Amazonas-Regenwald: Das Goldrausch-Desaster von La Pampa
»Heilige Scheiße!«, entfährt es Miles Silman, als seine Motorrikscha aus dem Wald auf einen einsamen Strand rattert. Die Bäume, Sträucher und Sümpfe, die einst diesen Teil der Amazonasregion bedeckten, sind verschwunden. Stattdessen sieht der Forscher sonnenverbrannte Dünen und verschmutzte Teiche, die durch illegalen Goldabbau entstanden sind. Silman, Naturschützer und Biologe an der Wake Forest University in Winston-Salem, North Carolina, war vor Ort, um das Schlachtfeld zu dokumentieren.
La Pampa war einst die größte und gefährlichste Goldabbauzone im peruanischen Amazonasgebiet. Kriminelle beherrschten sie. Wissenschaftler trauten sich nicht, die Region zu betreten. Fast ein Jahrzehnt konnten sie nur per Satellit zusehen, wie Goldgräber einige der artenreichsten Regenwälder der Erde zerstörten. Das endete im Februar 2019, als die Regierung das Kriegsrecht ausrief und schätzungsweise 5000 Minenarbeiter aus dem Land vertrieb.
Jetzt ist La Pampa menschenleer und wird militärisch bewacht. Als Silman und seine Kollegen Ende Juni 2019 das Gebiet zum ersten Mal untersuchten, fanden sie eine karge, unheimlich ruhige Landschaft vor, die mit Quecksilber verunreinigt war, einem giftigen Nebenprodukt des Bergbaus. Die Daten, die die Forscher bei diesem unbeabsichtigten Experiment sammeln, könnten dazu beitragen zu bestimmen, in welchem Maß eine Wiederherstellung möglich ist – oder die Entwicklung eines völlig neuen, vom Menschen geschaffenen Ökosystems dokumentieren.
Was kann hier überleben?
Silman und seine Kollegen vom Center for Amazonian Science and Innovation (Centro de Innovación Científica Amazónica, CINCIA), einem gemeinnützigen Forschungsinstitut in Puerto Maldonado, Peru, haben in den vergangenen Monaten das Gebiet mit Drohnen kartiert und die verbliebenen Pflanzen und Tiere erfasst. Das Team hat Dutzende Baumarten untersucht, um herauszufinden, welche zwischen den Dünen und entlang der Teichufer überleben können.
CINCIA-Wissenschaftler analysierten auch die Luft, das Wasser und den Boden auf Quecksilberverunreinigung. Ein Team der Duke University in Durham, North Carolina, hat Daten gesammelt, um herauszufinden, wie Quecksilber – das die Gehirnentwicklung von Kindern schädigen kann – aus verschmutztem Wasser oder Boden in die Nahrungskette gelangt.
Die Forschungen des CINCIA-Teams und anderer Wissenschaftler werden in die laufenden Bemühungen der peruanischen Regierung um die Sanierung des Gebiets einfließen, sagt Camila Alva, Direktorin für Umweltschutz und chemische Substanzen im Umweltministerium des Landes. Die Regierung hat bereits ein Pilotprojekt begonnen, um das Tambopata-Nationalreservat wiederzubeleben, einen geschützten Wald, in den die Bergleute eingedrungen sind, als sich La Pampa erweitert hat. Der peruanische Präsident Martín Vizcarra besuchte das Reservat am 5. Dezember 2019, um seine Unterstützung zu zeigen. Die Ergebnisse dieser Arbeit könnten dazu beitragen, die längerfristigen Bemühungen der Regierung zur Wiederaufforstung und vielleicht sogar zur Wiederansiedlung von Pflanzen von La Pampa zu begleiten.
Dem Gold folgen
La Pampa begann als Außenposten am Straßenrand der Transoceánica, einer der ersten Stopps für potenzielle Minenarbeiter, die aus den Anden in die Region Madre de Dios im peruanischen Amazonasgebiet strömten, als die Goldpreise vor einem Jahrzehnt in die Höhe schnellten. Die regionale Hauptstadt Puerto Maldonado entwickelte sich zu einem Zentrum des Bergbaus. Und La Pampa wurde zu einer geschäftigen Stadt mit etwa 25 000 Einwohnern, die für Prostitution, moderne Sklaverei und organisiertes Verbrechen berüchtigt ist.
Der Boom erwies sich als zu lukrativ, um kontrollierbar zu sein. Der Goldstaub ist fast überall, und mit ein paar einfachen Geräten – darunter eine benzinbetriebene Wasserpumpe und eine selbst gemachte Waschrinne – kann jeder Schlick sammeln. Dann braucht man nur noch das Quecksilber unterzumischen, das das Gold bindet, und gewinnt bis zu 15 Gramm Gold pro Tag. Das ist auf dem globalen Markt mehrere hundert Dollar wert.
Die Bergleute machten sich keine Gedanken über die unvermeidliche Freisetzung des Metalls in die Umwelt oder die gesundheitlichen Auswirkungen der Quecksilberbelastung, sagt Luis Fernandez, Geschäftsführer von CINCIA. »Es ist für dich nicht lebensbedrohlich. Und es ist einfach, ich kann es dir in 15 bis 20 Minuten beibringen.«
Wie schnell gelangt das Quecksilber in die Nahrungskette?
Die Forscher wollen verstehen, wie viel Quecksilber die Bergleute zurückgelassen haben und wie es sich durch das Ökosystem bewegt. An einem sonnigen Junitag in La Pampa erkundet das CINCIA-Team den Standort in Vorbereitung auf Forschungsarbeiten, bei denen nach Quecksilberverunreinigungen in der Luft, im Wasser und im Boden sowie nach Vögeln, Fischen und anderen Wasserlebewesen gesucht werden soll. Bei der ersten Station trennt sich die Umweltchemikerin Claudia Vega von der Gruppe und geht zum Ufer eines kleinen Teiches. Zwei verrostete Brennstofffässer sind teilweise dort im Sand vergraben.
»Wir haben Vögel und Insekten; das ist etwas, was wir untersuchen können. Aber ich habe keine Fische gesehen«
Claudia Vega, Umweltchemikerin
»Wir haben Vögel und Insekten; das ist etwas, was wir untersuchen können«, sagt Vega, die das Quecksilberforschungsprogramm der CINCIA koordiniert. »Aber ich habe keine Fische gesehen.« Die Tests werden den Wissenschaftlern helfen festzustellen, wie viel Quecksilber in die Nahrungskette gelangen könnte, wo es eine Gefahr für die Menschen darstellen würde – auch für die Bauern, die Ansprüche auf Land in La Pampa geltend gemacht haben.
Laut bisherigen Tests durch CINCIA und andere konzentriert sich die Quecksilberverunreinigung auf die Teiche. Das bedeutet, dass das Land wahrscheinlich sicher für die Landwirtschaft ist, doch der Verzehr von Fischen, die in den Teichen leben, ist vielleicht gefährlich. »Wir können die Menschen – Familien und Kinder – nicht dorthin bringen, wenn wir das Risiko nicht einschätzen können«, sagt Martin Arana, ein Forstingenieur, der den peruanischen Forstdienst berät.
Vorbereitung zur Wiederaufforstung
Das Team misst auch das Ausmaß der Abholzung in La Pampa und das Potenzial der Wiederaufforstung. Während ihrer ersten Reise im Juni 2019 starteten die Forscher ihren ersten Drohnenflug auf einer Düne tief in der Bergbauzone. Nach einem obligatorischen Foto mit den peruanischen Soldaten, die das Forschungsteam in La Pampa eskortierten, hob das Flugzeug ab.
Die Drohne flog in einer Höhe von rund 200 Metern in Nord-Süd-Richtung, um detaillierte 3-D-Karten des Gebiets zu erstellen, einschließlich der Dünen und Teiche. Silmans Team verwendet diese Karten, um abzuschätzen, wie viel Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt wurde, als man den Wald niederbrannte, um Platz für den Bergbau zu schaffen. Diese Informationen können auch dazu verwendet werden, die Regeneration des Waldes zu verfolgen und künftige Pflanzenuntersuchungen zu steuern.
Regierungsbeamte bewerten die Kosten und die technische Durchführbarkeit einer großen Wiederaufforstungsmaßnahme – und auch die Arbeitsplätze, die dadurch entstehen könnten. In Zusammenarbeit mit der CINCIA haben Perus Parkdienst und das Umweltministerium bereits ihr Pilotaufforstungsprojekt auf 30 Hektar des Tambopata-Nationalreservats gestartet. Die Behörden planen, diese Arbeit auf mehr als 800 Hektar im Reservat auszudehnen.
Angst vor der Rückkehr der illegalen Minenarbeiter
Der Forstdienst untersucht auch, wie ein noch größeres Wiederaufforstungsprojekt in La Pampa, das in einigen Jahren beginnen könnte, konzipiert, umgesetzt und bezahlt werden kann. Aber Arana betont, dass die Regierung weiterhin wachsam gegenüber der Bedrohung durch den illegalen Bergbau sein muss. »Was passiert, wenn der Goldpreis sehr, sehr hoch ist?«, fragt er. »Vielleicht kommen die illegalen Minenarbeiter zurück nach La Pampa, und es wird einen Konflikt mit den Menschen geben, die in der Wiederaufforstung arbeiten.«
Silman ist daran interessiert zu verstehen, wie verschiedene Vegetationstypen die Landschaft auf natürliche Weise wiederbesiedeln – und ob der Mensch in der Lage ist, den Prozess der Wiederaufforstung zu steuern und zu beschleunigen. Würgefeigebäume, die typischerweise hoch oben in lichtdurchfluteten Baumkronen zu wachsen beginnen und dann ihre Wirte erdrücken, sprießen bereits in den Dünen von La Pampa neben Nistplätzen von Kanincheneulen (Athene cunicularia), die typischerweise in trockenen Strauchlandschaften nisten.
Silmans Team hat Testparzellen mit mehr als 75 Pflanzenarten angelegt, um die Wiederaufforstung voranzutreiben. Die Wissenschaftler verfolgen, wie sich die Pflanzen unter verschiedenen Bedingungen verhalten; einige bevorzugen flaches Gelände mit direkter Sonneneinstrahlung, andere benötigen Schatten oder sehr feuchte Erde. Die Ergebnisse des Teams legen nahe, dass die Zugabe von Holzkohle – oder einer ähnlichen Substanz namens Biokohle – zum Boden das Wachstum und Überleben der Pflanzen fördert. »Wir wollen nicht nur Bäume pflanzen, die absterben«, sagt Silman.
Karge Landschaft mit giftigen Pfützen
Die Bergleute haben den Böden der Region all ihre Nährstoffe entzogen und auch grundlegend verändert, wie Wasser durch die Landschaft fließt. Das wird Wiederaufbauversuche in La Pampa schwieriger machen als in anderen Gebieten, in denen die Menschen durch den Bergbau geschädigte Ökosysteme wieder aufgebaut haben, sagt Stuart Pimm, ein Ökologe an der Duke University in Durham.
Doch anstatt sich allzu sehr darum zu bemühen, den vorigen Zustand wiederherzustellen, sollten laut Pimm Wissenschaftler und die Regierung versuchen, einige Pflanzen in den Boden zu bekommen, und dann der Natur ihren Lauf lassen. »Einfach irgendeinen Wald, der den Boden bedeckt, können sie wahrscheinlich schaffen«, sagt er, »und das ist schon viel besser als eine karge Landschaft mit giftigen Pfützen.«
Als Silman und seine Kollegen ihren Tag der Feldarbeit im Juni beenden, geht die Sonne unter – und La Pampa wird lebendig. Enten laufen herum, die Fische in den Teichen kommen an die Oberfläche, um Insekten zu fangen. Silman hat wenig Zweifel daran, dass Pflanzen und Tiere diesen weitgehend leeren Raum über Hunderte oder Tausende von Jahren wieder besiedeln werden. Die Frage sei, ob die Wissenschaftler dazu beitragen können, diese Erholung zu beschleunigen, oder ob La Pampa in den kommenden Jahrzehnten kaum mehr als ein Denkmal der menschlichen Dummheit bleiben wird. »Dieses Land ist bereits abgeholzt worden«, sagt er. »Es gibt einen großen Anreiz für uns, klug zu sein und zu versuchen, dort Gutes zu tun.« Der Artikel ist im Original »The scientists restoring a gold-mining disaster zone in the Peruvian Amazon« in »Nature« erschienen.
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