Lexikon der Geowissenschaften: Kreide
Kreide, jüngstes System innerhalb des Mesozoikums von 135-65 Mio. Jahren. Der Begriff wurde im Jahre 1815 durch v. Raumer geprägt, der damit die in Nordwesteuropa weit verbreiteten, weißen, mürben Kalksteine (Schreibkreide) umschrieb. Die klassische Untergliederung der Kreide in Neokom, Gault und Senon wurde in neuerer Zeit durch die Zweigliederung in Unter- und Oberkreide ersetzt. Beide Serien gliedern sich in jeweils sechs Stufen (geologische Zeitskala).
Paläogeographisch vollzog sich in der Kreide der endgültige Zerfall des Superkontinentes Pangäa. Mit der Öffnung des Südatlantiks ab dem Apt trennte sich Südamerika von Afrika. Fast gleichzeitig löste sich Indien von Afrika und begann, nordwärts durch die östliche Tethys gegen Asien zu driften. Im Bereich des Nordatlantiks öffnete sich in der frühen Oberkreide die Biskaya und leitete die Trennung zwischen Europa und Nordamerika ein. Die vollständige Öffnung des Nordatlantiks fand erst im Tertiär statt. Am Nordrand der Tethys wurde ozeanische Kruste subduziert. In Verbindung damit drifteten mehrere kontinentale Mikroplatten (Terrane) nordwärts gegen Europa und Asien, die später im Paläogen mit anderen Bereichen zu den alpidischen Gebirgsketten verschweißt wurden.
Das Klima der Kreide war generell deutlich wärmer und feuchter als heute. Für den größten Teil der Unterkreide und für die gesamte Oberkreide werden eisfreie Polkappen angenommen. Lediglich in der tieferen Unterkreide deuten dropstones und Tillite auf episodische Vereisungsphasen hin. Eine tendenziell zunehmende Erwärmung im Laufe der Unterkreide gipfelte in einem Klimaoptimum im Cenoman. Modellierungen des kreidezeitlichen Klimas gehen von einem etwa um das vierfache erhöhten Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre aus. Wiederholte Änderungen des Klimasystems resultieren in starken Schwankungen des globalen Kohlenstoffkreislaufes im Valangin, unterem Apt und an der Cenoman/Turon-Grenze. Diese Ereignisse werden durch das gehäufte Vorkommen von ozeanischen Schwarzschiefern, dem Absterben tropischer Carbonatplattformen und durch regionale bis globale Aussterbeereignisse begleitet. Den weiteren Verlauf der Oberkreide prägt eine allmähliche Abkühlung, die sich im Campan zunehmend verstärkt und im späten Maastricht ihren Höhepunkt erreicht.
Die Entwicklung des Meeresspiegels innerhalb der Kreide ist eng mit dem Zerfall Pangäas und der damit verbundenen Neubildung ozeanischer Kruste verknüpft. Die Bildung mächtiger Mittelozeanischer Rücken und ozeanischer Plateaubasalte (z.B. Ontong-Java-Plateau) verringerte das Volumen der Ozeanbecken und verursachte in der Unterkreide einen langzeitlichen Meeresspiegelanstieg. Der Meeresspiegel erreichte sein Maximum im Cenoman, wo mehr als 20% der heutigen Festlandsfläche von Meer bedeckt war. Im Verlauf der Oberkreide blieb der Meeresspiegel relativ hoch und erreicht ein zweites Maximum im Campan.
Zahlreiche Gruppen planktonischer Mikroorganismen erfuhren im Laufe der Kreide einen bedeutenden Evolutionsschub. Die verstärkte Radiation des kalkigen Nannoplanktons (Coccolithen) seit der höheren Unterkreide äußerte sich erstmalig in der Ausbildung mächtiger Carbonatabfolgen (Schreibkreide) innerhalb der Epikontinentalmeere der Oberkreide. Das verstärkte Vorkommen von kalkigem Plankton bedingte den Rückgang der gesteinsbildenden Bedeutung von kieseligen Mikroorganismen. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Zeitaltern treten Radiolarite seit der Unterkreide stark zurück. Das Aufblühen der Diatomeen im Zeitraum Apt/Alb wirkte sich erst im Paläogen als gesteinsbildender Faktor in Gestalt von Diatomeenschlämmen aus. Bei den planktonischen Foraminiferen entwickelten sich als wichtigste Taxa die Globotruncanen und Hedbergellen. Ihre schnelle Radiation ließ sie seit der höheren Unterkreide zum bedeutendsten mikropaläontologischen Hilfsmittel der Biostratigraphie werden. Erstmals seit dem Jungpaläozoikum traten wieder benthonische Großforaminiferen auf. Sie erlangten zum Teil große Bedeutung für die biostratigraphische Gliederung von Flachwasserbereichen (Orbitolinen im Zeitbereich Barréme bis Cenoman; Orbitoideen im Zeitbereich Campan/Maastricht).
Eine bedeutende Gruppe innerhalb der Lebewelt der Kreide stellten die Molluska dar. Die biostratigraphische Zonierung der Kreide beruht traditionell auf den Cephalopoden. Speziell für die Oberkreide sind aberrante, von der planspiralen Einrollung abweichende Ammonoideen (Kreideheteromorphe) charakteristisch. Ihre spiralige oder unregelmäßige Wuchsform weist auf zunehmende ökologische Spezialisierung hin. Daneben existierten weiterhin regulär gebaute, planspirale Taxa, die für das gesamte Mesozoikum leitend sind. In der höheren borealen Oberkreide waren die Belemniten als weitere Gruppe der Cephalopoden weit verbreitet. Sie besitzen hier erheblichen biostratigraphischen Leitwert. Aberrant kegel- bis hornförmige Muscheln, die Rudisten, waren ein markantes Element des Flachwasserbereiches. Neben einzeln wachsenden Typen traten auch pseudokoloniale Formen auf. Sie bilden verbreitet rasenförmige, biostromale Strukturen und verdrängen seit dem Alb die Korallen als dominante Riffbildner. Die Inoceramen sind eine weitere wesentliche Gruppe der Muscheln sind, die im Zeitbereich Alb bis Campan eine für Muscheln außergewöhnlich schnelle Radiation durchlaufen. Sie sind daher besonders in der borealen Oberkreide auch als Leitfossilien verwendbar.
Begünstigt durch die weite Verbreitung der Schreibkreidefazies erreichten die Bryozoen in der Oberkreide ein Entwicklungsmaximum. Dies verleiht ihnen hier eingeschränkte biostratigraphische Bedeutung. Auch an der Riffbildung waren inkrustierende Formen akzessorisch beteiligt.Bei den Echinodermata verloren die Crinoidea weiter an Bedeutung. Typische Crinoidenkalke, wie sie im tieferen Mesozoikum häufig sind, traten nur noch vereinzelt in der Unterkreide auf. Dagegen gewannen bilateral symmetrische, irreguläre Seeigel in der Oberkreide zunehmend an Häufigkeit und Artenvielfalt. Bekannt und charakteristisch sind die verkieselten Steinkerne aus der Schreibkreide. Reguläre Seeigel waren ebenfalls weit verbreitet. Bei den Fischen dominierten bereits die Knochenfische, allerdings entfalteten sich die modernen Teleostier erst während der Oberkreide. In der Unterkreide herrschten die Holostier vor, die im Gegensatz zu den modernen Knochenfischen noch eine verknorpelte Wirbelsäule besitzen.
Dominanteste Vertreter der Wirbeltiere (Vertebraten) waren wie schon im Jura auch in der Kreide die Dinosaurier (Sauropoda). Besonders die Oberkreide stellte einen letzten Höhepunkt in der Entwicklung dieser Gruppe dar. Zu dieser Zeit entwickelten sich auch die größten Landlebewesen der Erdgeschichte: Die pflanzenfressenden Brachiosaurier erreichten Längen über 30 m und ein Gewicht bis zu 80 t, Tyrannosaurus aus dem Maastricht gilt als größtes Raubtier und die Pteranodonten verfügten als größte Flugsaurier über Flügelspannweiten bis zu 20 m. Noch immer werden aus den klassischen Fundorten in Nordamerika und Zentralasien zahlreiche Neufunde beschrieben. Mit den ersten Placentalia entwickelten sich im Laufe der Oberkreide die Vorläufer der modernen Säugetiere. Die ersten Beuteltiere (Marsupialia) erschienen bereits in der ausgehenden Unterkreide. Sämtliche Säugetiere der Kreide erreichten maximal die Größe einer Hauskatze. Erst durch das Aussterben der Saurier am Ende der Kreide wurde die Entwicklungsexplosion im Paläogen ermöglicht.
Innerhalb der Pflanzenwelt spielten sich im Verlauf der Kreide erhebliche Veränderungen ab. Im marinen Bereich ist neben der bereits erwähnten Radiation des pflanzlichen Planktons (Coccolithen) besonders die zunehmende Verbreitung der Rotalgen (Corallinaceen) seit der höheren Unterkreide von Bedeutung. Diese im Känozoikum bedeutenden Riff- und Sedimentbildner waren bereits im Maastricht auf den Schelfen weit verbreitet. Auf dem Land herrschten in der Unterkreide noch Pteridophyta (Farne) und Gymnospermae (Koniferen, Cycadeen) vor. Die Entstehung der Angiospermophytina (Blütenpflanzen) im Valangin und deren schnelle Verbreitung in der Oberkreide bildete ein einschneidendes Ereignis innerhalb des terrestrischen Ökosystems. Es markiert den Beginn des Neophytikums.
Biogeographisch lassen sich in der Kreide der nördlichen Hemisphäre mehrere klimatische Provinzen unterscheiden. Einer borealen und temperierten Provinz der höheren und mittleren Breiten steht der Bereich der Tethys in den Tropen und Subtropen gegenüber. Diese Klimazonen spiegeln sich auch in der Ausbildung von Faziesmustern und Sedimentabfolgen wider. Die Sedimentation der höheren und mittleren Breiten war durch überwiegend klastische Abfolgen im Bereich der Schelfe gekennzeichnet. Sandsteine, kalkige Ton- und Schluffsteine waren die häufigsten Lithotypen der Epikontinentalmeere in Nordamerika und Nordwesteuropa. In der tieferen Unterkreide war die Sedimentation vorrangig terrestrisch-brackisch. Die Bildung von limnischen Sanden, Tonen und Kohlen wurde von kurzzeitigen marinen Ingressionen unterbrochen. In den Küstenregionen begünstigte das humide Klima die Entstehung von Sümpfen, aus denen sich auch in der höheren Kreide vielerorts Kohlen bilden konnten (Alaska, Kansas).
Der zunehmende Meeresspiegelanstieg gliederte das boreale Nordwesteuropa in eine Landschaft aus Inseln und einzelnen Becken. Die Aufarbeitung von Verwitterungsschutt führte zur lokalen Ausbildung von Trümmereisenerzen. Der starke fluviatile Eintrag von Eisen resultierte in der Bildung von Glaukonit und dem verbreiteten Vorkommen von Grünsandstein (Südengland, Münsterländer Becken). In den distaleren Ablagerungsräumen herrschten pelagische Tone und Carbonate vor. Ein charakteristisches Sediment dieses Bereiches ist die Schreibkreide. Der hohe Meeresspiegel im Gefolge der Cenomantransgression führte während der gesamten Oberkreide zur Ablagerung von Coccolithenschlämmen innerhalb der Schelfmeere. Bekannte Vorkommen sind die Kreidefelsen von Dover und Calais an der Kanalküste und auf der Insel Rügen. Im Bereich der Tethys dominierten in den Flachwassergebieten Carbonatplattformen. Verbreitet bildeten sich hier Korallen- und Rudistenriffe. Die distaleren Sedimentationsräume nahmen pelagische Carbonate ein (Maiolica). Der aktive Kontinentalrand am Nordrand der alpinen Tethys führte in der Oberkreide zur Bildung intramontaner Becken mit speziellen Ablagerungsbedingungen (Gosau). Dominant waren flyschoide, siliciklastisch beeinflußte Gesteine mit episodischen Einschaltungen von Rudistenriffen. Eine Besonderheit der Kreidesedimentation stellte die wiederholte Ausbildung von Schwarzschiefern im Zeitbereich Apt-Cenoman dar. Die Schwarzschiefer weisen einen besonders hohen Gehalt an organischem Kohlenstoff auf und sind ein wichtiges Muttergestein heutiger Erdölvorräte. Ihr Vorkommen konzentriert sich im wesentlichen auf den Bereich des sich öffnenden Atlantiks und die daran angrenzenden Schelfmeere. Die Entstehung dieser Sedimente wurde durch anoxische Bedingungen im Meerwasser verursacht. Die organischen Reste abgestorbener Pflanzen und Tiere konnten dadurch nicht abgebaut werden und reicherten sich in den Sedimenten an.
Rapide Klimaverschlechterung, verbunden mit einem gravierenden Meeresspiegelrückgang führten im höheren Maastricht zur Reduzierung der Schelfareale. Konsequenz war einer Krise innerhalb der hochspezialisierten Lebewelt. Viele Tier- und Pflanzengruppen (z.B. Dinosaurier, Ammoniten, Inoceramen und Rudisten) starben aus. Der Impakt eines extraterrestrischen Körpers auf der Halbinsel Yucatan (Chixulub-Krater) an der Kreide/Tertiär-Grenze führte zum Zusammenbruch der ozeanischen Zirkulation und damit zum Erliegen der Bioproduktion. Das kalkige Nannoplankton (Coccolithen) und das Zooplankton (Foraminiferen) verschwanden nahezu vollständig. Resultat ist letztlich ein globales Massensterben. Viele der bereits reduzierten Taxa (bis zu 30% der Lebewelt) erloschen endgültig. [SV, HT]
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