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Paläontologie: Vielseitiger Imbiss

Mit der Kreidezeit endete nicht nur die Herrschaft der Dinosaurier, auch zahlreiche Pflanzen und Insekten mussten abtreten. Die überlebenden Ökosysteme blieben Jahrmillionen lang artenarm. Doch es gab auch blühende Oasen in der Ödnis.
Fossiles Blatt mit Fraßspuren
Die Folgen waren verheerend: Ein infernalischer Feuersturm, glühend heißer Dampf und nicht enden wollende Schuttregen hatten binnen Minuten fast alles Leben Nordamerikas ausgelöscht. Die Sonne verdunkelte sich für Jahre, die Pflanzenwelt auf dem gesamten Globus brach zusammen.

Probennahme bei Mexican Hat | Wissenschaftler der Pennsylvania State University bergen am Fundort Mexican Hat in Montana 64 Millionen Jahre alte Pflanzenfossilien.
Die Katastrophe – vermutlich ausgelöst durch einen zehn Kilometer großen Asteroid, der bei der heutigen Halbinsel Yucatán einschlug – geschah vor 65 Millionen Jahren. Mehr als die Hälfte aller marinen Arten sowie zahlreiche Familien landlebender Pflanzen und Tiere – einschließlich aller Dinosaurier – fielen ihr zum Opfer. Dieses Massenaussterben markiert den Übergang von der letzten Periode des Erdmittelalters, der Kreidezeit, zum Beginn der Erdneuzeit, dem Tertiär.

Übrig blieben artenarme, nahezu öde Ökosysteme, die lange brauchten, um sich wieder zu erholen. "Wir wissen, dass es unmittelbar nach dem Aussterben 800 000 Jahre lang nur wenige Pflanzen und die von ihnen lebenden Insekten gab", erklärt der
"Was geschah in den acht Millionen Jahren dazwischen?"
(Peter Wilf)
Geowissenschaftler Peter Wilf von der Pennsylvania State University. "Und wir wissen, dass sich neun Millionen Jahre später die Artenvielfalt sowohl der Pflanzen als auch der Insekten erholt hat. Doch was geschah in den acht Millionen Jahren dazwischen?"

Fraßspuren auf Platanus raynoldsi | Auch dieses Platanenblatt zeugt von Insektenbesuch. Mit Hilfe dieser Fraßschäden lässt sich die Insektendiversität des Paleozäns abschätzen.
Genau dieser Frage ging Wilf mit seinem Team nach. Über die fossilen Hinterlassenschaften der Pflanzen lässt sich die damalige Vielfalt der Flora leicht abschätzen. Doch wie erfasst man parallel dazu die Insektendiversität? Der Fund gleich alter Fossilien am gleichen Ort dürfte eher ein seltener Glücksfall sein. Die Forscher suchten daher nach indirekten Hinweisen: Fraßspuren. Denn die Kerbtiere fallen durchaus unterschiedlich über ihre botanische Beute her. In arttypischer Weise rupfen, schneiden, reißen und saugen sie an Blättern, Stängeln und Wurzeln. Auch die hinterlassenen Gallen zeugen von ganz bestimmten Spezies.

Insgesamt 14 999 fossile Blätter von Blütenpflanzen musterten die Paläontologen nach derartigen Fraßspuren durch. Die Proben stammten von 14 Fundorten Nordamerikas: vier aus dem Ende der Kreidezeit, neun aus der ersten Epoche des Tertiärs, dem Paleozän, sowie eine aus dem folgenden Eozän.

Erwartet hatten die Forscher eine ausgesprochene Artenarmut während des zehn Millionen Jahre dauernden Paleozäns sowohl in der Pflanzen- als auch in der Insektenwelt. Denn selbst wenn etliche Insekten die große Katastrophe überlebt haben sollten, mussten die meisten später doch abtreten, da ihre Nahrungsgrundlage verschwunden war.

Die Erwartungen wurden erfüllt – fast. Bei acht der neun Paleozänproben konnten die Forscher lediglich 15 bis 20 Pflanzenarten nachweisen, die nur von wenigen Insektenspezies angeknabbert waren.

Doch der 63,8 Millionen Jahre alte Fundort Castle Rock in Colorado fiel gänzlich aus der Reihe: 130 Pflanzenarten zeugten von blühendem Leben, dessen Biodiversität sogar die der Kreidezeit bei weitem überstieg. Allerdings: Die Insekten schienen diesen reich gedeckten Tisch nicht genutzt zu haben, wie die wenigen unterschiedlichen Fraßspuren andeuten.

Ganz anders dagegen der 64,4 Millionen Jahre alte Fundort Mexican Hat in Montana – hier zeigte sich zur Verblüffung der Forscher das genau umgekehrte Bild: Die Lebensgrundlage einer üppige Insektenfauna – deren Vielfalt in keiner anderen Probe aus dem Paleozän wie auch aus der Kreide anzutreffen war – bestand aus lediglich 16 Pflanzenarten.

Offensichtlich verlief die Erholung von Flora und Fauna an der Kreide-Tertiär-Grenze nicht so einheitlich, wie bisher gedacht. Die Forscher vermuten, dass in Castle Rock ein warmes, feuchtes Klima zur Pflanzenpracht beitrug. Da gefräßige Insekten noch fehlten, konnte sich hier das pflanzliche Leben umso besser entfalten.

Dagegen fielen in Mexican Hat Insektenschwärme über die wenigen Pflanzenarten her, verschwanden aber vermutlich später wieder – mangels Nahrung. Die Nahrungsketten der Ökosysteme waren damit noch nicht stabil ausbalanciert. Erst nach und nach sollte sich das Leben nach dem großen Sterben wieder einrichten.

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