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»Der Erfindergeist der Tiere«: Wenn Kakadus Mülltonnen öffnen

Die Kognitionsbiologin Alice Auersperg nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise zur erstaunlichen Kreativität und zum verblüffenden Einfallsreichtum von Tieren.

»Die Vergleichende Kognitionsforschung beantwortet fundamentale Fragen der Menschheit, sie sucht empirisch – also auf Fakten beruhend – nach Antworten darauf, ob unsere Einzigartigkeit als Spezies Mensch vorhanden ist.« Die Biologin Alice Auersperg hat für ihr Buch einen eher anekdotisch-autobiografischen Zugang gewählt. Sie ist Gründerin und Leiterin des Goffin Labs am Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien, das die tierische Intelligenz ergründet. Mit aussagestark bebilderten Versuchsbeschreibungen stellt und beantwortet sie Fragen wie: Woher kommt das Neue? Wozu überhaupt Intelligenz? Was ist ein Werkzeug? Was lässt sich von Tieren für den Prozess des Entstehens von Neuem, von Innovationen, von Erfindungen lernen? Wie erfinden Tiere, und welche Voraussetzungen müssen sie dafür aufweisen? Wie hängt das Erfinden der Tiere mit ihrem Spiel- und Explorationsverhalten zusammen? Und was benötigen Tiere, um kreativ und innovativ sein zu können?

Da Vögel sehr verspielt, erkundungsfreudig und erfinderisch sind, gelten sie als tierische Modellspezies für technische Intelligenz, sie kommen in Sachen Erfindungsreichtum in manchen Dingen sogar an die Großen Menschenaffen heran. Ihr erfinderischer Erfolg rührt daher, dass sie Umweltbedingungen erproben, wahrnehmen und nützen; Keas und Kakadus werden im Buch bevorzugt als Testspezies beschrieben, Versuche mit anderen Tierarten ergänzen die Ausführungen.

Als Experimentieransatz dient die Beobachtung der Tiere. Sie führt zu Hypothesen, welche die Basis für ausgeklügelte Versuche bilden. Das Innovationsverhalten, die Erfindungen und der Werkzeuggebrauch der Tiere stehen im Zentrum der Forschung. Die dabei meist verwendete Methodik besteht darin, die Tiere vor ein neues, von den Forschern geschaffenes Problem zu stellen. Welches neue Verhalten sie in welcher Regelmäßigkeit an den Tag legen, gibt Auskunft darüber, ob sie in der Umwelt beziehungsweise in ihrem Verhalten innovativ etwas entdeckt haben, das ihnen nützt. Auersperg bringt dazu zahlreiche Beispiele. Eines beschreibt Kakadus in Sydney, die es schaffen, die Deckel von Mülltonnen zu öffnen und deren Inhalte auf der Straße zu verteilen. Um zu verstehen, dass sie beim Öffnen der Deckel nicht auf diesen sitzen dürfen und diese auch ganz nach hinten aufklappen müssen, zeigt, dass sie ein Körperbewusstsein besitzen.

Wie entsteht Intelligenz in der Evolution? Anhand verschiedener Intelligenzhypothesen erläutert die Autorin das Problemlöseverhalten und die Innovationsfähigkeit von Tieren. Kognitionsbiologen arbeiten daran herauszufinden, welchem sozialen oder ökologischen Druck unterschiedliche Tiere mit hoher Gehirnentwicklung in ihrer Umwelt ausgesetzt sind und welche kognitiven Mechanismen sie anwenden müssen, um zu flexiblen Lösungen ihrer Probleme oder zur Erfüllung ihrer Wünsche zu gelangen.

Das verteilte Gehirn des Oktopus

»Komplexitäten sowohl in der sozialen als auch in der ökologischen Umgebung der Tiere leisten wohl in unterschiedlichen Anteilen ihren Beitrag, intelligentes Verhalten zu erklären.« Soziale Komponenten sind bei vielen Tierarten entscheidend für deren hohe technische Intelligenz, ihren vielfältigen Werkzeuggebrauch und ihre komplexe Kommunikation. Dass bei Gehirnen Größe nicht alles ist, beweist der Oktopus, dessen Gehirn »über den Körper verteilt« ist. Er hat kein zentriertes Nervensystem, ist dennoch intelligent und kann verschiedene technische Probleme einwandfrei lösen. Vogelgehirne bilden ein weiteres Beispiel für höchste Effizienz bei geringem Gehirnvolumen. Im Gegensatz zu Säugergehirnen, die in Schichten aufgebaut sind, besteht ihr Hirn aus Zentren mit wesentlich mehr Nervenzellen pro Kubikmillimeter.

Menschen besitzen eine kumulative Kultur der Innovation, sie verbessern ihre Erfindungen über Generationen ständig weiter. Dies können Tiere nicht beziehungsweise nur in einer kleinen »Grauzone«. Ein wichtiger Faktor ihres »Erfinderischseins« ist ihr Spielverhalten. Das Spielen mit physischen Objekten trainiert nicht nur ihre Geschicklichkeit, sondern hilft ihnen auch dabei, Neues herauszufinden beziehungsweise Informationen zu gewinnen. Weitere Triebfedern für den Erfindergeist sind Neugier (Neophilie), aber auch die Angst vor Neuem (Neophobie); ein Hingezogensein zu allem, was neu ist, verbunden mit Vorsicht bei der Annäherung an ein neues Objekt, trägt ebenso zum Überleben bei wie das Entdecken neuer Futterquellen oder Lebensräume.

Dem tierischen Werkzeuggebrauch widmet sich ein großes Kapitel des Buchs, das mit zahlreichen bemerkenswerten Beispielen und Versuchsbeschreibungen versehen ist. Werkzeuge werden nicht nur von Primaten und Vögeln, sondern auch, allerdings sehr selten, von anderen Säugetier- und einigen Insektenarten verwendet.

»Lachen und Nachdenken« nennt sich das letzte Hauptkapitel des Buchs. Es enthält ein Plädoyer für die Grundlagenforschung und liefert Antworten zu der Erkenntnis, »dass Intelligenz in der Biologie nicht nur anhand eines Quotienten gemessen werden kann«. Das Wissen dazu, wie Tiere im Vergleich zu Menschen lernen, lässt sich auf ganz verschiedene Arten anwenden, etwa in Bionik und Biomimetik, beim Machine Learning oder bei der Weiterentwicklung von KI-Prozessen. Auch die Bildungswissenschaften und die Entwicklungspsychologie kann dieses Wissen befruchten.

»Der Erfindergeist der Tiere« ist ein populärwissenschaftliches Buch im besten Sinn. Spannend und unterhaltsam vermittelt es tiefgründiges Wissen und trägt damit auch zur Verbesserung von Mensch-Tier-Beziehungen bei.

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