Meeresökologie: Zeitweiliger Zusammenbruch
Leere Meere - diese prophezeien Wissenschaftler und Naturschützer unisono, sollte die Weltgemeinschaft ungeniert weiterfischen wie bisher. Dabei mahnt ein Beispiel längst: Das Schwarze Meer zeigt im Kleinen, was passieren kann, wenn die Menschen maßlos die Ozeane plündern.
Mnemiopsis leidyi heißt die vermeintliche Übeltäterin – ein eher unscheinbares Lebewesen aus der Familie der Rippenquallen, für den Menschen ungefährlich zwar, aber mit einem immensen Hunger versehen. Ursprünglich lebte sie nur vor der Ostküste Amerikas, wo keine größeren Probleme mit ihr bekannt waren. Dann aber verschleppten sie große Schiffe mit dem Ballastwasser irgendwann Anfang der 1980er Jahre über den Ozean und spülten sie in irgendeinem Hafen des Schwarzen Meers aus den Tanks: eine durchaus typische Globalisierungsvita von Wirbellosen, die Tag für Tag derart in neue Lebensräume verfrachtet werden.
War aber wirklich der hungrige Neuankömmling allein an dieser Misere schuld? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Georgi Daskalov vom Cefas Lowestoft Laboratory im englischen Suffolk und seine Kollegen haben dazu noch einmal die Naturgeschichte des Schwarzen Meers während der letzten fünf Jahrzehnte genauer betrachtet. Es entstand ein komplexes ökologisches Bild, das wenig Gutes für unsere Ozeane und die Ressource Fisch verheißen dürfte.
Tatsächlich begann die Malaise des Schwarzen Meers bereits vor 1970, als in großem Stil Jagd auf die Raubfische der Region gemacht wurde, bis ihr Fang sich mangels Masse nicht mehr lohnte. Makrelen (Scomber scombrus) verschwanden sogar gänzlich aus dem Ökosystem, und die darauf angewiesene Fischerei ging Pleite oder wendete sich anderen Arten zu. Zudem fielen Delfine als weitere wichtige Beutegreifer aus, da sie als Konkurrenz absichtlich getötet wurden, sich unbeabsichtigt in Netzen verfingen oder den mannigfaltig eingetragenen Umweltgiften erlagen.
Dennoch profitierte die Fischerei nach einer kurzen Umstellungsphase von den veränderten Bedingungen. Sie konzentrierte sich nun auf Sprossen (Clupea sprattus), Sardellen (Engraulis encrasicolus) und Stöcker (Trachurus trachurus) – eine weitere Makrelenart –, die sich zumindest teilweise stark von Plankton ernähren: Ihrer Feinde entledigt, prosperierten sie für geraume Zeit in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre und füllten die Netze der Seeleute. Aus ihren Fehlern mit den Raubfischen hatten die Fischer jedoch offensichtlich nichts gelernt, denn sie gestalteten auch den Fang der Pflanzenfresser nicht nachhaltig und plünderten die Schwärme übermäßig aus: Die zweite schwere Krise der Schwarzmeer-Fischerei brach Ende des letzten Jahrhunderts herein, die angelandete Beute ging auf ein Sechstel zurück, Verluste in Millionenhöhe entstanden.
Derweil hatte sich ein Neuankömmling in der Region etabliert, der die Probleme weiter verschärfte. Denn erst als die Fischpopulationen geschrumpft waren, konnte die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi konkurrenzlos das Plankton abschöpfen und expandieren. Gleichzeitig verschmähte sie auch Laich nicht und verhinderte so, dass sich die Fischarten wieder vermehren konnten. Stattdessen wurden die Quallen zur alles dominierenden Spezies. Ein Nesseltier als endgültiger Sargnagel für das Ökosystem Schwarzes Meer also?
Von den wirtschaftlich interessanteren Raubfischen fehlt dagegen immer noch fast jede Spur. Das Ökosystem befindet sich deshalb weiterhin in einem fragilen Zustand und kann jederzeit wieder kippen – sei es durch einen Klimawandel, eingeschleppte Tiere und Pflanzen oder Schadstoffe. Machen sich dann erneut vor allem Quallen breit, sollten sich die regionalen Fischer vielleicht endgültig umorientieren und einen neuen Markt suchen: Zumindest in Ostasien gelten die Wabbeltiere bereits als Delikatesse.
Schon 1989 – und damit nur sieben Jahre nachdem sie vor Ort entdeckt worden war – wogen Forscher stellenweise mehr als ein Kilogramm der wabbeligen Tiere pro Kubikmeter Schwarzmeer. Und die Quallen fraßen alles, was größenmäßig ins Beutespektrum passte: Fischeier, Plankton, Larven. Zu allem Überfluss war Mnemiopsis leidyi auch noch sehr gebärfreudig und zeugte unter günstigen Bedingungen bis zu 8000 Nachkommen pro Tag, sodass es bald im gesamten Meer von Quallen nur so wimmelte. Nur kurze Zeit später brach die regionale Fischereiwirtschaft zusammen, da sich die Bestände von Sardellen und Konsorten praktisch im Nichts aufgelöst hatten – bis zu neunzig Prozent betrug ihr Rückgang.
War aber wirklich der hungrige Neuankömmling allein an dieser Misere schuld? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Georgi Daskalov vom Cefas Lowestoft Laboratory im englischen Suffolk und seine Kollegen haben dazu noch einmal die Naturgeschichte des Schwarzen Meers während der letzten fünf Jahrzehnte genauer betrachtet. Es entstand ein komplexes ökologisches Bild, das wenig Gutes für unsere Ozeane und die Ressource Fisch verheißen dürfte.
Tatsächlich begann die Malaise des Schwarzen Meers bereits vor 1970, als in großem Stil Jagd auf die Raubfische der Region gemacht wurde, bis ihr Fang sich mangels Masse nicht mehr lohnte. Makrelen (Scomber scombrus) verschwanden sogar gänzlich aus dem Ökosystem, und die darauf angewiesene Fischerei ging Pleite oder wendete sich anderen Arten zu. Zudem fielen Delfine als weitere wichtige Beutegreifer aus, da sie als Konkurrenz absichtlich getötet wurden, sich unbeabsichtigt in Netzen verfingen oder den mannigfaltig eingetragenen Umweltgiften erlagen.
Somit veränderte sich die Nahrungskette, denn aus der ursprünglichen vierstufigen Leiter mit Raubfischen an der Spitze wurde nun eine dreistufige aus Algen, Zooplankton und Plankton fressenden Fischen, die plötzlich an oberster Position standen. Sie delektierten sich vornehmlich am Zooplankton, das mengenmäßig rasch schwand. Die damit fressfeindfreie pflanzliche Biomasse legte hingegen deutlich zu – mehrfach löste der Düngerzufluss aus der Donau und anderen Strömen sogar immense Algenblüten aus. Wann immer diese Hochphasen des Phytoplanktons jedoch endeten, näherte sich das Schwarze Meer der nächsten ökologischen Krise. Denn die verwesenden Algen zehrten stets den Sauerstoff im Wasser auf und brachten dadurch das Gewässer an den Rand des Umkippens. Vor allem in den flachsten Bereichen im Norden und Nordosten starben Fische wie Kleintiere massenhaft und schrumpfte die Artenvielfalt.
Dennoch profitierte die Fischerei nach einer kurzen Umstellungsphase von den veränderten Bedingungen. Sie konzentrierte sich nun auf Sprossen (Clupea sprattus), Sardellen (Engraulis encrasicolus) und Stöcker (Trachurus trachurus) – eine weitere Makrelenart –, die sich zumindest teilweise stark von Plankton ernähren: Ihrer Feinde entledigt, prosperierten sie für geraume Zeit in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre und füllten die Netze der Seeleute. Aus ihren Fehlern mit den Raubfischen hatten die Fischer jedoch offensichtlich nichts gelernt, denn sie gestalteten auch den Fang der Pflanzenfresser nicht nachhaltig und plünderten die Schwärme übermäßig aus: Die zweite schwere Krise der Schwarzmeer-Fischerei brach Ende des letzten Jahrhunderts herein, die angelandete Beute ging auf ein Sechstel zurück, Verluste in Millionenhöhe entstanden.
Derweil hatte sich ein Neuankömmling in der Region etabliert, der die Probleme weiter verschärfte. Denn erst als die Fischpopulationen geschrumpft waren, konnte die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi konkurrenzlos das Plankton abschöpfen und expandieren. Gleichzeitig verschmähte sie auch Laich nicht und verhinderte so, dass sich die Fischarten wieder vermehren konnten. Stattdessen wurden die Quallen zur alles dominierenden Spezies. Ein Nesseltier als endgültiger Sargnagel für das Ökosystem Schwarzes Meer also?
Nicht ganz: Zwischenzeitlich besserte sich die Wasserqualität der Region wieder, denn mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaften sanken die Düngemitteleinträge und wurden erste Kläranlagen an den Zuflüssen gebaut, sodass die Algenblüten seltener wurden. Zugleich schleppten Schiffe mit der Melonenqualle Beroe ovata einen weiteren Exoten ins Schwarze Meer ein, der bevorzugt Mnemiopsis leidyi frisst und deren Populationen reguliert. Die Dezimierung verschaffte endlich den Plankton fressenden Fischen wieder Raum zum Überleben, sodass nach langem ihre Zahlen wieder stiegen – wenn auch nicht überall und von allen Arten.
Von den wirtschaftlich interessanteren Raubfischen fehlt dagegen immer noch fast jede Spur. Das Ökosystem befindet sich deshalb weiterhin in einem fragilen Zustand und kann jederzeit wieder kippen – sei es durch einen Klimawandel, eingeschleppte Tiere und Pflanzen oder Schadstoffe. Machen sich dann erneut vor allem Quallen breit, sollten sich die regionalen Fischer vielleicht endgültig umorientieren und einen neuen Markt suchen: Zumindest in Ostasien gelten die Wabbeltiere bereits als Delikatesse.
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