger im Laufe seines Lebens einen Diabetes Typ 2 entwickelt, fordert die AG Prävention des Typ-2-Diabetes der Deutschen Diabetes-Gesellschaft neben einer verbesserten Früherkennung eine bessere Prävention für die gesamte Bevölkerung.

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