Plötzlicher Kindstod: Wie Nikotin den Kindstod verursachen könnte
Seit einigen Jahrzehnten raten Ärzte dringend davon ab, während und nach der Schwangerschaft zu rauchen: Für Ungeborene und Babys sind Nikotin, andere Schadstoffe aus der Zigarette und das Passivrauchen eine ernste Gesundheitsgefahr. Sicher ist auch, dass die Säuglinge von rauchenden Eltern deutlich häufiger am plötzlichen Kindstod sterben – ohne dass bisher allerdings genau geklärt ist, wie der Tabakkonsum die Gefahr erhöht. Eine weitere Studie zum Thema mit Ratten als Versuchstieren liefert nun Hinweise auf einen möglichen, bereits früher vermuteten Zusammenhang: Schon geringste Mengen an Nikotin stören bei Neugeborenen die Funktion bestimmter Nervenzellen, der hypoglossalen Motoneurone, die im Ernstfall den lebenswichtigen Atemreflex regulieren. Daher könnte es vorkommen, dass die Muskulatur der Säuglinge nicht reflexartig reagiert, wenn die Babys kurzfristig keine Luft bekommen, was eigentlich nicht lebensbedrohlich ist, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt »eNeuro«.
Die Forscher von der University of Arizona hatten in ihren Versuchen weiblichen Ratten geringe Nikotindosen verabreicht, die über die Plazenta auf die Embryos oder über die Muttermilch auf die Säuglinge wirkten. Im Experiment sorgten die Forscher dann für Atemnotsituationen bei den Jungtieren, wie sie beim menschlichen Säugling als Auslöser für den Kindstod angesehen werden. Bei Babys können diese etwa auftreten, wenn sie unglücklich auf dem Bauch oder unter Decken und Kissen liegen. Kinderärzte empfehlen daher, Neugeborene in Strampelschlafsäcken auf dem Rücken schlafen zu lassen. Im Tierversuch der US-Wissenschaftler zeigte sich, dass eine Nikotinbelastung eine Atemnot dramatisch gefährlicher macht. Von 135 belasteten und unbelasteten Ratten starben zwölf, neun von diesen nach einer Nikotinbelastung.
Die fatale Wirkung von Nikotin, so die Forscher weiter, spielt sich dabei offenbar in der Muskulatur des Mundbodens ab: Diese muss in gewissem Maß angespannt sein, um die oberen Atemwege offen zu halten. Augenscheinlich steuern die nikotinbelasteten Neurone diesen Prozess aber nicht mehr optimal. Diese Beobachtung an Ratten dürfte sich tatsächlich auf Menschen übertragen lassen, glauben die Wissenschaftler. Der nicht an der Studie beteiligte pädiatrische Pneumologe und Schlafmediziner Alexander Möller vom Universitäts-Kinderspital Zürich stimmt dem zu: »Die neurologischen Abläufe und die Atemsteuerung sind bei Ratten nicht wesentlich anders als bei Menschen. Deshalb ist das Tiermodell klar anwendbar, und die Resultate sind übertragbar«, meint er auf Nachfrage des Science Media Center.
Reinhold Kerbl vom Landeskrankenhaus Hochsteiermark im österreichischen Leoben hält die jetzt publizierten Ergebnisse und die daraus abgeleitete Hypothese für »grundsätzlich plausibel« und betont, es sei bereits früher vermutet worden, dass die Mundbodenmotorik eine wichtige Rolle beim plötzlichen Kindstod spielen könnte. Auf einen Zusammenhang zwischen Passivrauchbelastung und obstruktiven Apnoen sei in Studien schon vor Jahrzehnten hingewiesen worden; zudem hätte man vermutet, dass Schnuller das Risiko womöglich senken könnten, weil sie die Mundmotorik fördern. Noch sei allerdings – auch nach der neuen Studie – nicht bewiesen, dass die Hypothese der Wissenschaftler aus den USA zutrifft. Außer Zweifel stehe hingegen, so Kerbl, »dass Passivrauchbelastung sowohl in der Schwangerschaft als auch in den ersten Lebensmonaten das Risiko für den plötzlichen Säuglingstod signifikant erhöht und daher unbedingt vermieden werden sollte«.
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