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Wetter: Welche Überraschungen hat El Niño noch parat?

Das Wetterphänomen El Niño bringt großen Teilen der Erde entweder Hitze und Dürre oder Starkregen und Gewitter. Doch diesmal hält es sich nicht ganz an sein typisches Muster.
Australischer Landwirt blickt auf das von Dürre geplagte Land während der Sommer- und Feuersaison.
Der australische Rekordwert von 50,7 Grad bei Tag blieb unangetastet. Dafür erlebte das kleine Örtchen Oodnadatta im Outback Südaustraliens am 25. Januar 2024 mit 34,5 Grad die bislang heißeste Nacht seit Wetteraufzeichnungsbeginn.

Letztlich fehlte dann doch mehr als ein Grad, um einen neuen Hitzerekord auf der Südhalbkugel aufzustellen. Das Thermometer im australischen Birdsville kletterte am 25. Januar zwar auf schweißtreibende 49,4 Grad; die vorab angekündigte Rekordhitze fiel aber trotzdem schwächer aus erwartet. Kühlende Winde vom Pazifik hatten die Heißluftproduktion in den typischen Hotspots des Kontinents gestört. Der Rekordwert von 50,7 Grad, der erstmals im Januar 1960 in Oodnadatta und erneut im Januar 2022 in Onslow gemessen wurde, blieb unangetastet. Dafür erlebte das kleine Örtchen Oodnadatta im Outback Südaustraliens die bislang heißeste Nacht seit Wetteraufzeichnungsbeginn – die Temperatur sank nicht unter 34,5 Grad. Und auch anderswo wurden neue nächtliche Temperaturrekorde aufgestellt.

Trotz der sengenden Hitze wurde Australien in diesem Südsommer bislang von größerem Leid verschont. Die schlimmsten Befürchtungen, wonach sogar der verheerende Feuersommer von 2020 getoppt werden könnte, sind glücklicherweise nicht eingetreten – noch nicht. Und auch die Prognosen verheißen zunächst keine weiteren Hitzekapriolen in diesem von Extremereignissen geprägten Kontinent. Der Grund für die Befürchtungen, erneut einen gefährlichen Sommer zu erleben, ist ein Wetterphänomen, das Australien üblicherweise mit Ansage flirrende Hitze, Dürre und zahlreiche Buschbrände bringt: El Niño.

Die Temperaturanomalie im Pazifik taucht alle paar Jahre wie aus dem Nichts auf und bringt weltweit das Wetter durcheinander. Im Juli riefen die Wetterdienste das Wetterphänomen offiziell aus, da hatte es sich bereits bemerkbar gemacht. Seinen Anfang nimmt El Niño inmitten der unendlichen Weiten des tropischen Pazifiks, in einer Region, die eigentlich von Ostwinden geprägt ist. Normalerweise schieben Passatwinde warmes Wasser von der Westküste Südamerikas in Richtung Südostasien und Australien. Vor Peru treibt der Humboldtstrom kaltes, nährstoffreiches Tiefenwasser an die Oberfläche, dadurch ist es hier kühler, trockener und fischreicher als vor den Küsten Indonesiens und Australiens – und der Pazifik wird als vergleichsweise friedlicher Ozean seinem Namen gerecht.

El Niño hält sich diesmal nicht an sein typisches Muster

Bei El Niño kehren sich die Verhältnisse schlagartig um, die Passatwinde brechen zusammen. Jetzt heizt sich der innertropische Pazifik auf, das Meer wird wilder – der Humboldtstrom versiegt. Westwinde transportieren warmes Wasser an die Westküste Südamerikas, viele Wochen schüttet es. Immer zur Weihnachtszeit nähert sich das Wetterphänomen seinem Höhepunkt, daher sein Name: El Niño, das Christkind. Auf der anderen Seite des Pazifiks hingegen erleben die Menschen in Südostasien, Australien und Ozeanien genau das Gegenteil: Hier wird es trockener – große Dürren, Ernteeinbrüche und verheerende Brände drohen. Weil kälteres Wasser ein geringeres Volumen hat, sinkt in der Südsee zudem der Meeresspiegel – Korallenriffe fallen trocken und sterben ab. Bedroht ist deshalb auch das weltbekannte Great Barrier Reef vor der Küste Australiens.

Glücklicherweise hält sich El Niño in diesem Sommer aber nicht an sein typisches Muster, obwohl bis Oktober alles darauf hindeutete. Im Winter und Frühling der Südhalbkugel brachte El Niño Dürre und frühe Hitze in fast allen Teilen Australiens, der Zeitraum von August bis Oktober war sogar der trockenste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im Frühsommer allerdings änderte sich das Wetter schlagartig, vor allem im Osten des Landes schüttete es wochenlang wie aus Eimern. »Der Einfluss von El Niño auf Australien verringert sich im Sommer typischerweise«, schreibt Andrea Peace, Meteorologin beim australischen Wetterdienst BOM, auf Twitter und eine Garantie, dass er sich immer gleich verhalte, gebe es ohnehin nicht. Denn wie jedes Wettereignis enthält auch El Niño eine chaotische Komponente; regionale Auswirkungen sind daher immer mit Unsicherheiten behaftet.

Die Abweichung vom üblichen Muster lässt sich in Australien vor allem auf eine andere Strömung zurückführen, die das Wetter auf dem Südkontinent prägt. SAM nennen die Australier diese Strömung, kurz für Southern Annual Mode. Damit ist nichts anderes als der Polarwirbel der Südhalbkugel gemeint, der wegen der fehlenden großen Landmassen in dieser Hemisphäre heftigere Westwinde anfacht als auf der Nordhalbkugel. In diesem Sommer wehten die Westwinde sogar ungewöhnlich stark und wirkten sich deshalb auch auf das Wetter im Süden und Osten Australiens aus. Feuchte Meeresluft gelangte immer wieder auf den Kontinent, große Teile Australiens waren nasser als normal. Im Gegensatz dazu konnten sich blockierende Hochdruckgebiete, die regelmäßig brutale Hitzewellen auslösen, seltener bilden.

»Ein El Niño ist nicht zwangsläufig mit einer starken Fernwirkung verknüpft«, sagt auch Andreas Fink, Meteorologe beim Karlsruher Institut für Technologie KIT. Zwar könne die Anomalie im Ozean schon über Monate gut vorhergesagt werden, aber wie die Atmosphäre darauf genau reagiere, sei schwieriger zu prognostizieren. Insofern lagen die Forscher mit ihrer Prognose nicht daneben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sagten sie schon im vergangenen Sommer ein starkes El-Niño-Ereignis voraus, das dann auch eintrat.

Seit Juni leidet das Amazonasgebiet unter der schwersten Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen

Nur bei den Fernwirkungen gab es Abweichungen. Die verheerenden Waldbrände, die beispielsweise im extrem starken El-Niño-Jahr 1998 nach einer großen Dürre auf den indonesischen Inseln wüteten, blieben dieses Mal aus. Kenia und Tansania brachte El Niño dagegen sehr feuchte Monate, ganz so, wie es die Meteorologen erwartet hatten.

Anders ist die Situation hingegen im Osten Südamerikas. Seit Juni leidet das Amazonasgebiet unter einer beispiellosen Hitze und der schwersten Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im größten zusammenhängenden Regenwald der Welt fiel seit dem Sommer kaum noch Regen, verbreitet herrscht eine außergewöhnliche Dürre, von der 30 Millionen Menschen betroffen sind. Weniger Regen und große Hitze in Amazonien sind typisch für El Niño, aber dieses Mal ist alles noch viel schlimmer als sonst. Viele Flusspegel sind auf die niedrigsten Werte seit 120 Jahren gefallen, im Herbst gingen Bilder von toten Flussdelfinen um die Welt, die der Krise im Regenwald ein Gesicht gaben. Mehr als 150 dieser speziellen Art fielen den hohen Wassertemperaturen zum Opfer.

Wegen seiner extremen Auswirkungen haben Klimaforscher der World Weather Attribution Group die Extremdürre im Regenwald nun genauer untersucht. Sie fanden heraus, dass teilweise El Niño der Grund ist für das Ausbleiben der Regenfälle zwischen Juni und November des vergangenen Jahres; den größten Anteil an der Rekorddürre aber habe der Klimawandel. Die globale Erwärmung hat die außergewöhnliche Dürre 30-mal wahrscheinlicher gemacht, lautet das Fazit der Attributionsforscher. Der Hauptgrund ist dabei weniger der Rückgang der Niederschläge als vielmehr die steigende Verdunstung infolge der hohen Temperaturen. Die große Hitze entzieht dem Regenwald das Wasser, das komplexe Ökosystem kommt seiner Belastungsgrenze immer näher.

Ob es dabei bereits einen Kipppunkt überschritten hat, ist schwer zu sagen. Denn die Wasser- und Kohlenstoffkreisläufe sind so komplex, dass sie bis heute nur näherungsweise verstanden sind. In einer kürzlich im Fachmagazin »Science Advances« erschienenen Studie geht ein Forschungsteam des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung davon aus, dass Entwaldung und Erwärmung die fliegenden Flüsse, feuchte Luftströmungen, die als Regenbringer für den Amazonasregenwald gelten, empfindlich stören und destabilisieren könnten.

Alles andere als destabilisiert ist hingegen ein anderer fliegender Fluss, der als Regenbringer für die Westküste der USA gilt. Atmospheric River werden die tausende Kilometer langen Feuchtigkeitsbänder genannt, die extrem feuchte Luft von den Tropen in höhere Breiten verfrachten und dabei tagelang immense Regensummen in einem schmalen Korridor verursachen. In Kalifornien sind sie der Regenbringer Nummer eins.

Extreme Regenmengen in Kalifornien erwartet

In den nächsten Tagen rast nun ein ausgeprägter atmosphärischer Fluss auf die Westküste zu. In Kombination mit einem heftigen Jetstream, der auf dem offenen Pazifik Windgeschwindigkeiten von 350 Kilometer pro Stunde und mehr erreicht, erwarten die Wetterdienste für die Westküste extreme Regenmengen, der Schwerpunkt liegt wohl im Bundesstaat Washington und in Kanada. Mancherorts rechnen die Wettermodelle mit mehr als 500 Liter Regen pro Quadratmeter in wenigen Tagen.

Ein ausgeprägter atmosphärischer Fluss vor der Westküste Nordamerikas ist typisch für El Niño, immer wieder bringt das Wetterphänomen enorme Regenmengen, Überflutungen und Erdrutsche, in den Hochlagen der Sierra Nevada auch meterhohen Schnee. Im Jahr 1998 brachte El Niño Rekordregenfälle in Kalifornien. In Los Angeles fielen allein im Februar 350 Liter. Mehrere Menschen starben, die Schäden gingen in die Milliarden. Aber die Folgen waren mit der Katastrophe, die im Jahr 1861/62 über den Golden State hereinbrach, nicht zu vergleichen. Damals regnete es 45 Tage und Nächte ununterbrochen, das gesamte Einzugsgebiet von Los Angeles hatte sich in einen See verwandelt, die Behörden sprachen von der größten Katastrophe seit Ankunft des weißen Mannes. Dass eine derartige Sintflut in diesem Jahr den Bundesstaat heimsuchen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Die Klimaforscher gehen aber davon aus, dass sich ein solches Unglück alle 100 bis 200 Jahre wiederholt.

Nicht nur in Kalifornien beschäftigen sich die Menschen deshalb mit der Frage, was dieser El Niño noch im Schilde führt. Entwarnung können die Wetterdienste jedenfalls nicht geben, noch immer werden im innertropischen Pazifik hohe Wassertemperaturen gemessen. Erst im Frühjahr dürfte sich das ändern, deuten Langfristprognosen an. »Fast alle Vorhersagen zeigen, dass dieser El Niño im Mai vorbei ist«, sagt KIT-Forscher Andreas Fink. Ostafrika und die Westküste Nordamerikas dürften deshalb weiterhin nass bleiben, die Gefahr großer Hitze und Dürre in Australien sowie Indonesien noch lange nicht gebannt sein. Hier zu Lande wird man hingegen wenig von dem Wetterphänomen spüren: Auf Europa nimmt El Niño keinen nennenswerten Einfluss.

Ob auf El Niño im Jahresverlauf aber gleich wieder seine kalte Schwester La Niña folgt oder erst einmal neutrale Bedingungen im Pazifik einkehren, lasse sich jetzt noch nicht vorhersagen, meint Andreas Fink. Erst im Frühjahr zeige sich, wie das Wasser im tropischen Pazifik reagiere. »Wir nennen das die Vorhersage-Barriere«, sagt er. Hintergrund ist, dass sich zu diesem Zeitpunkt erst entscheidet, wie sich die ozeanischen Wellen in der oberen Deckschicht verhalten und wie die Atmosphäre darauf antwortet.

»Wir gehen davon aus, dass die Erde auf einem hohen Temperaturniveau bleibt«Andreas Fink, Meteoreologe

Insofern ergibt es auch wenig Sinn, jetzt schon darüber zu spekulieren, ob auf das Rekordwärmejahr 2023 noch ein wärmeres 2024 folgt. 1,48 Grad lag das vergangene Jahr dem EU-Klimadienst Copernicus zufolge über dem Klima des vorindustriellen Zeitalters. Ein Grund: El Niño setzt sehr viel Wärme aus dem Ozean frei und erwärmt die globale Mitteltemperatur zusätzlich um ein bis zwei Zehntel Grad. Ob 2024 also noch wärmer wird, das entscheidet sich am Ende im tropischen Pazifik. Denn sollte sich La Niña einstellen, könnte das die Erde auch wieder kühlen. Sicher ist nur eins: »Wir gehen davon aus, dass die Erde auf einem hohen Temperaturniveau bleibt«, sagt Fink.

Auf lange Sicht dürfte die globale Temperatur wegen des fortschreitenden Klimawandels also weiter steigen. Deshalb fragen sich nicht nur Klimaforscher, ob die Welt künftig mit noch stärkeren El Niños rechnen muss, wenn sich die Ozeane immer mehr aufheizen. Bei dieser Frage tappen die Wissenschaftler allerdings noch völlig im Dunkeln, sagt der Ozeanograf und El-Niño-Experte Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. »Es gibt kaum einen Bereich in der Klimaforschung, wo wir so wenig wissen«, erklärt er. Die Klimamodelle seien jedenfalls keine große Hilfe, sie streuen extrem, zeigen tendenziell sogar einen Erwärmungstrend im äquatorialen Pazifik. Das Problem ist bloß: Die Messungen stützten die Erwärmung nicht, sagt Latif, wahrscheinlich werde der äquatoriale Pazifik sogar allmählich kühler, wie Latif bald in einer Studie vorstellen wird. Das sei zwar politisch heikel, weil es manch einer absichtlich falsch verstehen könnte, aber die Region wäre damit keine Ausnahme. Auch südöstlich von Grönland kühlt sich der Nordatlantik gegen den globalen Trend ab. Über die Gründe wird seit Jahren gestritten. Für den Moment allerdings wären die Klimaforscher schon froh, wenn El Niño keine bösen Überraschungen mehr parat haben würde.

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