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Viagra: Das blaue Versprechen

Vielen Männern erscheinen Potenzmittel als die Lösung ihrer Probleme. Doch die Liste der Komplikationen ist lang und manche beschaffen sich Viagra und ähnliche Medikamente illegal. Zudem steckt hinter Erektionsstörungen oft mehr, als man denkt.
Ein rot-weißer Windsack wird nicht aufgeblasen, weil kein Wind weht.
Eine erektile Dysfunktion kann verschiedene Ursachen haben. Sie kann etwa durch Nerven- oder Durchblutungsstörungen hervorgerufen werden oder psychisch bedingt sein (Symbolbild).

»Die Gesundheit des Körpers spiegelt sich im Penis des Mannes wieder«, sagt Frank Sommer, Urologe am Universitätsklinikum Hamburg. Aber Sommer weiß, wie schwer es vielen fällt, zum Arzt zu gehen, wenn im Bett die Hydraulik streikt: »Es ist einfach unangenehm, im wahrsten Sinne des Wortes, die Hosen runterzulassen und zu sagen: Bei mir klappt es nicht mehr so gut mit der Sexualität.« Erektionsstörungen sind immer noch ein Tabuthema. Viele Männer sprechen nicht mal mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin darüber. Stattdessen greifen sie heimlich zur blauen Pille. Viagra erscheint vielen Betroffenen als einfache Lösung ihrer sexuellen Probleme.

Als das Potenzmittel des Herstellers Pfizer 1998 die Marktzulassung erhielt, war das eine Sensation. Medien titelten: »Viagra: Das blaue Wunder im Bett« oder »Viagra ist eine Bombe«. Die Tablette gab es nur auf Rezept. Rund zehn Jahre nach Markteinführung erzielte Pfizer einen Rekordumsatz von zwei Milliarden US-Dollar Umsatz weltweit. Und dabei kauften viele Betroffene lieber anonym auf dem Schwarzmarkt. Doch das kann lebensbedrohliche Folgen haben, denn manche Menschen dürfen aus medizinischen Gründen kein Viagra einnehmen.

Die Gefahren des Schwarzmarkts waren wohl ein wichtiges Argument dafür, dass beim Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Antrag darauf gestellt wurde, den Viagra-Wirkstoff Sildenafil in geringer Dosierung in Apotheken rezeptfrei anzubieten. Für Patienten sei es sicherer, Viagra über die Apotheken zu erhalten, als über das Internet zu kaufen, so die Idee – denn oft sind die illegal erworbenen Tabletten zusätzlich verunreinigt. In der Schweiz, Norwegen und Großbritannien ist der Kauf ohne Rezept bereits möglich.

Viagra ist nicht immer sinnvoll

Der Sachverständigenausschuss des BfArM hat allerdings empfohlen, den Antrag abzulehnen: Viagra bleibt also rezeptpflichtig. Urologische Verbände hatten gewarnt: Bei einer Rezeptfreiheit bestehe die Gefahr, dass Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, bei denen eine Erektionsstörung ein Frühwarnsymptom sei, nicht erkannt würden.

Denn hinter einer erektilen Dysfunktion, wie Fachleute das Problem auch nennen, steckt oft mehr, als man denkt: Sie kann ernste Probleme wie Diabetes, Bluthochdruck, Arterienverkalkung, aber auch Leistungsdruck und emotionalen Stress anzeigen.

Aber wie wirkt das Potenzmittel überhaupt? Für wen ist es geeignet und für wen nicht? Und warum sollte man einen Arzt aufsuchen, bevor man die Pille einwirft? Zuerst einmal: Wenn es im Bett mal nicht klappt wie gewünscht, dann sprechen Fachleute noch nicht von einer Erektionsstörung oder erektilen Dysfunktion. Die liegt vor, wenn die Erektion sechs Monate lang nicht ausreicht, um befriedigenden Geschlechtsverkehr zu haben. Für die Männer wie auch für die Beziehung ist das eine erhebliche Belastung. Viele zweifeln an sich selbst. »Ist mit mir alles in Ordnung? Hoffentlich klappt es beim nächsten Mal. Oh Gott, schon wieder bin ich ein Versager. Wie kann es sein, dass ich keine Erektion mehr aufbringe? Ich gehe doch joggen.« So beschreibt der Urologe Frank Sommer den inneren Monolog.

Im Normalfall werden die Blutgefäße in den Schwellkörpern um den Penis bei sexueller Erregung weit gestellt. Dann fließt mehr Blut in den Penis. Er wird steif. Sind die Gefäße aber verstopft oder auf Grund von Stress angespannt, dann ist dieser Vorgang gestört. Vor allem im Alter haben Männer häufig Erektionsstörungen. Das zeigte auch eine in Deutschland durchgeführte Studie des Forscherteams um Moritz Braun. Während bei den 30- bis 39-Jährigen rund 2,3 Prozent der Befragten betroffen waren, litt bei den 60- bis 69-Jährigen bereits rund ein Drittel an einer erektilen Dysfunktion.

»Wir können dann schneller rennen, aber eine Erektion bekommen wir so nicht«Christian Leiber-Caspers, Urologe

Übergangsweise können Potenzmittel helfen

»Der typische Patient ist 50 plus, vielleicht schon bekannter Diabetiker, hat Bluthochdruck, eine Fettstoffwechselstörung, raucht oder hat mal geraucht. Da kommen verschiedene Risikofaktoren zusammen«, erklärt Christian Leiber-Caspers, Urologe am Alexianer-Krankenhaus Maria-Hilf in Krefeld. Diese Risikofaktoren sind ein Grund, warum die Erektionsstörung vor allem mit zunehmendem Alter auftritt. Sommer behandelt jedoch immer öfter auch junge Patienten in seiner Praxis: »Es gibt immer mehr, die sich kaum bewegen oder sich schlecht ernähren«, sagt er: »Viele machen sich aber auch einfach selbst Druck, weil sie nicht das erreichen, was sie aus Pornos für normal halten.« Wer unter Stress steht, schüttet allerdings Adrenalin aus. Der Puls geht hoch, die Gefäße ziehen sich zusammen, – auch die im Penis. »Wir können dann schneller rennen, aber eine Erektion bekommen wir so nicht«, sagt Leiber-Caspers.

Übergangsweise können da Potenzmittel helfen. Sie können den Druck beim Sex wegnehmen und die Gedankenspirale durchbrechen. Viagra war das erste. Entdeckt wurde es rein zufällig. Eigentlich war das Pfizer-Medikament dazu gedacht, Herzbeschwerden wie Schmerzen in der Brust zu lindern und Bluthochdruck zu senken. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Trotzdem gaben viele Probanden die Medikamentenschachteln leer zurück. So entdeckte die Firma, dass sie einen Wirkstoff gegen ein anderes Leiden gefunden hatte.

Nach dem Erfolg von Viagra entwickelten Pharmaunternehmen weitere Medikamente. Der Wirkstoff Vardenafil ist bekannt unter dem Handelsnamen Levitra. Avanfil wird als Spedra vermarktet. Und Tadalafil wird unter dem Namen Cialis verkauft. Er ist als einziger Wirkstoff für die dauerhafte Einnahme zugelassen. Was ihnen aber allen gemein ist: Sie blockieren die Phosphodiesterase-5, – ein Enzym, das dafür sorgt, dass das Blut aus dem Penis wieder zurückfließt. Bleibt das Blut im Penis, hält die Erektion länger an und ist auch meist stärker.

Doch Viagra hat auch seine Grenzen. Ohne sexuell stimulierende Situation geht es nicht. Wenn zum Beispiel bei einer Prostataoperation alle Nerven durchtrennt wurden, kann eine Erektion nicht mehr eingeleitet werden. Gleiches gilt, wenn die Gefäße so stark verkalken, dass nicht mehr genügend Blut für eine Erektion durch die Arterien fließt.

Langfristig muss man deshalb an den Ursachen ansetzen. Vor allem, weil die Folgen der Grunderkrankung hinter der Störung gravierend sein können. Häufig ist eine Erektionsstörung auch der Vorbote eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts. Lagert sich in den Arterien des Penis Fett ab, dann unter Umständen auch in den Arterien, die Herz oder Hirn mit Blut versorgen. Und wer das Kopfkino nicht mehr ausbekommt, der versinkt vielleicht irgendwann in einer Depression. Bei einem seelischen Tief braucht es deshalb therapeutische Beratung, bei Beziehungsproblemen unter Umständen eine Paartherapie. Und bei Übergewicht oder Diabetes unter anderem Sport.

»Das ist eine Krankheit, und als solche sollte sie auch behandelt werden«Christian Leiber-Caspers, Urologe

Sport statt Schwarzmarkt-Pille

Vergleicht man die Auswirkungen von Bewegung auf die Erektionsfähigkeit mit der Wirkung von Viagra, zeigt sich: Sport kann einen ähnlich positiven Effekt wie das Potenzmittel haben. Wer sich regelmäßig bewegt, hält seine Blutgefäße elastisch – nicht nur in den Schwellkörpern um den Penis, sondern auch am Herzen und im Gehirn. Generell empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) pro Woche mindestens 150 bis 300 Minuten moderaten Ausdauersport. Das sind rund drei bis sechs Stunden Joggen. Oder mindestens 75 bis 150 Minuten intensive Belastung, also eineinhalb bis drei Stunden Gewichte stemmen.

Doch damit die Betroffenen den Weg in die Praxis des Urologen überhaupt finden, ist es wichtig, dass das Thema entstigmatisiert wird. »Das ist eine Krankheit, und als solche sollte sie auch behandelt werden«, sagt Leiber-Caspers. Oft werden Erektionsstörungen als Lifestyle-Problem abgetan, selbst von manchen Ärzten. »Viele Männer schweigen aus Scham. Sie glauben, sie seien kein ›Mann‹, wenn es Probleme im Bett gibt«, erklärt Sommer. »Und viele Frauen denken, ihr Mann hätte eine andere, wenn es mal nicht klappt.« Für viele ist es da immer noch die einfachste Lösung, die Pille in einer Online-Apotheke zu bestellen.

»Vor allem zu Zeiten der teuren Originalmedikamente gab es einen extrem großen weltweiten Schwarzmarkt«, erklärt Leiber-Caspers: »Mit den günstigeren Nachahmermedikamenten, den Generika, ist er zwar deutlich zurückgegangen, trotzdem liegt Viagra bei den gefälschten Pillen noch ganz vorne.« Um den Erfolg der Medikamente auf dem Schwarzmarkt festzustellen, analysierten Forschende um den Wissenschaftler Bastiaan J. Venhuis eine Woche lang in drei niederländischen Städten die Abwasserbelastung von Potenzmitteln und verglichen diese anschließend mit den zuvor verschriebenen Medikamenten. Das Ergebnis der Studie: Zwei Drittel der Potenzmittel werden illegal gekauft. Dabei ist das, was man auf dem Schwarzmarkt bekommt – laut Sommer –, im besten Fall nur ein Placebo-Medikament. Das kann bei leichten Erektionsstörungen zwar helfen. Im schlimmsten Fall enthält die Pille aus dem Internet aber Schwermetalle wie Blei oder eine versteckte Dosis Sildenafil. Beides kann lebensgefährlich werden – auch weil nicht jeder Viagra einnehmen darf.

Erektionsstörungen sind reversibel

Neben den vergleichsweise harmlosen Nebenwirkungen wie roten Ohren oder vorübergehenden Sehstörungen senken die Potenzmittel nämlich auch den Blutdruck. Die Folge: Schwindel und eine erhöhte Herzfrequenz. Für die meisten Männer ist das kein Problem, bei bestimmten Herzerkrankungen kann das allerdings etwa zu Vorhofflimmern führen. Dann schlägt das Herz unregelmäßiger und schneller. Weniger Blut wird in den Körper gepumpt.

Zudem verträgt der Wirkstoff Sildenafil sich nicht mit allen Medikamenten. So darf Viagra beispielsweise nicht zusammen mit nitrathaltigen Tabletten eingenommen werden, die ebenfalls den Blutdruck senken. Nitrospray, das zum Teil bei Herzinfarkten unter die Zunge gesprüht wird, kann in Verbindung mit Sildenafil lebensgefährlich sein. Früher kursierten deshalb in einigen Medien Meldungen, die über den Tod durch Viagra berichteten. Dieser direkte Zusammenhang stimmt so nicht. Viagra ist ein sehr sicheres Medikament mit vorübergehenden Nebenwirkungen. Aber in Kombination mit manchen Mitteln darf es nicht eingenommen werden.

Bei Erektionsstörungen sollte deshalb ein Arzt oder eine Ärztin immer eine der ersten Anlaufstellen sein. Und das nicht nur, um mögliche Komplikationen durch Viagra auszuschließen, sondern auch, um die eigentliche Ursache der erektilen Dysfunktion zu finden und zu behandeln. »Ist sie arteriell bedingt, können wir schon mehrere Jahre vorher einen drohenden Herzinfarkt erkennen«, sagt Sommer. »Dann können wir nicht nur die Betroffenen vor schlimmen Folgen schützen, sondern auch die Erektionsstörungen nachhaltig und erfolgreich behandeln.« Denn was viele Männer laut dem Urologen nicht wissen: Eine erektile Dysfunktion ist in den meisten Fällen reversibel. Man muss nicht dauerhaft mit ihr leben – auch im Alter nicht.

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