Onkologie: Zweischneidiges Schwert gegen Krebs?
Forscher haben einen zellulären Notfallmechanismus genauer analysiert, mit dem Hefezellen unter schwierigsten äußeren Umständen dennoch überleben und ihre Gene in die nächste Zellgeneration retten können. Weil das Geschehen den Entwicklungen in menschlichen Tumoren ähnelt, könnten die neuen Ergebnisse Krebsforschern helfen – und sollten sie zur Vorsicht mahnen, meint das Team um Rong Li vom Stowers Institute for Medical Research in Kansas City.
Die Wissenschaftler hatten ihre Hefen (Saccharomyces cerevisiae) mit Hitze und Chemikalien unter Stress gesetzt und so eine typische letzte Gegenmaßnahme der Zellen provoziert, das offenbar völlig zufällige Rearrangement der Chromosomen bei der Zellteilung. Dieses Notfallprogramm sorgt für eine drastisch erhöhte Variabilität der Zellen und somit für eine erhöhte Chance einer Tochterlinie darauf, die dramatisch verschlechterten Umweltbedingungen durch eine zufällig erworbene neue Fähigkeit zu überstehen. Im Normalfall sterben allerdings fast alle der entstehenden Zellen, weil das Chromosomendurcheinander viel eher schwere Defekte als Vorteile mit sich bringt.
Im Zentrum der Stressreaktion stehe das Hitzeschockprotein Hsp90, so die Forscher – ein Komplex von so genannten Chaperonen, ohne die ein zentrales Strukturelement der Chromosomen bei der Zellteilung, das Kinetochor, nicht wie normal zusammengebaut werden kann. Das Abschalten von Hsp90 – etwa durch Stress, Hitze oder einen Inhibitor – sorgt dafür, dass die Chromosomen umgebaut und bei Zellteilungen ungerichtet verteilt werden. Bei wenigen Zellen erhöht dies aber die Resistenz gegen Zellgifte, zeigen Li und Kollegen: Ein zusätzliches Chromosom vermehrt in solchen Zellen zum Beispiel die Anzahl bestimmter Gene, die zytotoxische Substanzen entgiften können.
Hsp90 ist eines der am häufigsten in Zellen vorkommenden Proteine und existiert auch im Menschen. Hier ist es als Angriffspunkt bei der Krebsbekämpfung ins Auge gefasst worden, weil es mit auffällig vielen Antitumorproteinen interagiert. In klinischen Tests konnte schon gezeigt werden, dass Inhibitoren – etwa Derivate des aus Pilzen gewonnenen Geldanamycin – das Hitzeschockprotein deaktivieren und Tumoren in der Folge neutralisiert. Die Erkenntnisse von Lis Team legen nun aber nahe, dass diese Deaktivierung einzelne Krebszellen nicht nur schädigt, sondern womöglich auch einzelne, zufällig resistente Tumorzellen im Körper entstehen lassen könnte. Man müsse bei einer Behandlung nicht nur beobachten, ob ein Antitumormedikament primär wirkt, sondern auch im Auge behalten, in welche Richtung die Entwicklung der ganzen Tumorzelllinie unter dem Druck der Medikamente gedrängt wird.
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