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News: Verwandtschaftliche Verhältnisse

Die bisher verheerendste Grippe-Pandemie wütete 1918: Mindestens 20 Millionen Menschen fielen ihr zum Opfer. Was das Virus von damals derart gefährlich machte, versuchen Forscher an einem Oberflächenprotein zu ergründen, das aus konservierten Grippeopfern von damals rekonstruiert wurde.
Die aktuell in Asien grassierende Vogelgrippe beobachten Wissenschaftler und Seuchenmediziner mit Argusaugen. Denn deren Erreger, ein Virus vom Typ H5N1, gehört zu den besonders aggressiven Vertretern der Grippeviren. Er befällt zunächst nur das Geflügel – doch er kann auch auf den Menschen überspringen, wie einzelne Todesopfer in den betroffenen Ländern zeigen. Richtig riskant für den Menschen wird das Virus dann, wenn es sich den Übertragungsweg von Mensch zu Mensch aneignet.

Das ist dem aktuellen Vogelgrippe-Erreger bisher noch nicht gelungen. Grundsätzlich möglich ist es aber: Trifft es im menschlichen Körper auf ein humanpathogenes Virus, kann es mit diesem munter Gene austauschen und so Eigenschaften dieses auf den Menschen spezialisierten Typus annehmen. Ein aus solcher Mischung entstehendes Virus könnte rasend schnell eine Pandemie auslösen, da weder der Mensch über geeignete Antikörper gegen diese neue Variante verfügt, noch die aktuell verfügbaren Impfstoffe dagegen wirken.

Der Erreger der Grippe von 1918 hat nach Ansicht von Wissenschaftlern genau diesen Weg vom Vogel zum Menschen genommen und entwickelte sich dort zu der tödlichen Variante weiter. Doch was machte dieses Virus derart infektiös und tödlich?

Jahrzehntelang war es von der Erde verschwunden, bis vor wenigen Jahren Wissenschaftler das Genom des Virus rekonstruierten. Dazu griffen sie auf in Formalin konservierte Lungenpräparate von an der Spanischen Grippe Gestorbenen und auf ein im Permafrost begrabenes Opfer zurück. Damit wurde das Virus als Typ H1N1 identifiziert – Grippeviren unterscheiden sich in den Oberflächenproteinen Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) und werden dementsprechend nummeriert.

Inzwischen ist es gelungen, aus dieser genetischen Vorlage das Oberflächenprotein Hämagglutinin herzustellen, das bei der Anheftung und beim Eindringen des Virus in die Wirtszelle eine entscheidende Rolle spielt. Nun haben zwei Arbeitsgruppen die Struktur dieses Eiweißes analysiert und mit dem anderer Typen von Grippeviren verglichen.

Das Team um Ian Wilson vom Scripps Research Institute in La Jolla studierte die Kristallstruktur des Proteins und verglich sie mit dem Hämagglutinin der Virentypen H3, H5 und H9, die den Menschen, Vögel beziehungsweise Schweine infizieren [1]. Dabei beobachteten die Forscher bei dem rekonstruierten Protein einige Charakteristika, die eigentlich typisch sind für das Vogelvirus H5: So hat das Hämagglutinin des Virus der Spanischen Grippe eine dem des Vogelvirus ähnliche Form. Große Übereinstimmung mit dem Vogelvirus besteht auch in dem Bereich dieses Eiweißes, mit dem es an die Wirtszelle bindet, wie auch an der Stelle, an der Enzyme angreifen und dadurch das Eindringen des Virus in die Wirtszelle einleiten. Die Forscher schließen aus diesen Beobachtungen, dass diese Eigenschaften an der Aggressivität des Virus von 1918 beteiligt gewesen sein könnten.

Eine frappierende Ähnlichkeit des Virus von 1918 mit dem vogelpathogenen Virus vom Typ H5 beobachtete bei ihren Analysen auch die Gruppe um Steve Gamblin vom MRC National Institute for Medical Research in London [2]. Neben der Struktur des Hämagglutinin untersuchten die Londoner Forscher zudem, wie dieses Oberflächenprotein an die Wirtszelle bindet. Im Vergleich mit anderen Viren von H1-Typ stellten sie fest, dass das Virus von 1918 zwar stark dem Vogelvirus ähnelt, aber dennoch gut an menschliche Zellen bindet. Dadurch wurde nach Ansicht der Wissenschaftler die Verbreitung des aggressiven Virus von Mensch zu Mensch möglich.

Sollte dieses Kunststück nun auch dem aktuellen asiatischen Vogelvirus gelingen, ist allerdings kaum mit einer Pandemie der verheerenden Ausmaße wie 1918 zu rechnen. Heute – anders als damals – stehen der Medizin virenhemmende Medikamente sowie Antibiotika zur Behandlung bakterieller Begleitinfektionen zur Verfügung. Zusätzlich wird, um für den Notfall gewappnet zu sein, auch schon die Entwicklung eines geeigneten Impfstoffes vorbereitet.
  • Quellen
[1] Science 10.1126/science.1093373 (2004)
[2] Science 10.1126/science.1093155 (2004)

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