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Verhaltensforschung: Zähne zeigen

Ob morgens in der Bahn, dem Büro oder in der Schule: Allerorten herrscht Schläfrigkeit, die Augen sind noch klein, der Mund dagegen sperrangelweit offen. Gähnen gehört wohl zum Morgen wie das Frühstück und reizt zur Nachahmung - auch bei Affen?
Gähnender Makake im Video
Es gibt einen menschlichen Körperausdruck, der beständig Gastgebern von Partys oder Vortragenden in Hörsälen als eine der schlimmstmöglichen Wendungen des Geschehens damoklesschwertartig über dem guten Ruf und der guten Laune hängt: das Gähnen. Erst beginnt es vielleicht noch ganz harmlos mit einem verkniffenen Gesicht, dessen Besitzer sich sichtliche Mühe gibt, das weite Aufreißen des Mundes nebst begleitendem tiefem Luftholen zu unterdrücken – ein erstes Warnsignal, dass die Feier oder der Auftritt in die falsche Richtung abzugleiten droht.

Als nächstes tritt ein zweiter Teilnehmer auf den Plan, der – verhalten zwar, aber durchaus deutlich – gähnt, sich aber dabei noch die Hand vor den Mund hält. Nun wird es bereits kritisch: höchste Zeit gegenzusteuern. Denn ansonsten lassen sich bald schon immer mehr Mitmenschen dazu hinreißen, häufig ohne jegliche Höflichkeitsfloskeln – jetzt klaffen viele Münder ungeniert und unkontrolliert weit offen. Es bewahrheitet sich wieder einmal die altbekannte Redewendung, nach der Gähnen sehr wohl ansteckend wirkt.

Lange war die Wissenschaft der Meinung, dieser Wesenszug wäre dem Menschen alleine gegeben: Bis zu zwei Drittel aller Anwesenden lassen sich nach wissenschaftlichen Auswertungen von einer in ihrer Mitte offensichtlich Müdigkeit oder Langeweile Ausdruck gebenden Person beeinflussen und gähnen herzhaft mit. Dann beobachteten Forscher erstmals dieses Verhalten auch bei Schimpansen, die damit immerhin ein Drittel ihrer zuschauenden Artgenossen infizieren können – aber diese sind ja schließlich auch eng mit uns verwandt.

Aber wie sieht es mit anderen Affenarten aus? Gähnt der Brüllaffe oder gar der Lemur auch reaktiv? Annika Paukner und James Anderson von der Universität Stirling in Schottland beobachteten dafür die Reaktion von Bärenmakaken (Macaca arctoides) auf das Gähnen oder kontrollierte Mundbewegungen von Artgenossen. Immerhin reagieren die Affen nach dem morgendlichen Aufwachen ähnlich wie Menschen mit einem Aufreißen des Mundes, und auch während des Tages kann es vereinzelt zu derartigen Reaktionen kommen.

Gähnender Makake im Video | Ansteckendes Gähnen? Für Makaken nur bedingt: Wenn sie nach einem solchen Anblick vermehrt selbst das Maul aufreißen, handelt es sich wohl eher um ein Zeichen von Anspannung.
Sie führten deshalb 22 in fünf Gruppen organisierten Bärenmakaken zwei Videofilme vor, wobei das eine aufeinander folgend zehnmal Gähnen von verschiedensten Makaken abbildete, während das andere ein gähnfreies Kontrollband war. Während der insgesamt 28 Filmvorführungen beobachteten die beiden Biologen dann, ob und wie das gezeigte Verhalten die Makaken zu Mundbewegungen animierte.

Das Ergebnis war eindeutig: Gähnen steckt anscheinend auch Makaken an. Brachten sie es während und in den drei Minuten nach dem Zeigen des Kontrollfilms nur auf durchschnittlich 2,4 Gähner, so steigerte sich das auf einen Wert von 4,3 beim wohl eher einschläfernden Gähnfilm. Dreizehn der Affen ließen sich zudem vom gezeigten Müdigkeitsverhalten anstecken, nur fünf fanden die Alternative zum deutlicheren Gähnen. Zudem beschleunigten sich die Intervalle zwischen den einzelnen Lufthol-Attacken und kratzten sich die Tiere deutlich häufiger während des gruppendynamischen Gähnens.

Doch lag das wirklich am Vorführeffekt? Bei Mensch und Schimpanse existieren zwei Hypothesen, warum sie sich von gähnenden Vorbildern anstecken lassen könnten. Einige Wissenschaftler vermuten einen angeborenen Reflex, der sich nicht steuern lässt. Eine andere Fraktion setzt dagegen mehr auf einen empathischen Effekt: Sieht man jemanden gähnen, versetzt sich der Beobachter in diese Person hinein und denkt darüber unbewusst nach, wie es wäre, wenn er selbst jetzt gähnen würde – was letztendlich die entsprechende Reaktion provozieren soll. Entsprechende neurologische Reaktionen in Hirnbereichen, die mit Empathie und Selbsterkennung in Zusammenhang gebracht werden, ließen sich demnach schon beobachten.

Da aber Empathie und Selbsterkenntnis nach bisherigem Wissensstand nur bei Menschenaffen und dem Menschen bekannt sind, dürften sie die Gähnreihen bei den Makaken eigentlich nicht auslösen. Paukner und Anderson gehen deshalb davon aus, dass diese Kettenreaktion bei ihren Tieren durch etwas anderes ausgelöst wurde. Ein Hinweis gibt das vermehrte Kratzen während der Gähn-Sequenzen – es ist bei ihnen eigentlich ein Zeichen für erhöhte Anspannung oder Furcht.

Denn das weite Aufreißen des Mundes hat unter ihresgleichen noch einen weiteren Zweck: die Präsentation der mächtigen Eckzähne als Zeichen von Stärke und Macht, was gerne vom ranghöchsten Mitglied der Gruppe ausgeübt wird. Auf dem Video war tatsächlich oft ein Alpha-Männchen beim Gähnen zu sehen, was entsprechendes Unwohlsein mit Kratzen bei den Subalternen hervorgerufen haben könnte.

Aber warum dann daneben doch auch vermehrtes Gähnen? Die Wissenschaftler sind sich nicht schlüssig und wollen deshalb weitere Studien vornehmen. Ein Erklärungsmuster könnte ihrer Meinung nach so etwas wie ein Zahnzeige-Wettbewerb sein, der vom Chefgähnen ausgelöst wird: Die Affen wollen vorführen, was sie an Zähnen zu bieten haben.

Doch eines ist jedenfalls klar: Bei uns Menschen funktioniert dies mangels großer Eckzähne jedenfalls nicht, ein gelangweiltes Auditorium lässt sich damit nicht beeindrucken. Aber wer weiß, vielleicht wird dies ja zum neuen Party-Klassiker, der zumindest dort die müde Stimmung etwas vertreibt.

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